Zeugin vor U-Ausschuss Merkels Lehre aus Afghanistan
Als wohl letzte Zeugin hat Altkanzlerin Merkel im Afghanistan-Untersuchungsausschuss ausgesagt. Der Abzug der Bundeswehr sei gut gelaufen, sagte sie. Mit Blick auf die Ortskräfte sprach sie von schwierigen Abwägungen.
Fast 20 Jahre lang war die Bundeswehr in Afghanistan - und 16 Jahre davon fielen in die Kanzlerschaft von Angela Merkel. Am Ende ihrer Amtszeit musste die CDU-Politikerin erleben, wie die Taliban im August 2021 das Land überrannten.
Nun, mehr als drei Jahre später, war die Altkanzlerin als voraussichtlich letzte Zeugin im Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestages geladen. Beim Abzug der Bundeswehr und der Räumung von Camp Marmal im Norden Afghanistans sei damals alles gut gelaufen, sagte sie. "Der Zeitplan wurde eingehalten. Ich war darüber sehr erleichtert."
Sie halte die deutsche Beteiligung an dem Militäreinsatz in Afghanistan auch im Rückblick für richtig. Denn damals habe es die "begründete Hoffnung" gegeben, dass danach keine weiteren Terrorangriffe von Afghanistan aus geplant werden würden.
Bei allen anderen Zielen - von der Rechtsstaatlichkeit bis zu den Frauenrechten - "müssen wir, muss die internationale Gemeinschaft, feststellen, gescheitert zu sein", erklärte sie.
Als Ursachen für dieses Scheitern nannte sie unter anderem mangelndes kulturelles Verständnis der westlichen Verbündeten, Vetternwirtschaft und Rauschgifthandel. Auch habe man wohl die geopolitische Lage des Landes und den Einfluss Pakistans nicht ganz richtig eingeschätzt.
Wichtigste Lehre aus Einsatz
Dass es in jedem Fall auf eine Evakuierung aus Kabul hinauslaufen werde, sei ihr erst ab dem 13. August 2021 bewusst gewesen, sagte Merkel. Die Taliban hatten am 15. August 2021 mit der Eroberung von Kabul - praktisch ohne Gegenwehr - komplett die Kontrolle über Afghanistan übernommen.
Auf die Frage, was für sie die wesentliche Lehre aus dem Afghanistan-Einsatz sei, warnte Merkel vor zu großen Zielen im Ausland. "Man muss sehr, sehr vorsichtig sein, von außen zu versuchen, den Weg eines Landes beeinflussen zu wollen", sagte sie. "Das geht weniger, als wir uns wünschen."
"Dilemma sehr deutlich gespürt"
Mit Blick auf die damaligen Entscheidungen der Bundesregierung zu Ausreisemöglichkeiten für afghanische Ortskräfte sprach Merkel von Dilemmata und schwierigen Abwägungsentscheidungen. So schilderte sie, dass sie die Forderung der damaligen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer nach einer Ausweitung des befugten Personenkreises bei Bundeswehr und Polizei unterstützt habe.
Zurückhaltender sei sie zunächst gewesen bei Ortskräften aus dem Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Sie habe den Eindruck vermeiden wollen, dass Deutschland den Sieg der Taliban vorwegnehme und Afghanistan im Stich lasse.
Die Bundesregierung debattierte im Frühsommer 2021 mit Blick auf den Abzug der Bundeswehr Ende Juni, inwieweit afghanischen Mitarbeitern deutscher Streitkräfte, von Polizei und anderen Organisationen die Ausreise nach Deutschland ermöglicht werden sollte.
Diskutiert wurde dabei auch über beschleunigte Visa-Verfahren, was insbesondere im Bundesinnenministerium auf Vorbehalte stieß. Merkel sagte im Ausschuss, das Innenministerium habe die Aufgabe gehabt, dafür zu sorgen, "dass wir uns nicht Kräfte ins Land holen, die für terroristische Anschläge verantwortlich sind". Das habe sie nicht zur Seite wischen können. "Dieses Dilemma habe ich schon sehr deutlich gespürt."
Der Afghanistan-Untersuchungsausschuss soll die Umstände der militärischen Evakuierungsaktion aus Kabul im August 2021 aufklären. Im Zentrum steht auch die Frage, ob durch eine Fehleinschätzung der Sicherheitslage afghanische Mitarbeiter deutscher Organisationen gefährdet wurden und früher Vorbereitungen für deren Schutz oder Ausreise hätten getroffen werden müssen.
Viele Ortskräfte von Bundeswehr, Polizei und Entwicklungsorganisationen mussten wegen des überstürzten Abzugs zurückbleiben.
"Augenscheinliche Untätigkeit"
Jörg Nürnberger von der SPD wunderte sich im Ausschuss darüber, dass "das Engagement der Bundeskanzlerin nur von Zeit zu Zeit aufgeflammt" sei. Kritik kam auch von den Grünen: "Was aus den Akten besonders auffällt, ist die Untätigkeit, die so augenscheinlich ist", sagte die Abgeordnete Canan Bayram. Sie zeigte sich sicher: Wäre früher gehandelt worden, hätten mehr Ortskräfte in Sicherheit gebracht werden können.
Die FDP-Politikerin Ann-Veruschka Jurisch bemängelte: "Es war ja klar schon sehr früh, dass unterschiedliche Blickweisen auf das Thema Afghanistan in den verschiedenen Ministerien waren."
Merkel trat nicht vor die Presse, berichtete aber den Bundestagsabgeordneten von Gesprächen mit den beteiligten Ressortchefs. Sie ließ allerdings auch erkennen, dass die Einflussmöglichkeiten der Bundesregierung insgesamt beschränkt gewesen seien.
Die Altkanzlerin ging dabei auf die Entscheidung der US-Regierung ein, die amerikanischen Truppen schnell abzuziehen. Aus ihrer Sicht war klar, dass Deutschland ohne die USA in Afghanistan nichts mehr ausrichten konnte.
Befragt wurde auch der ehemalige Kanzleramtschef Helge Braun. Nach Ansicht des CDU-Politikers wäre es im Rückblick besser gewesen, sich auf eine schnelle Machtübernahme durch die Taliban vorzubereiten, auch wenn der deutsche Auslandsgeheimdienst so ein Szenario als unwahrscheinlich eingeschätzt habe.
Mit Informationen von Mario Kubina, ARD-Hauptstadtstudio