CDU-Regierungschef Günther "Der Blick in den Abgrund hat gut getan"
Friedrich Merz als Flugblätter verteilender Wahlkämpfer im Osten? Schwer vorstellbar, sagt CDU-Ministerpräsident Günther. Warum Merz dennoch gebraucht wird, wie viel Macht die neue Chefin hat und wie man die AfD wirklich halbiert - ein Interview.
tagesschau.de: Die SPD streitet, wählt eine neue Führung - und kommt nicht aus dem Umfragetief. Die CDU streitet, wählt eine neue Führung - und legt deutlich zu. Was macht die CDU besser?
Daniel Günther: Wir hatten einen spannenden Wettkampf, es wurde über Inhalte gestritten, die Bewerber sind sich nicht persönlich angegangen. Es war ein hochprofessionelles und neues Verfahren für die CDU - und das kam nicht nur bei unseren Mitgliedern gut an sondern auch bei unseren Sympathisanten und weit darüber hinaus. Das hat bei den Umfragen geholfen. Also: alles richtig gemacht.
Sie war seine Favoritin: Günther gratuliert Annegret Kramp-Karrenbauer zur Wahl als CDU-Chefin.
tagesschau.de: Der Parteitag ist jetzt schon etwas verdaut. Wie empfanden Sie rückblickend die Stimmung?
Günther: Ausgesprochen gut. Allerdings gab es am Freitag ein sehr knappes Ergebnis, 48 Prozent haben nicht ihren Wunschkandidaten als Parteivorsitzenden bekommen. Daher konnte am zweiten Tag auch keine euphorische Stimmung entstehen.
tagesschau.de: Und den Frust der Merz-Anhänger hat dann der arme Paul Ziemiak, der neue Generalsekretär, abbekommen?
Günther: Ich tue mich schwer damit, in das Ergebnis von Paul Ziemiak zu viel hinein zu interpretieren. Wir hatten am Vortag eine sehr knappe Parteivorsitzendenwahl und Kramp-Karrenbauer wollte mit dem Personalvorschlag ein klares Signal aussenden in Richtung der Merz-Anhänger. Dass am Tag danach nun nicht gleich jeder diesem Vorschlag folgt, ist doch wenig verwunderlich.
tagesschau.de: Aber knapp 63 Prozent für Ziemiak sind schon eine Hypothek ...
Günther: Es sind schon ganz schön viele Nein-Stimmen gewesen, das stimmt. Das zeigt, dass noch ein bisschen Arbeit vor uns liegt.
tagesschau.de: Wie groß ist denn die Gefahr einer Spaltung der CDU in unterschiedliche Lager?
Günther: Ich will nicht sagen, dass die Gefahr gebannt ist. Dafür war das Ergebnis für Kramp-Karrenbauer einfach zu knapp. Aber die Zeichen stehen ganz gut, dass die CDU wirklich geschlossen und beieinander bleibt.
Sehnsucht nach guten alten Zeiten
tagesschau.de: Als Friedrich Merz 2009 den Bundestag verließ, wurden Sie gerade zum ersten Mal in den Landtag in Schleswig-Holstein gewählt. Was sagt das über die CDU, wenn ein Mann wie Merz von einem großen Teil der Partei und ihrer Anhänger für Aufbruch gehandelt wird?
Günther: Das Gefühl war weniger Aufbruch. Viele wünschten sich auch die guten alten Zeiten zurück. Vielen ist auch deutlich geworden, wie schwach in den vergangenen Jahren unser Wirtschaftsflügel aufgestellt war und wie uns die entscheidenden Repräsentanten fehlten. Mit Merz verband sich daher auch die Hoffnung, endlich wieder jemanden mit Wirtschaftsprofil zu bekommen. Ein Name, der Hall erzeugt in Wirtschaftskreisen. Das war wohl auch ein Grund, warum viele durch seine Kandidatur euphorisiert waren.
tagesschau.de: Wie viel Merz hätte denn die CDU jetzt gerne?
Günther: Jemand, der bei der Wahl 48 Prozent bekommt, hat schon breiten Widerhall in der Partei. Das Bedürfnis ist also groß, dass sein Name und seine Person in den nächsten Jahren eine Rolle spielt. Ich wünsche mir, dass er unserer Partei wirtschaftspolitisch Profil gibt.
tagesschau.de: Die CDU könnte auch Hilfe von Merz im Wahlkampf gebrauchen - vor allem im Osten. Hier stehen drei Landtagswahlen an. Aber Merz als Flugblätter verteilender Wahlkämpfer in Thüringen oder Sachsen-Anhalt, ist schwer vorstellbar ...
