Türkische Grenzöffnung Berlin sieht keinen Vergleich zu 2015
Die Flüchtlinge an der griechischen Grenze setzen die EU unter Druck - für die Bundesregierung ist die Situation dennoch nicht mit 2015 vergleichbar. Als "völlig inakzeptabel" nannte Kanzlerin Merkel den Umgang der Türkei mit den Menschen.
Für die Bundesregierung ist die aktuelle Lage an der türkisch-griechischen Grenze nicht vergleichbar mit der Situation 2015, als innerhalb kürzester Zeit Hunderttausende Flüchtlinge in die EU drängten.
Es gebe inzwischen das EU-Türkei-Abkommen und auch die EU-Grenzschutzbehörde Frontex sei besser aufgestellt, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Außerdem bestehe eine "intensive politische Zusammenarbeit" zwischen der EU und vielen Herkunfts- und Transitländern der Flüchtlinge. "Mit solchen historischen Vergleichen kommen wir überhaupt nicht weiter", sagte er. Die Frage, ob die Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel weiterhin gelte, dass sich 2015 nicht wiederholen werde, beantwortete Seibert mit ja.
Merkel fordert von Ankara Dialog mit der EU
Merkel kritisierte den Umgang der Türkei mit Flüchtlingen in dem Land scharf. "Der türkische Präsident fühlt sich im Augenblick nicht ausreichend unterstützt", sagte sie. Bei allem Verständnis sei es aber "völlig inakzeptabel, dass man das jetzt auf dem Rücken von Flüchtlingen austrägt. Denn die Flüchtlinge sind jetzt in eine Situation gebracht worden, dort an die Grenze zu gehen und im Grunde in einer Sackgasse zu landen".
Die Türkei stehe "vor einer sehr großen Aufgabe", so Merkel. Doch die Regierung in Ankara müsse ihre "Unzufriedenheit" mit der EU austragen und nicht auf Kosten der Flüchtlinge. Das Problem der Flüchtlinge in der Türkei sei nur zu lösen, wenn alle Seiten so schnell wie möglich wieder zu den Vereinbarungen des EU-Türkei-Migrationsabkommens zurückkehrten.
Besser vorbereitet auf Flüchtlinge
Nach Angaben aus dem Bundesinnenministerium ist bei der Zahl der in Deutschland eintreffenden Flüchtlinge und Migranten derzeit kein Anstieg "feststellbar". Zugleich hätten "alle beteiligten Behörden" auf Bundes- und Landesebene ihre Schlüsse aus den Ereignissen im Jahr 2015 gezogen. Die Voraussetzungen für den Fall eines erneuten starken Anstiegs der Zahl von Neuankömmlingen seien heute "deutlich besser".
Aktuell harren an der türkisch-griechischen Grenze Tausende Flüchtlinge aus. Seit dem Wochenende hindert die Türkei viele Migranten nicht mehr daran, in die EU zu gelangen - trotz des Abkommens mit Brüssel. Griechische Sicherheitskräfte versuchen die Flüchtlinge von einer Grenzüberschreitung abzuhalten und setzten dafür auch heute wieder Tränengas und Blendgranaten ein.
Bundesaußenminister Heiko Maas betonte, Griechenland dürfe nicht allein gelassen werden. In Richtung Türkei sagte Maas, das Land stemme mit der Unterbringung von "mittlerweile fast vier Millionen Flüchtlingen" eine große Last. Trotzdem müsse die Europäische Union das Land an die Einhaltung seiner Verpflichtungen erinnern.
EU-Führung will sich selbst ein Bild machen
Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte klar, dass sie das Vorgehen der Türkei, die Grenzen zur EU für geöffnet zu erklären, ablehne. Sie erkenne an, dass die Türkei mit Blick auf Migranten und Flüchtlinge in einer schwierigen Situation sei. "Aber was wir jetzt sehen, kann nicht die Antwort oder Lösung sein." Deswegen werde der Dialog mit Ankara intensiviert.
