Schüsse in Hamburg Was bisher bekannt ist
Der Täter des Amoklaufs in Hamburg hatte noch sehr viel Munition bei sich - vermutlich haben Polizisten ein noch schlimmeres Blutbad verhindert. Gewissheit über das Motiv gibt es noch nicht. Ein Überblick, was über die Tat bekannt ist.
Was ist über den Tathergang bekannt?
Gegen 21 Uhr fielen am Donnerstagabend im Hamburger Stadtteil Alsterdorf nach der regulären Versammlung der Zeugen Jehovas Schüsse. Die Veranstaltung hatte um etwa 19 Uhr im "Königreichssaal" begonnen. So nennt die Gemeinschaft die Gebäude, in denen sie ihre Zusammenkünfte abhält.
Täter Philipp F. soll auf dem Parkplatz zehnmal auf das Auto einer Frau gefeuert haben, die gerade am Rangieren war. Sie konnte leicht verletzt fliehen. Danach soll er im hinteren Teil des Gebäudes durch oder auf eine Fensterscheibe geschossen haben und danach in das Haus eingedrungen sein. Der Leiter der Schutzpolizei, Martin Tresp, sprach von "permanenten Schüssen", während sich Philipp F. Zugang zum Gebäude verschaffte.
Dann schoss er auf die Anwesenden. Nachbarn berichteten von "wiederholten Feuersalven". Hamburgs Innensenator Andy Grote bezeichnete den Angriff als "Amoktat". Der Täter verschoss bei der Tat Polizeiangaben zufolge neun Magazine, was mehr als 130 Schuss entspricht. 22 weitere Magazine habe er bei sich getragen.
Wie lief der Polizeieinsatz ab?
Bereits wenige Minuten nach den ersten Schüssen gingen bei der Polizei die Notrufe ein. Um 21.08 Uhr waren demnach erste Einsatzkräfte der Spezialeinheit "Unterstützungsstreife für erschwerte Einsatzlagen" (USE) vor Ort. Die auf Terror- und Amokeinsätze spezialisierten Beamten der Bereitschaftspolizei seien kurz vor Feierabend in der Nähe unterwegs gewesen. Das Hamburger Polizeipräsidium befindet sich etwa anderthalb Kilometer vom Tatort entfernt.
Die Beamten verschafften sich Zugang zum Gebäude und unterbrachen offenbar so die Pistolensalven des Philipp F.. Der mutmaßliche Täter soll daraufhin ins erste Obergeschoss des Gebäudes geflüchtet sein, wo er sich selbst erschoss.
Wie viele Beamten waren im Einsatz?
Die Polizei geht derzeit davon aus, dass Philipp F. alleine handelte. Am Donnerstagabend habe es jedoch Hinweise auf einen zweiten möglichen Täter gegeben, weswegen die Beamten mit einem Großaufgebot ausrückten, auch Hubschrauber, Boote und Straßensperren kamen zum Einsatz. Insgesamt waren an dem Polizeieinsatz fast 1000 Beamte beteiligt. 52 davon seien Bundespolizisten oder Spezialeinsatzkräfte aus Schleswig-Holstein gewesen.
Die Straßen rund um den Tatort blieben bis zum frühen Freitagmorgen gesperrt. Auch die Spurensicherung dauerte bis zum Morgen an.
Die Bevölkerung war am Donnerstagabend kurz nach den Schüssen durch eine amtliche Gefahrendurchsage gewarnt worden. Darin war die Rede von einer "extremen Gefahr". Kurz nach 3.00 Uhr morgens hob das Bundesamt für Bevölkerungsschutz die Gefahrenwarnung wieder auf.
Wie viele Opfer gibt es?
Sieben Menschen wurden tödlich verletzt. Dazu zählen laut Polizeipräsident Ralf Martin Meyer vier Männer und zwei Frauen im Alter zwischen 33 und 60 Jahren sowie ein noch ungeborenes Kind von sieben Monaten. Die Mutter überlebte schwer verletzt. Der achte Tote ist der Schütze.
Darüber hinaus wurden sechs Frauen und zwei Männer im Alter zwischen 23 und 46 Jahren verletzt, wie Innensenator Grote bekannt gab. Mindestens vier dieser Opfer hätten lebensbedrohliche Verletzungen erlitten, sie schwebten nach Polizeiangaben auch am Samstag noch in Lebensgefahr.
20 Menschen konnten körperlich unverletzt aus dem Gebäude in Sicherheit gebracht werden. Grote zufolge sei es wahrscheinlich "dem sehr, sehr schnellen und entschlossenen Eingreifen der Einsatzkräfte der Polizei zu verdanken", dass es nicht noch mehr Opfer gegeben habe.