Günther: Merz hat ja schon unterschiedliche Dinge gemacht, auch in der zweiten Reihe in der CDU. Und im Wahlkampf ist er bestimmt eine Hilfe. Ob er aber der beste Flugblattverteiler ist, da hätte ich jetzt auch meine Zweifel. Aber Menschen begeistern, mitreißen, der Partei Profil geben - das kann er.
Klares Signal der Erneuerung
tagesschau.de: Die CDU hat jetzt seit einer Woche eine neue Chefin. Wie viel Neuanfang steckt denn in Annegret Kramp-Karrenbauer?
Günther: Sie ist eine Frau, die dem Amt der Parteivorsitzenden definitiv einen anderen Anstrich gibt. Sie hat schon in ihrer Zeit als Generalsekretärin gezeigt, wie man Profil aufbaut, wie man eine andere Form der Kommunikation über Themen findet - das habe ich in der CDU in den vergangenen Jahrzehnten nicht erlebt. Die Art wie sie Politik macht, ist ein klares Signal der Erneuerung.
tagesschau.de: Wie unterscheidet sich denn ihre Art Politik zu machen von der Merkels?
Günther: Annegret Kramp-Karrenbauer hat eine andere Art zu kommunizieren und Entscheidungen besser zu erklären. In einigen Themenfeldern hat sie auch andere Ansichten als Merkel - und auch als ich ...
tagesschau.de: Sie meinen die Ehe für alle?
Günther: Zum Beispiel. Da war Kramp-Karrenbauer auf einem anderen Kurs, aber das macht das ja auch so interessant und belebend. Überhaupt finde ich die Diskussion über Themen deutlich spannender als die Personaldiskussion.
tagesschau.de: Die Stärken von Kramp-Karrenbauer sind Merkels Schwächen?
Günther: Nein. Angela Merkel hat ganz viele andere Stärken, sonst wäre sie auch nicht 18 Jahre eine erfolgreiche Parteivorsitzende gewesen.
Vorbereitung auf die Wahl 2021
tagesschau.de: Wie viel Macht hat Kramp-Karrenbauer als CDU-Chefin - ohne Bundestagsmandat, ohne Fraktionsvorsitz wie Andrea Nahles? Wie kann sie sich von Merkel abgrenzen?
Günther: Als Parteichefin hat sie schon viel Macht. Es mag für uns als CDU eine ungewohnte Situation sein, dass die Parteivorsitzende nicht Mitglied der Regierung oder der Fraktion ist. Im Übrigen ist es nicht Kramp-Karrenbauers erster Job, sich von der Kanzlerin abzugrenzen. Ihre Aufgabe ist doch vielmehr, dass sie mithilft, dass die Bundesregierung erfolgreich arbeitet. Und das empfindet sie auch so. Gute Politik machen in der Regierung - das hilft unseren Umfrageergebnissen am meisten. Und daneben sollte sie es auch schaffen, der Partei ein Profil zu geben - Stichwort: Zuhörtour, neues Grundsatzprogramm - und da hat Annegret Kramp-Karrenbauer genug Gestaltungsspielraum, die CDU für 2021 vorzubereiten.
tagesschau.de: ... und die Lager in der Partei hinter sich zu einen?
Günther: Das ist ihre Hauptaufgabe in den nächsten Monaten. Wir können nicht mit Tatkraft vorangehen und die anstehenden Wahlen gewinnen, wenn die Partei mit getrennten Flügeln unterwegs ist. Wir brauchen die alle.
"Die Union kann nur gemeinsam gewinnen", sagt Günther.
tagesschau.de: Auch im unionsinternen Verhältnis hat es ja in den vergangenen Jahren hörbar geknirscht. Nach Merkel und Seehofer jetzt Annegret Kramp-Karrenbauer und Markus Söder. Wird nun alles wieder gut?
Günther: Es gab schon in den vergangenen Wochen eine deutliche Entspannung zwischen CDU und CSU. Der Blick in den Abgrund im Juni hat allen gut getan. Seitdem weiß wieder jeder, dass die Union nur gemeinsam gewinnen kann.
