Interview

Verkehrswende Heißt die Lösung E-Fuels?

Stand: 30.12.2017 14:44 Uhr

E-Fuels sind eine echte Alternative zur Elektromobilität. Denn diese strombasierten Kraftstoffe funktionieren in jedem herkömmlichen Motor. Der Forscher Michael Sterner erklärt im tagesschau.de-Interview Vor- und Nachteile dieser Antriebstechnik.

tagesschau.de: Was versteht man unter E-Fuels?

Michael Sterner: Das sind Flüssigkraftstoffe oder Gaskraftstoffe, die wir aus Strom, Wasser und CO2 herstellen. Der technische Kernprozess ist die Elektrolyse. So erhalten wir Benzin, Diesel oder Gas, ohne dafür Erdöl, Erdgas oder Kohle zu brauchen. Und das Praktische ist: Man kann diese Kraftstoffe mit den vorhandenen Technologien nutzen, das heißt, man braucht dafür kein neues Auto kaufen, keine neuen Motoren und keine extra Tankstellen bauen.

Zur Person
Michael Sterner ist Professor für Energiespeicher und Energiesysteme an der OTH Regensburg. Er hat das Power-to-Gas-Verfahren maßgeblich mitentwickelt und wurde für seine Forschungen mehrfach ausgezeichnet. Er berät die Bundesregierung und verschiedene Ministerien zu Fragen der Energiewende.

tagesschau.de: Wie funktioniert das?

Sterner: Nach dem Vorbild der Natur: der Photosynthese. Wir nehmen Strom, der aus Windkraft oder Sonnenenergie gewonnen wurde, und betreiben damit einen Elektrolyseur. Darin wird Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Der Wasserstoff wird dann mit CO2 zusammengebunden und das Ergebnis ist synthetisches Gas, synthetisches Benzin, Diesel oder Kerosin. Man kann daraus alles Mögliche gewinnen, sogar Düngemittel. Das ist faszinierend. Und Deutschland ist da technisch ganz weit vorne. Power-to-Gas oder Power-to-Liquid nennt man diese Verfahren.

Klimaneutral mit Verbrennungsmotor

tagesschau.de: Und mit diesen E-Fuels fährt man wirklich CO2-neutral? Wie kann das sein?

Sterner: Ja, wenn wir erneuerbaren Strom verwenden, schon. Das ist das gleiche wie bei der Elektromobilität: Mit Kohlestrom ist kein E-Auto grün. Der Elektrolyseur muss also mit Ökostrom betrieben werden. Das CO2, das in synthetischen Kraftstoffen gebunden wird, stammt aus der Luft und wird über Biogasanlagen oder andere spezielle Anlagen bereitgestellt. Wenn der Kraftstoff im Auto verbrennt, gelangt das CO2 wieder in die Atmosphäre: Der CO2-Kreislauf ist damit geschlossen.

tagesschau.de: Warum wird das dann nicht längst verwendet? Wo ist der Haken?

Sterner: Der Haken ist, dass diese Antriebsart nicht gerade sehr effizient ist. Wir haben einen Gesamtwirkungsgrad von etwa 20 bis 30 Prozent, bei der Elektromobilität dagegen ungefähr 70 Prozent. Das heißt, wir brauchen für jeden Kilometer drei bis viermal so viel Strom wie bei einem Elektroauto. Und: Momentan ist der so gewonnene Kraftstoff auch noch wesentlich teurer als herkömmliche Kraftstoffe, die auf Mineralölbasis hergestellt werden. Das würde sich aber mit Investitionen in diesem Bereich und einer offensiven Markteinführung ändern.

tagesschau.de: Aber warum sollte das sinnvoll sein, wenn dieser Kraftstoff so ineffizient ist?

