Pannen bei der Bundestagswahl Wer bei einer Neuwahl in Berlin zittern muss
Ausgerechnet in der Hauptstadt Berlin war die Bundestagswahl von Pannen geprägt. Nun will die Ampel in 431 Bezirken neu abstimmen lassen. Was sind die Pläne? Und wer muss bei einer Neuwahl zittern?
Was sind die Pläne der Ampel?
Keine komplette Neuwahl, aber Wiederholung in 431 von über 2200 Wahllokalen - damit bleiben die Pläne zur Bundestagswahl weit hinter dem zurück, was für die Abgeordnetenhauswahl diskutiert wird. Dort hat das Landesverfassungsgericht zu erkennen gegeben, dass es Mitte November für eine komplette Wiederholung votieren könnte.
Das liegt daran, dass der Wahlprüfungsausschuss wahrscheinlich milder definieren wird, was ein "Wahlfehler" ist. "Rund 70 Prozent der Wählerinnen und Wähler haben ihre Stimme abgegeben. Deren gültiges Votum gilt es ebenfalls zu respektieren", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Ampel-Bundestagsfraktionen. Das heißt: Die große Mehrheit konnte normal wählen - diese Stimmen auch für ungültig zu erklären, verspiele zu viel Vertrauen.
Die CDU-Bundestagsfraktion plädiert dagegen weiter für eine umfangreiche Neuwahl und wirft den Ampel-Parteien vor, nach politischem Kalkül und mit dem Taschenrechner in der Hand zu entscheiden. "Das grenzt an Willkür", kritisiert Patrick Schnieder, Obmann der Union im Wahlprüfungsausschuss.
Über eine mögliche Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl entscheidet das Berliner Landesverfassungsgericht am 16. November.
Mit einer Wiederholung der Bundestagswahl beschäftigt sich der Wahlprüfungsausschuss des Bundestages am 7. November, am 11. November entscheidet der Bundestag. Als wahrscheinlich gilt, dass es so kommt wie von Ampel-Parteien vorgeschlagen: Eine Wiederholung der Wahl in 431 der 2256 Wahlbezirke in Berlin - und das mit Erst- und Zweitstimme.
Ist die Fraktionsstärke der Linken im Bundestag gefährdet?
Zwei ihrer drei Direktmandate hat die Linke in Berlin gewonnen - und nur mit diesen drei Siegen erreicht, dass sie trotz eines Wahlergebnisses von 4,9 Prozent in Fraktionsstärke im Bundestag sitzt. Das geht auf die so genannte Grundmandatsklausel zurück. Wenn so gewählt wird, wie die Ampel jetzt vorschlägt, kann die Linke entspannt bleiben.
Denn: Die beiden Sieger, Gregor Gysi und Gesine Lötzsch, haben ihre Mandate mit deutlichem Abstand gewonnen. Und in ihren Wahlkreisen Treptow-Köpenick und Lichtenberg könnte nur in einzelnen Wahllokalen neu gewählt werden. Dort hat es laut Beschlussvorlage für den Wahlprüfungsausschuss nur wenige Wahlfehler gegeben. Rechnerisch wäre damit ausgeschlossen, dass andere Bewerber die linken Direktkandidaten überholen.
Wer muss zittern?
Spannender könnte es in Reinickendorf und Pankow werden - mit Auswirkungen auf prominente Bundestagsmandate. "In Pankow gab es besonders viele Wahlfehler", sagt Johannes Fechner, der für die SPD im Wahlprüfungsausschuss des Bundestags sitzt. "Und dort ist auch klar eine Mandatsrelevanz gegeben." Stefan Gelbhaar von den Grünen hält bislang für Pankow das Direktmandat. SPD-Konkurrent Klaus Mindrup holte vier Prozentpunkte weniger. Da in Pankow in 142 von 175 Wahllokalen noch einmal gewählt werden soll, wäre das Direktmandat für die Grünen hier angreifbar.
Ebenso wackelt das CDU-Direktmandat von Monika Grütters in Reinickendorf, das sie nur mit 1,4 Prozentpunkte Vorsprung gewonnen hat. Auch dort soll laut Ampel-Plänen umfangreich neu gewählt werden. Monika Grütters wäre aber als Erste der CDU-Landesliste im Falle eines Verlustes abgesichert.