Fokus auf Migrationspolitik ist grundfalsch
tagesschau.de: Auch in dem zurückliegenden parteiinternen Wahlkampf ging es sehr oft wieder um die Flüchtlingspolitik. Hat die CDU, hat Deutschland keine anderen Probleme?
Günther: Die Migrationspolitik bewegt Menschen, kein Zweifel. Doch ich halte den Fokus auf dieses Thema für grundfalsch. Denn damit werden Probleme noch mehr dramatisiert. Ich bin ein großer Fan davon, den Menschen Lösungen zu präsentieren, statt immer nur Probleme zu beschreiben.
Außerdem hat die Fokussierung auf die Flüchtlingspolitik zur Folge, dass die Menschen sich fragen, warum wir immer nur über die reden, die zu uns kommen. Warum kümmert man sich nicht um die Probleme der Menschen, die seit Jahren in diesem Land leben und Abgaben zahlen? Pflege, Wohnen, soziale Sicherungssysteme - da gibt es wirklich eine ganze Menge. Ich werbe nicht erst jetzt sehr dafür, dass wir die gesamte Themenpalette aufzeigen als Union. Die Migrationspolitik spielt eine Rolle, aber nicht die entscheidende.
tagesschau.de: Von der Flüchtlingspolitik ist es nicht weit zur AfD. Friedrich Merz hat der CDU vorgeworfen, den Aufstieg der AfD achselzuckend hingenommen zu haben. Das gab dann einen lauten Aufschrei - aber steckt in der Aussage nicht auch ein Funken Wahrheit?
Günther: Nein, umgekehrt ist es richtig. Wir haben die AfD nicht achselzuckend hingenommen. Vielmehr haben wir zu sehr auf sie geachtet, wir haben uns teilweise sogar die politische Agenda von der AfD bestimmen lassen. Das ist der Fehler gewesen. Und wenn Merz sehen will, wie man die AfD halbiert, kann er sich das gerne bei uns in Schleswig-Holstein ansehen. Hier liegt die AfD bei sechs, sieben Prozent. Wir sind denen nie auf den Leim gegangen, wir haben nie deren Themen diskutiert, sondern unsere Themen gesetzt. Den Kurs sollten wir auch auf Bundesebene einschlagen.
"Politik ist kein Wünsch-Dir-Was-Spiel", sagt Jamaika-Fan Günther
tagesschau.de: Wie könnte denn eine Wahlkampfstrategie gegen die AfD aussehen?
Günther: Wir sollten auf dem Spielfeld bleiben, auf dem wir besser sind. Im Wettbewerb um die lautesten Positionen werden wir nicht gewinnen. Wir gewinnen den Wettbewerb da, wo man Probleme löst. Da sind die besonders schwach und wir besonders stark. Eine klare Abgrenzung gegenüber der AfD halte ich für absolut notwendig.
Jamaika im Bund wäre besser gewesen
tagesschau.de: Im Bund regiert die CDU in einer wackeligen und müde wirkenden Großen Koalition. Angenommen, das hält noch ein gutes Jahr. Nach einer Neuwahl wären Sie doch der Experte für ein Jamaika-Bündnis. Zumal Sie einige zentrale Personen - Robert Habeck von den Grünen und Wolfgang Kubicki von der FDP - ja aus Kiel kennen ...
Günther: Wir sollten diese Große Koalition zu einem erfolgreichen Ende führen - und das Ende sollte auch erst 2021 sein. Auch angesichts der Umfrageergebnisse sollten CDU und SPD ein fundamentales Interesse daran haben, jetzt erfolgreich zu arbeiten. Ich kann auch die SPD nur dringend warnen, aus der Koalition auszusteigen, in der Hoffnung, dann wieder mehr Zuspruch zu erhalten.
tagesschau.de: Aber die Große Koalition war nicht Ihr Favorit nach der Bundestagswahl 2017 ...
Günther: Nein, ich habe mir für den Bund etwas anderes gewünscht und ich glaube, wir wären heute in einer viel positiveren Stimmung, wenn wir Jamaika hinbekommen hätten. Aber Politik ist kein Wünsch-Dir-Was-Spiel. Die Realität ist eine Große Koalition - und die muss jetzt ordentlich arbeiten.
tagesschau.de: Und nach 2021?
Günther: Da sind wir wieder beim Wünschen: 2021 wünsche ich mir in der Tat eine andere Konstellation als ein Bündnis mit der SPD.
Das Gespräch führte Wenke Börnsen, tagesschau.de