Studie "Jugend in Deutschland" So pessimistisch wie noch nie
Eine neue Studie mit mehr als 2.000 Befragten zeigt: Die junge Generation in Deutschland blickt düster in die Zukunft. Viele klagen über mentale Belastung und sind politisch unzufrieden. Davon profitiert offenbar vor allem die AfD.
"Unsere Probleme werden einfach nicht gesehen von der Politik", sagt Niklas und kickt den Fußball auf das Tor. Der 16-Jährige steht mit seinen Freunden auf einem Bolzplatz im Kölner Süden. "Natürlich sind wir gestresst wegen der Schule. Aber auch jedes Mal, wenn ich Nachrichten auf dem Handy lese, ist das frustrierend."
Die unsichere Weltlage, die Kriege, das Klima, das würde sie alle sehr belasten. "Keine Ahnung, wie mein Leben in 20 Jahren aussieht. Wir haben keinen Plan, wie unsere Welt dann noch aussehen wird." Mit diesen Gedanken sind Niklas und seine Freunde nicht allein. Das zeigt die Studie "Jugend in Deutschland", die seit 2020 regelmäßig vom Jugendforscher Simon Schnetzer durchgeführt wird.
Stimmung scheint zu kippen
Im Vergleich zu den früheren Studien scheint die Stimmung derzeit zu kippen. Das zeigt sich an einem hohen Ausmaß von psychischen Belastungen wie Stress, den 51 Prozent der Befragten angeben. Ähnlich zur Erschöpfung (36 Prozent) und der Hilflosigkeit (17 Prozent), die in den vergangenen drei Jahren trotz des Abflauens der Corona-Pandemie weiter angestiegen sind. Es geben elf Prozent der Befragten an, aktuell wegen psychischer Störungen in Behandlung zu sein.
Auch die wirtschaftliche Lage bedrücke sie. Die Mehrheit der Befragten geht davon aus, dass sich die wirtschaftliche Situation in Deutschland verschlechtern wird. "Unsere Studie dokumentiert eine tiefsitzende mentale Verunsicherung mit Verlust des Vertrauens in die Beeinflussbarkeit der persönlichen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen", sagt Studienautor Simon Schnetzer.
Positive Vision?
"Die Aussicht auf ein gutes Leben schwindet. Die große Frage für alle Akteure in der Gesellschaft wird sein, wie sie junge Menschen für eine positive Vision im Land begeistern und sie an Veränderungsprozessen beteiligen können", so Schnetzer.
Niklas und seine Freunde erzählen auf dem Bolzplatz, dass sie bei einigen Demonstrationen in Köln dabei waren, auch bei Fridays for Future. "Der Klimawandel macht uns schon Sorgen und ich kann nicht verstehen, wieso da keiner was tut und jetzt handelt", sagt Niklas. Sie sind interessiert an dem Thema, wie viele an ihrer Schule. Doch in einer politischen Partei will er sich nicht engagieren.
Fast der Hälfte der Befragten macht die Entwicklung des Klimas Sorgen und sie glauben, dass in Deutschland zu wenig für Umweltschutz getan wird.
Angst vor Inflation und Altersarmut
Die großen Sorgen der jungen Menschen in Deutschland aufgrund von Inflation (65 Prozent), teurem Wohnraum (54 Prozent) und Altersarmut (48 Prozent), aber auch die Spaltung der Gesellschaft (49 Prozent) oder die Zunahme von Flüchtlingsströmen (41 Prozent) führen zu hoher Unzufriedenheit der jungen Generation mit ihrer Lebenssituation und den politischen Verhältnissen.
Das Potenzial für rechtspopulistische Einstellungen in der jungen Generation habe sich deutlich verstärkt, wie ein Vergleich mit früheren Studien zeigt. "Wir können von einem deutlichen Rechtsruck in der jungen Bevölkerung sprechen. Das schlägt sich in den politischen Präferenzen der 14- bis 29-Jährigen nieder. Während die Parteien der Ampelregierung in der Gunst immer weiter absinken, hat die AfD besonders großen Zulauf", sagt Studienautor und Bildungsforscher Klaus Hurrelmann von der Hertie School Berlin.
Die Studie "Jugend in Deutschland" basiert auf einer Online-Befragung von 2.042 Personen im Alter von 14 bis 29 Jahren. Die Studie wird seit dem Jahr 2020 in regelmäßigem Abstand wiederholt.
Die Stichproben wurden so zusammengestellt, dass sie der soziodemografischen Altersstruktur der deutschsprachigen Gesamtbevölkerung in Deutschland der jeweiligen Altersgruppe entsprechen. Der Erhebungszeitraum der Befragung erstreckte sich vom 08. Januar bis zum 12. Februar 2024.
AfD als stärkste Partei
Es sei der AfD gelungen, sich als Protestpartei für die Ampel und als mutmaßlicher Problemlöser für die aktuellen Sorgen der Jugend anzubieten. Die AfD stehe laut ihrer Befragung mit 22 Prozent aktuell an der Spitze der Wählergunst bei den unter 30-Jährigen (2022: 9 Prozent). AfD und CDU/CSU hätten stark in der Gunst zugelegt, die Regierungsparteien enorm verloren.
Demnach würden sich 20 Prozent für die CDU entscheiden (2022: 16 Prozent). Alle weiteren Parteien verlieren bei der jungen Generation Stimmen: Die Grünen liegen in der Gunst der jungen Wähler zur Zeit bei 18 Prozent (2022: 27 Prozent), die SPD bei 12 Prozent (2022: 14 Prozent), die FDP bei acht Prozent (2022: 19 Prozent). Ein Viertel bezeichnete sich als unentschlossen.
"Es fällt auf, wie nüchtern die Jugend in Deutschland ihre Chance einschätzt, auf das politische Leben Einfluss zu nehmen", sagt Simon Schnetzer. "Es fehlt der jungen Generation eine motivierende Zukunftsperspektive."
Ganz so drastisch mag es Niklas aus Köln nicht beschreiben. Der 16-Jährige will sein Abitur machen und dann Umweltwissenschaften studieren. "Als Ingenieur kann ich etwas für die Gesellschaft verändern. Das ist mir schon wichtig", sagt er. "Mein Leben ist mit den Krisen anders und auch fordernder als das meiner Eltern." Das sei aber kein Grund, aufzugeben und auch kein Grund, gar nicht erst anzufangen. Es beginnt zu regnen und die vier Freunde spielen weiter Fußball auf dem Bolzplatz.