BKA-Chef zu Angriffen auf Politiker "Unzufriedenheit befördert Gewalt"
Die steigende Zahl an Angriffen auf Politiker führt der Chef des Bundeskriminalamtes, Münch, auf eine wachsende Unzufriedenheit gegenüber dem Staat zurück. Einige politische Akteure befeuerten dies gezielt über soziale Medien.
Straftaten gegen Politiker und andere Mandatsträger haben zugenommen. Für den Chef des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, ist das alarmierend. Er sieht eine wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der Politik und staatlichen Einrichtungen zu erkennen, diese führe auch zu zunehmender Gewaltbereitschaft.
Rund 5.400 Angriffe auf Amts- und Mandatsträger hat es im vergangenen Jahr gegeben. Diese Zahl aus der aktuellen Statistik zu politisch motivierter Kriminalität führt Münch im Gespräch mit der Zeitung taz nochmals vor Augen. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Anstieg um etwa 29 Prozent, das entspricht laut Münch einer Verdreifachung der Angriffe innerhalb der vergangenen fünf Jahre. Nur bei einem Bruchteil der Straftaten handelt es sich um Gewaltdelikte.
Münch warnt trotzdem: "Aber wir sehen, dass die Unzufriedenheit mit staatlichen Institutionen Beleidigungen und Bedrohungen befördert - und auch Gewalt. Und das häuft sich nun vor den anstehenden Wahlen."
In rund zwei Wochen steht die Europawahl an. Anfang September sind die Bürgerinnen und Bürger in Sachsen und Thüringen aufgerufen, einen neuen Landtag zu wählen, drei Wochen später folgt Brandenburg. An diesem Sonntag finden in Thüringen zudem die Kommunalwahlen statt.
Angriffe auf Politiker verschiedener Parteien
"Keiner kann sagen, was der Schwellenwert ist, an dem die Demokratie kippt", sagt Münch. "Aber wenn 10 Prozent der Amts- und Mandatsträger sagen, sie überlegten, wegen der Anfeindungen aufzuhören und weitere fast 10 Prozent angeben, aufgrund der Anfeindungen nicht mehr kandidieren zu wollen, ist dieser Wert deutlich zu hoch."
Wiederholt hatte es Angriffe auf Politikerinnen und Politiker verschiedener Parteien gegeben. Aber auch Wahlkampfhelferinnen und -helfer wurden verbal oder körperlich attackiert. Zuletzt wurde der AfD-Abgeordnete Mario Kumpf ins Gesicht geschlagen. Anfang Mai wurde die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey bei einem Angriff leicht verletzt und wenige Tage zuvor waren der Grünen-Bundestagsabgeordnete Kai Gehring und sein Parteikollege Rolf Fliß nach einer Parteiveranstaltung in Essen attackiert worden.
In dieser Aufzählung sind nicht alle Angriffe auf Politikerinnen und Politiker oder Parteimitglieder aufgeführt. Bundesweit besonders großes Aufsehen erregte der Angriff auf den sächsischen SPD-Spitzenkandidaten für die Europawahl, Matthias Ecke. Der 41-Jährige war vor rund drei Wochen beim Anbringen von Wahlplakaten angegriffen und schwer verletzt worden.
Dies sei eine äußerst brutale Gewalttat gewesen, die zeige, wohin politische Aggression führen könne, mahnte Münch. "Solche Gewalt kann sich bis hin zu versuchten oder vollendeten Morddelikten steigern, wie wir es etwa im Fall Walter Lübcke erleben mussten. Um genau nicht dorthin zu kommen, sind wir sehr aufmerksam und alarmiert", so der BKA-Chef.
Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke war Anfang Juni 2019 aus nächster Nähe vor seinem Haus erschossen worden. Sein Mörder, der aus rechtsextremen Motiven handelte, wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.
Direkte Kritik an AfD
Die Unzufriedenheit und Polarisierung der Gesellschaft wird aus Sicht des BKA-Chefs vor allem auch über soziale Netzwerke geschürt. Darüber würden sich Narrative und Feindbilder verbreiten. Münch warnte: "Jeder politische Akteur, der nicht dazu beiträgt, dass es einen sachlichen Diskurs gibt, sondern Sündenböcke aufbaut - Stichwort 'Ausländerproblem' und 'Remigration' - trägt zu dieser Polarisierung bei."
Dabei richtete er seine Kritik auch gezielt gegen die AfD. Die Partei versucht verstärkt, soziale Medien und Kanäle für sich zu nutzen. Bei TikTok erreicht keine andere Partei so viele Nutzerinnen und Nutzer wie die AfD. "Eine solche Präsenz kann man einsetzen, um zu beruhigen oder zu beunruhigen. Und zur Beruhigung tragen viele der AfD-Veröffentlichungen nicht bei", sagte Münch.
Ex-Verfassungsrichter Müller gegen neue Straftatbestände
Innenpolitisch haben die Angriffe auf Politikerinnen und Politiker eine Diskussion über besseren Schutz von politisch aktiven Menschen sowie eine mögliche Verschärfung des Strafrechts ausgelöst. Nach dem Angriff auf den SPD-Politiker Ecke hatten die Innenminister von Bund und Ländern auf einer Sonderkonferenz darüber beraten und sich für eine solche Verschärfung ausgesprochen.
Auch der frühere Verfassungsrichter Peter Müller verurteilte Attacken solcher Art aufs Schärfste. "Wer einen Politiker oder eine Politikerin tätlich angreift, verachtet oft die staatliche Ordnung und den Politikbetrieb in Gänze", schreibt er in der Süddeutschen Zeitung.
Eine Schaffung von neuen Straftatbeständen hält Müller jedoch für unnötig. Stattdessen plädierte er für die konsequente Anwendung von bereits bestehendem Recht. Doch dafür bräuchten die Staatsanwaltschaften ausreichend Personal.