Sterner: Mit diesem Argument müssten wir alle Autos mit Verbrennungsmotor aus dem Markt nehmen. Etwa drei Viertel der getankten Energie werfen wir weg, nur ein Viertel schiebt das Auto an. Wir nutzen diese ineffiziente Technologie seit 100 Jahren. Ähnlich ist es bei Kohle- oder Atomkraftwerken, die auch nur einen Wirkungsgrad von 30 bis 40 Prozent haben, die neueren etwas mehr. Der Wirkungsgrad bei Power-to-Gas oder Power-to-Liquid ist also nicht so ungewöhnlich. Mal ganz davon abgesehen, dass die Forschung gerade dabei ist, hier modernere Verfahren zu entwickeln, die den Wirkungsgrad weiter steigern und die Kosten senken werden. Aber ich plädiere gar nicht dafür, E-Fuels im Pkw-Verkehr breit einzusetzen.

tagesschau.de: Warum denn nicht?

Sterner: Im Personenverkehr, insbesondere bei Kurzstrecken, ist Elektromobilität ohne Frage die effizienteste Variante, um mit erneuerbaren Energien CO2-neutral zu fahren. In zehn Jahren wird das E-Auto im Pkw-Bereich alles beherrschen, auch wenn viele diese Einschätzung für zu optimistisch halten.

Aber es gibt Bereiche, in denen man elektrisch nicht weit kommt, beim Schiffsverkehr, beim Lkw-Fernverkehr und beim Fliegen. Für einen Langstreckenflug sind heutige Batterien nicht geeignet. Die Energiedichte ist viel zu gering. Das wird sich nach meiner Einschätzung auch nicht ändern. Wir brauchen für die Verkehrswende einen Mix aus unterschiedlichen alternativen Antrieben. Ohne E-Fuels wird es nicht gehen, wenn wir auch den Flug-, Schiffs- und Fernverkehr CO2-neutral bekommen wollen. Und das müssen wir, um die Pariser Klimaziele zu erreichen und weitere Klimakatastrophen zu vermeiden.

tagesschau.de: Das klingt nach einer schönen Lösung für die ferne Zukunft ...

Sterner: Nein. Die Technik ist vorhanden und sofort einsetzbar. Vor allem ist das Power-to-Gas-Verfahren auch im größeren Kontext der Energiewende absolut notwendig. Die Diskussion bei der Energiewende ist ja immer, wie der überschüssige Strom aus Wind- und Solarenergie gespeichert werden kann für die Zeit, wenn eben kein Wind weht und die Sonne nicht scheint. Mit Power-to-Gas können wir erneuerbaren Strom einfach in der vorhandenen Gasinfrastruktur speichern und an anderer Stelle über Gaskraftwerke verlässlich und sicher bereitstellen. Oder wir stellen damit synthetische Kraftstoffe her, die wir über Pipelines und Tanklaster überall dort hinbringen, wo sie benötigt werden.

In Norddeutschland gibt es sehr viele Windkraftanlagen, die immer wieder zwangsweise abgeschaltet werden, weil zu viel Windstrom entsteht, der dann nicht mehr vom Norden in den Süden transportiert werden kann. Zum einen, weil die Stromtrassen noch fehlen, zum anderen, weil vor kurzem küstennah Kohlekraftwerke gebaut wurden, deren Strom nahezu permanent eingespeist wird und die Leitungen belegt. Die Kosten für das Abschalten der Windkraftanlagen im Norden und das Zuschalten von Kraftwerken im Süden, wo der Strom gebraucht wird, liegen heute bei einer und bis 2022 bei bis zu vier Milliarden Euro jährlich. Wir schmeißen den Windstrom einfach weg.

tagesschau.de: Wieso wird das Verfahren dann nicht angewendet?

Sterner: Teile des Bundeswirtschaftsministeriums stehen da auf der Bremse. Man will die Energiespeicherung jetzt noch nicht vorantreiben, aus Angst, dass die Netze dann nicht mehr gebaut würden. Es gibt sozusagen eine "Stromnetze-first"-Politik. Erst wenn die Netze da sind, soll die Speicherung angegangen werden. Der Gedanke ist aber falsch. Wir brauchen beides, die Trassen und die Speicherung - und zwar gleich. Zumal Prognosen davon ausgehen, dass es bis 2030 dauern dürfte, bis die Stromtrassen gebaut sind. Bis dahin jedes Jahr bis zu vier Milliarden Euro wegzuwerfen, das kann man keinem Steuerzahler erklären.

Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 10. November 2017 um 12.00 Uhr und die Sendung Plusminus am 4. Oktober um 21.45 Uhr.