Wer ist der Täter?
Bei dem Täter handelt es sich Hamburgs Innensenator zufolge um einen 35 Jahre alten Deutschen, der seit 2014 in Hamburg lebte und arbeitete.
Philipp F. stammt aus dem bayerischen Memmingen. Studiert habe er in München, sagte Thomas Radszuweit, Leiter des Staatsschutzes der Hamburger Polizei. Seit 2015 war er nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa in Hamburg gemeldet, aufgewachsen ist er demnach in Kempten im Allgäu - in einem streng gläubigen Haushalt, wie der "Spiegel" berichtete.
Der 35-Jährige hatte nach eigenen Angaben eine Banklehre absolviert und anschließend Betriebswirtschaftslehre studiert. Im Internet bot er sich als Berater in Bereichen von "Controlling" bis "Theologie" an. Vor einigen Monaten veröffentlichte er ein Buch in englischer Sprache, das offenbar krude religiöse Thesen enthält.
Welche Verbindung hat Philipp F. zu den Zeugen Jehovas?
Philipp F. war laut Grote ein ehemaliges Mitglied der Zeugen Jehovas. Er habe die Gemeinschaft vor anderthalb Jahren "freiwillig, aber nicht im Guten" verlassen. Das mögliche Motiv des Mannes ist aber unklar, so Radszuweit. Bislang gehe die Polizei nicht von einer politisch motivierten Tat aus.
Mögliche Konflikte innerhalb der Glaubensgemeinschaft schließen die Ermittler nicht aus. Polizeipräsident Meyer sagte, es gebe Hinweise auf einen Streit "möglicherweise aus dem Bereich der Zeugen Jehovas". Das müsse geprüft werden, in den Akten habe man dazu nichts gefunden. Radszuweit sagte, die Frage von Streitigkeiten sei derzeit Gegenstand der Ermittlungen.
Wie gelangte der Täter an die Waffe?
Philipp F. war Sportschütze. Seit Dezember war er im legalen Besitz einer halbautomatischen Pistole des Herstellers Heckler & Koch. Bei dieser Pistole handelt es sich nach Angaben der Ermittler auch um die Tatwaffe des Schützen.
Der Mann war nicht vorbestraft und daher polizeilich nicht erfasst. Allerdings hatte Philipp F. selbst zwei Strafanzeigen wegen des Verdachts des Betruges eingereicht, sagte Ralf Peter Anders von der Staatsanwaltschaft Hamburg. Einer dieser Strafanzeigen werde jetzt erneut nachgegangen.
Gab es vor der Tat Hinweise?
Die Waffenbehörde erhielt nach Angaben des Hamburger Polizeipräsidenten Ralf Martin Meyer im Januar einen anonymen Hinweis auf eine mögliche psychische Erkrankung von Philipp F. Ziel des unbekannten Schreibers sei es gewesen, das Verhalten und die waffenrechtlichen Vorschriften in Bezug auf Philipp F. überprüfen zu lassen. Die unbekannte Person habe ferner geschrieben, dass die psychische Erkrankung von F. möglicherweise ärztlich nicht diagnostiziert sei, da sich der 35-Jährige nicht in ärztliche Behandlung begebe.
F. habe laut dem Schreiben eine besondere Wut auf religiöse Anhänger gehegt, besonders auf die Zeugen Jehovas und einen ehemaligen Arbeitgeber. Die Beamten der Waffenbehörde hätten nach dem Hinweis recherchiert. Anfang Februar sei F. von zwei Beamten der Waffenbehörde unangekündigt aufgesucht worden. Dies sei eine Standardkontrolle gewesen, die nach einem anonymen Hinweis erfolge. F. habe sich kooperativ gezeigt, sagte Meyer. Es habe keine relevanten Beanstandungen gegeben. Die rechtlichen Möglichkeiten seien damit ausgeschöpft gewesen.
Wie ist der Ermittlungsstand?
In der Wohnung von Philipp F. fanden Polizisten 15 geladene Magazine mit je 15 Patronen und weitere 200 Patronen, sagte der Leiter der Hamburger Staatsanwaltschaft Anders. Außerdem seien elektronische Geräte wie Laptops und Smartphones sichergestellt worden. Die darauf befindlichen Daten würden nun ausgewertet.
Die Polizei sucht Zeugen, die Angaben zum Tathergang machen können. Im Internet hat die Polizei dafür auch ein Portal eingerichtet, über welches Hinweise eingereicht werden können.