Neues Gesetz Aufenthalt auf Probe
"Das hat unser ganzes Leben komplett auf den Kopf gestellt", sagt eine iranische Familie über das sogenannte Chancen-Aufenthaltsrecht. Seit gut 100 Tagen können Langzeitgeduldete damit einen Aufenthalt auf Probe bekommen.
Die Familie von Azad Morad Waisi freut sich seit Wochen. Denn sie bekommen das sogenannte Chancen-Aufenthaltsrecht für 18 Monate. Die dreiköpfige Familie stammt aus dem Iran und lebt seit mehr als sieben Jahren in Deutschland. Ende 2015 ist Azad mit seiner Frau Galawieh und der damals sechs Monate alten Tochter Aysa über die Türkei und Griechenland nach Deutschland geflüchtet. Ihr Asyl- und Folgeantrag wurde aber abgelehnt.
"Beim ersten Interview war ich mir sehr sicher", sagt der 36-jährige Iraner, der aus der kurdischen Stadt Kamyaran stammt. Doch obwohl "ich ein politisch aktiver Mensch bin und in einer iranischen Oppositionspartei aktiv bin, wurde der Antrag abgelehnt."
"Diese sieben Jahre waren wie ein Albtraum"
Seine Äußerungen waren für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge "nicht glaubwürdig", sagt Azad Morad Waisi. Auch das Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht haben den Antrag der Familie abgelehnt. "Wir haben in sieben Jahren in Deutschland sechs Ablehnungen bekommen". Damit zählte die Familie Morad Waisi zu den rund 250.000 Geduldeten in Deutschland, die ausreisepflichtig sind.
"Diese sieben Jahre waren wie ein Albtraum", sagt der Iraner. "Jedes Mal, wenn wir einen negativen Bescheid bekommen haben, hatten wir Angst, abgeschoben zu werden. Letzten Winter haben wir 45 Tage am Stück nachts mit meiner Familie im Auto im Parkhaus eines Kölner Einkaufszentrums geschlafen." Die damals siebenjährige Tochter Asya hat alles miterlebt. "Wir hatten ihr eine Geschichte erzählt, dass, wenn wir zu Hause bleiben, sterben können. Sie hat das akzeptiert. Sobald es dunkel wurde, hat sie ihren kleinen Schlafsack genommen und sagte: gehen wir." Morgens hat Azad Morad Waisi dann seine Tochter zur Schule gebracht.
Azad Morad Waisi und seine Familie hatten lange nur einen Geduldeten-Status.
Eine "180-Grad-Wende" für Geduldete
Von diesen Ängsten hört Martin Henrich immer wieder. Der Essener Fachanwalt für Migrationsrecht hat mit vielen geduldeten Mandanten zu tun. "Ich schätze, dass in unserer Kanzlei seit Januar etwa 20 Anträge dieser Art gestellt worden sind. Bis auf einen Antrag, ist den Anträgen stattgegeben worden." Die Regelung betrifft insgesamt rund 136.000 bereits in Deutschland gut integrierte Menschen, schreibt die Bundesregierung auf ihrer Seite. Sie müssen seit fünf Jahren geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland leben.
Es gebe bislang keine Zahlen darüber, wie viele Geduldete das "Chancen-Aufenthaltsrecht" bislang beantragt haben, sagt das Bundesinnenministerium auf Anfrage. Anwalt Henrich sagt, das "Chancen-Aufenthaltsrecht" nach §104C sei für Geduldete "eine 180-Grad-Wende in ihrem Leben. Sie haben nun die Möglichkeit, zum ersten Mal eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten und sich in Deutschland zu integrieren".
Antragsteller müssen zum Stichtag 31. Oktober 2022 seit mindestens fünf Jahren in Deutschland leben. Darüber hinaus müssen sie ununterbrochen geduldet oder gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland gelebt haben.
Sie dürfen nicht wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt sein oder wiederholt vorsätzlich falsche Angaben gemacht oder über ihre Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht haben. Weitere Voraussetzung ist ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Am 2. Dezember 2022 haben die Abgeordneten des Bundestags mit der Mehrheit der Ampel-Parteien das neue Gesetz auf den Weg gebracht. Von 654 Abgeordneten, die an der Abstimmung teilnahmen, votierten 371 für den Gesetzentwurf, 226 stimmten dagegen, 57 Parlamentarier enthielten sich.
Der Traum von einem Urlaub
Azad Morad Waisi hat in den sieben Jahren in Deutschland immer wieder gearbeitet. Aber insgesamt drei Jahre habe er keine Arbeitserlaubnis gehabt. Alle ein bis drei Monate musste die Familie zur Ausländerbehörde, um die Duldung zu verlängern.
Nun hat die Familie Morad Waisi den "Aufenthalt auf Probe" für 18 Monate. Während dieser Zeit muss sie mindestens 50 Prozent des Lebensunterhalts selbst sichern und ihre Identität klären, also einen Pass von der iranischen Botschaft beschaffen.
Azad Morad Waisi will im Mai, nach dem Erhalt des "Chancen-Aufenthaltsrechts", selbstständig werden und eine Autowerkstatt übernehmen. Dann soll bald ein langersehnter Traum in Erfüllung gehen: "Ich habe in diesen sieben Jahren Deutschland nicht einmal verlassen können. Wenn meine Tochter nach den Sommerferien in die Schule geht, dann reden die Kinder von ihrem Urlaub. Meine Tochter weiß überhaupt nicht, was ein Urlaub bedeutet", sagt er. "Wir denken jetzt schon daran, die Wohnungseinrichtung zu erneuern, neue Klamotten zu kaufen und den Wunsch meiner Tochter, Delfine im Meer sehen zu können, zu erfüllen und sie in den Urlaub mitzunehmen. Danach werde ich so schnell wie möglich meine Familie besuchen".