Zugleich sicherte von der Leyen Griechenland und Bulgarien weitere Unterstützung zu. Priorität sei, die Situation vor Ort zu bewältigen, sagte die CDU-Politikerin. Die Herausforderung, der beide Länder gegenüberstünden, sei eine europäische. Von der Leyen kündigte an, am Dienstag mit EU-Ratschef Charles Michel und dem Präsidenten des Europaparlaments, David Sassoli, ins griechisch-türkische Grenzgebiet zu reisen, um abzuschätzen, welche Unterstützung gebraucht werde.
Die Krise an der Außengrenze der EU beschäftigt auch Österreich und Ungarn. Beide Länder betonten ihren gemeinsamen Willen zum Kampf gegen illegale Grenzübertritte. Österreich sei im Vergleich zur Migrationskrise 2015 deutlich besser aufgestellt, sagte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem ungarischen Kollegen Sandor Pinter. Österreich habe mehr Polizisten zur Verfügung, eine bessere Einsatztaktik und eine bessere Ausrüstung. "Unser Ziel ist es und bleibt es: anhalten und nicht durchwinken", sagte Nehammer.
Auch die EU erwarte, dass Ankara seinen Verpflichtungen aus dem Flüchtlingsabkommen aus dem Jahr 2016 nachkomme, sagte ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Bislang habe keine Seite das Abkommen offiziell gekündigt. Deshalb arbeite man weiter mit den türkischen Partnern daran, wieder zur Normalität zurückzukehren und den Deal so anzuwenden wie bis zum Ende vergangener Woche.
Merz und Röttgen fordern Unterstützung der Türkei
Vom CDU-Vorsitzbewerber Friedrich Merz kam die Forderung, der Türkei jede nötige Unterstützung zur Unterbringung von Flüchtlingen zu geben. Und auch Griechenland müsse angesichts der prekären Lage auf den Inseln womöglich besser unterstützt werden: Deutschland sollte "helfen und vielleicht auch mehr helfen" als bisher. Zugleich müsse ein Kontrollverlust wie 2015 vermieden werden. An die Flüchtlinge sollte das Signal gehen, dass es "keinen Sinn hat, nach Deutschland zu kommen", sagte Merz dem MDR.
Auch Ex-Umweltminister und Kandidat für den CDU-Vorsitz, Norbert Röttgen, sprach sich für weitere Hilfen an die Türkei und damit für eine Weiterführung des Flüchtlingspakts aus: "Entweder wir Europäer helfen den Flüchtlingen in der Türkei unter Kooperation mit der Türkei oder die Flüchtlinge werden aus ihrer Not getrieben und zu uns kommen", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag im ARD-Morgenmagazin. Außerdem forderte Röttgen, im Syrien-Konflikt mehr Druck auf Russland auszuüben. Russland sei "politisch der entscheidende Spieler", um die Fluchtursachen in Syrien unter Kontrolle zu bekommen.
Baerbock: 5000 Menschen aus griechischen Lagern aufnehmen
Grünen-Chefin Annalena Baerbock forderte, dass Deutschland zunächst 5000 besonders schutzbedürftige Menschen aus Flüchtlingslagern auf griechischen Inseln aufnimmt. Dazu liege im Bundestag ein Antrag der Grünen vor, der schnell beschlossen werden könne, sagte Baerbock.
Sie erinnerte daran, dass Deutschland 2016 die Aufnahme von 27.000 Schutzsuchenden aus Italien und Griechenland zugesagt hatte. Es seien aber im Rahmen der EU-Vereinbarung nur gut 10.000 aufgenommen worden. Baerbock betonte, etliche Städte und Gemeinden in Deutschland hätten angeboten, Flüchtlinge aufzunehmen. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) müsse das ermöglichen.
Die EU-Staaten müssten außerdem an der griechisch-türkischen Grenze über Frontex und die europäische Asylagentur "für Humanität und Ordnung" sorgen, sagte Baerbock. Die EU-Außengrenze dürfe nicht unkontrolliert geöffnet werden, es müsse aber die Möglichkeit zum geordneten Grenzübertritt geben. Die Menschen an der Grenze müssten versorgt und registriert, die Schutzsuchenden von den griechischen Inseln in Sicherheit gebracht werden.