Auch verschiedene Auswirkungen auf die Landeslisten der Parteien sind denkbar: Wenn die SPD zwei Direktmandate mehr holt in Berlin, könnten zum Beispiel andere Abgeordnete der Landesliste wieder aus dem Parlament fliegen.
Welche Auswirkung könnte das für die Wahlbeteiligung haben?
Bei der Bundestagswahl 2021 haben 75 Prozent der Berliner teilgenommen. Ob diese Werte in den fraglichen Wahlkreisen annähernd wieder erreicht werden, bezweifeln viele: Wer soll motiviert sein, wenn sich das Parlament schon rechnerisch kaum ändern wird? Vielleicht steht Berlin gar vor einer Art Geisterwahl, ohne viel Wahlkampf: "Es wäre möglich, dass die Parteien bei einer Wiederholung weit weniger plakatieren", vermutet Johannes Fechner. "Besonders in Wahlkreisen, wo nur in wenigen Wahllokalen noch einmal gewählt wird."
Die Parteien müssten mit denselben Kandidierenden und Listen antreten wie 2021. Spannend könnte auch sein, ob sich manche Politiker inzwischen beruflich anders orientiert haben und gar nicht groß in den Wahlkampf ziehen.
Wer dürfte wählen?
Da zwischen erstem Wahltag und Wiederholung mehr als sechs Monate liegen, müsste ein aktualisiertes Wählerverzeichnis erstellt werden. Mitwählen dürfte also auch, wer neu in den Wahlbezirk gezogen oder gerade erst 18 geworden ist. Wahllokale müssen aber nicht in denselben Gebäuden sein wie beim ersten Mal und auch die Helferteams werden neu gebildet.
Ist es problematisch, dass Politiker darüber entscheiden?
Das sehen selbst beteiligte Abgeordnete so: "Wir entscheiden über die Zukunft des Mandats von Kolleginnen und Kollegen", sagt der SPD-Politiker Fechner. Erkennbar ist auch, wie sehr die Parteien schon jetzt auf mögliche eigene Gewinne oder Verluste schielen: Die Ampel-Fraktionen wollten ursprünglich in deutlich weniger Wahllokalen noch einmal wählen lassen, vielleicht auch weil die Grünen knappe Direktmandate nicht verlieren wollten und die FDP gerade in Umfragen absackt. Ebenso dürfte die Wahlbeteiligung den Berliner Parteiverbänden Sorgen bereiten: Wenn sie deutlich abfällt, dann könnten am Ende weniger Abgeordnete aus Berlin im Bundestag sitzen.
Erst der Druck durch das Berliner Landesverfassungsgericht, das die Zustände am Wahltag als oftmals "unzumutbar" wertete, hat SPD, Grüne und FDP im Bundestag dazu veranlasst, doch in mehr als 400 Wahllokalen eine Wiederholung anzustreben.
"Wir fragen uns schon: Sollte nicht gleich das Bundesverfassungsgericht entscheiden?", sagt Johannes Fechner. "Dann wäre es vergleichbar mit der Landesebene, wo auch die Gerichte entscheiden." Bisher habe es so einen gravierenden Fall wie Berlin noch nicht gegeben, so Fechner. Jetzt sehe man schon Anlass, im Bundestag auch zu beraten, ob die Wahlprüfung nicht anders und politikferner aufgestellt werden müsse.
Welcher Zeitplan ist wahrscheinlich?
Der Wahlprüfungsausschuss will seine Empfehlungen am 7. November beschließen, der Bundestag könnte am 11. November folgen. Danach läuft eine Einspruchsfrist von 60 Tagen. Dass Betroffene Beschwerde einlegen und das Ganze beim Bundesverfassungsgericht landet, ist sehr wahrscheinlich. In der Politik rechnen viele damit, dass die Richter mehrere Monate Bearbeitungszeit brauchen, um zu entscheiden.
Das heißt: Eine Wiederholung gemeinsam mit einer möglichen Abgeordnetenhauswahl im Februar 2023 erscheint ausgeschlossen. Ob es überhaupt noch 2023 klappt, ist fraglich. Die Wahl müsste schließlich noch vorbereitet werden. Manche Politiker sprechen sich im kleinen Kreis schon für eine Zusammenlegung mit der Europawahl im Frühjahr 2024 aus.