Zeugen Jehovas Weltuntergang und Gehorsam
Seit mehr als 100 Jahren existieren die Zeugen Jehovas - mehr als acht Millionen Menschen sind heute Mitglieder. Die Glaubensgemeinschaft war nicht nur Verfolgungen ausgesetzt, sondern provozierte mit ihrer Lehre immer wieder heftige Kritik.
Die von dem Amoklauf in Hamburg betroffenen Zeugen Jehovas sind seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland aktiv. Zunächst trat die in den USA 1870 entstandene Gruppierung unter der Bezeichnung "Bibelforscher" auf, seit 1931 heißt die Religionsgemeinschaft weltweit Zeugen Jehovas.
Ihre bekannteste Publikation ist der "Wachtturm". Die Zeugen Jehovas haben nach eigenen Angaben weltweit rund 8,7 Millionen Mitglieder, in Deutschland seien es rund 170.000. Die Zentrale befindet sich im US-Bundesstaat New York, die deutsche Leitung hat ihren Sitz in Selters im Taunus.
Glaube an den Weltuntergang
Obwohl sich die Gemeinschaft selbst als christlich ansieht, unterscheidet sie sich deutlich von jenen der großen Kirchen. Die Dreifaltigkeit - Gott, Sohn, Heiliger Geist - lehnt sie ebenso wie andere Kirchen ab. Kirchliche Traditionen und Gebräuche wie das Weihnachtsfest oder die Kindertaufe verwerfen die Zeugen Jehovas als unbiblisch. Es gibt bei ihnen auch keine Ökumene.
Die Zeugen Jehovas haben eine eigene Bibelübersetzung, in der Gott "Jehova" heißt - eine Ableitung der hebräischen Bezeichnung "JHWH", die unter anderem im Alten Testament vorkommt. Im griechischen Urtext des Neuen Testaments gibt es diese Bezeichnung nicht - dort ist ausschließlich von "kyrios" ("Herr") die Rede.
Ihre Lehre beruht auf einer wörtlichen Auslegung. Im Mittelpunkt steht die Erwartung des Weltuntergangs, der endzeitlichen Vernichtungsschlacht "Harmagedon", bei der Gott alles "Böse" ausrotten werde.
Experten sehen totalitäre Strukturen
Ihrem eigenen Glauben nach kann eine begrenzte Zahl von 144.000 Menschen nach ihrem Tod in den Himmel kommen und dort mit Jesus eine Weltregierung bilden. Dies sind für die Zeugen Jehovas Menschen mit himmlischer Hoffnung - andere Gläubige haben eine irdische Hoffnung, was Kritiker als Zweiklassengesellschaft im Glauben sehen.
Kirchliche und staatliche Sektenexperten werfen der Glaubensgemeinschaft totalitäre Strukturen vor. Nach Angaben der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen erwarten die Zeugen Jehovas unbedingten Gehorsam, für kritische Rückfragen oder Bedenken lassen sie keinen Raum.
Wegweisendes Urteil im Jahr 2000
Die Zeugen Jehovas respektieren Gesetze, haben jedoch eine kritische Haltung in Bezug auf staatliche Strukturen. Den Wehrdienst lehnen sie ab. In der NS-Zeit wurden sie daher verfolgt, auch in der DDR waren sie verboten.
Rechtliche Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts hat die Glaubensgemeinschaft in Deutschland erst seit 2017 in allen Bundesländern. Dem ging ein jahrelanger Rechtsstreit voraus, in dem ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2000 wegweisend wurde.
Die Karlsruher Richter entschieden damals, dass die Zeugen Jehovas rechtstreu sind - eine wesentliche Voraussetzung für die staatliche Anerkennung, die etwa mit dem Recht zum Einzug der Kirchensteuer verbunden ist.
Staat als "Bestandteil des Weltsatans"
Auf diese Entscheidung beriefen sich die Zeugen Jehovas im Kampf um die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Viele Gerichte lehnten diese Anerkennung ab, weil die Anhänger der Zeugen Jehovas weder aktiv noch passiv an Wahlen teilnehmen sollen.
Außerdem glauben die Zeugen Jehovas daran, dass die ganze Welt "in der Gewalt des Bösen" sei - und somit auch der Staat. Dies sah das Bundesverfassungsgericht nicht als Widerspruch zur Rechtstreue, da die Zeugen Jehovas gleichzeitig den Staat als "von Gott geduldete Übergangsordnung" akzeptieren. Die Nichtteilnahme an Wahlen ist für Karlsruhe ebenfalls von der Verfassung gedeckt.