"Compact" und "Freie Sachsen" Im Fahrwasser der AfD
Die extreme Rechte hofft auf eine "patriotische Wende" bei den Wahlen im Sommer und Herbst. Das Magazin "Compact" veranstaltet deshalb AfD-nahe "Volksfeste" - und die "Freien Sachsen" wollen sich neben der Partei in Stellung bringen.
Gleich zu Beginn geht es um "die Partei mit den drei Buchstaben". Die AfD, ruft der Moderator, habe "die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, unser Land zurückzuholen". Dafür werde man "gemeinsam" sorgen. Die Menschen auf den Bierbänken vor der Bühne jubeln.
Etwas weniger als 300 sind an diesem Samstagabend auf den Bahnhofsplatz von Sonneberg in Thüringen gekommen. Das rechtsextremistische "Compact"-Magazin hat ein "Volksfest" versprochen - mit "Compact und AfD zum Anfassen".
In einer Vorankündigung träumte "Compact" angesichts guter Umfragewerte bereits von "AfD-Alleinregierungen" in Thüringen und Sachsen. Mit einer Tour wolle man vor den Kommunal- und Landtagswahlen dort helfen, "wo die Kräfte der AfD nicht ausreichen".
Von der AfD sind in Sonneberg Petr Bystron - aktuell mit Korruptionsvorwürfen belasteter Europa-Kandidat - sowie Doris von Sayn-Wittgenstein als Redner angekündigt. Moderator Egbert Ermer war früher selbst in der Partei, ebenso Gast André Poggenburg.
Verdeckte Wahlwerbung für die AfD?
Sie alle schreckt nicht, dass "Compact" laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz regelmäßig "antisemitische, minderheitenfeindliche, geschichtsrevisionistische und verschwörungsideologische Inhalte" verbreitet. Das Magazin selbst sieht sich mit einer angeblich verkauften Auflage von 40.000 Heften als größtes Medium "des Widerstands".
Chefredakteur Jürgen Elsässer sagt auf der Bühne, es gehe 2024 darum, "die da oben davonzujagen". Die Bundesregierung nennt er "Vaterlandsverräter". Die "Blaue Welle" sei aber nur Werbung für eine "patriotische Wende" in Deutschland, "kein Wahlkampf", so Elsässer.
Die Relativierung hat einen Grund: Der AfD ging die Compact-Tour zu weit. Man wolle erreichen, "dass eine Zuordnung dieser Veranstaltungen zur AfD nicht möglich ist", teilte der Parteivorstand dem ARD-Politikmagazin Kontraste mit. Einige AfD-Vertreter zogen sich von der Tour zurück. Die Bundestagsverwaltung wiederum prüft eine mögliche Parteispende.
Elsässer sagt tagesschau.de, er habe eine Unterlassungserklärung unterschrieben. Er werde keine Wahlwerbung für die AfD machen. Auch dass der Name der Tour "Blaue Welle" sei, habe nichts mit der Parteifarbe der AfD zu tun: blau.
Geld verdienen mit der politischen Stimmung
Für Elsässer ist die AfD auch eine Geschäftsbeziehung. "Compact" verkauft Sondermünzen und -hefte mit dem Konterfei des thüringischen AfD-Landeschefs Björn Höcke und Plakate eines Magazincovers mit der Parteivorsitzenden Alice Weidel. Mitunter schalten AfD-Landtagsfraktionen und Landesverbände Anzeigen.
Von den Anzeigen sei man nicht abhängig, sagt Elsässer, räumt aber ein, dass sich AfD-Inhalte im "Compact"-Shop besonders gut verkaufen würden. Der silberne "Höcke-Taler" kostet bei einem Materialwert von rund 13 Euro knapp unter 70 Euro.
Auch die Redaktion profitiert von der AfD-Nähe: Robert Sesselmann, hier in Sonneberg vor einem Jahr zu einem ersten AfD-Landrat Deutschlands gewählt, durfte "Compact" exklusiv begleiten. Sesselmann besucht an diesem Samstag auch die Veranstaltung - aus "reinem Interesse", wie er auf Nachfrage sagt.
Lied: "Wählt die AfD"
Die Einladung, hier zu reden, habe er aus rechtlichen Bedenken ausgeschlagen. Kurz darauf beendet Sesselmann das Gespräch und verlässt, nachdem ihn ein Kamerateam von "Spiegel-TV" anspricht, den Platz um die Ecke von seinem eigenen Amtssitz.
So verpasst der Landrat nicht nur seinen Parteikollegen Petr Bystron, der erklärt, dass das hier "kein Wahlkampf" sei und er lediglich als Buchautor gekommen wäre, sondern auch den Auftritt von Björn Winter alias Björn Banane. Der Sänger ist mit Auftritten bei "Querdenker"-Demonstrationen bekannt geworden. Zuletzt hat er sich der AfD angenähert.
Zu Winters Repertoire in Sonneberg gehört das neue Lied "Mein Herz schlägt Blau", in dem er mehrfach ruft: "Wählt die AfD!" Jürgen Elsässer sagt, das sei nicht mit ihm abgesprochen. Dennoch lässt er Winter gleich zweimal gewähren.
"Freie Sachsen" wollen sich etablieren
Bereits zwei Tage vor dem "Compact"-Stop in Sonneberg treffen sich in einem Dorf bei Zwickau die "Freien Sachsen". Die rechtsextreme Partei hat sich Prominenz im Kommunalwahlkampf eingeladen: Andreas Kalbitz, einst Kopf des völkischen "Flügels", vor vier Jahren aber aus der AfD ausgeschlossen.
Laut "Leipziger Volkszeitung" erklärt Kalbitz den Zuhörern, die "Freien Sachsen" wären in eine von der AfD gelassene Lücke gestoßen und nun ein möglicher Koalitionspartner.
Der sächsische Verfassungsschutz stuft die "Freien Sachsen" als gesichert rechtsextremistisch ein. Die Partei propagiert offen einen "Umsturz" und ist ein maßgeblicher Treiber hinter Corona- und Asyl-Protesten. Mehrere Mitglieder waren oder sind parallel auch in der NPD-Nachfolgepartei Die Heimat aktiv.
Ambivalentes Verhältnis
Der Parteivorsitzende Martin Kohlmann spricht oft über die AfD. In einer Online-Diskussion sagte Kohlmann, die "Freien Sachsen" seien der "Pflock" für die AfD. Die solle davon abgehalten werden, mit der CDU zu koalieren. Er strebe gemeinsame Mehrheiten "gegen den Sumpf" der anderen Parteien an.
Laut dem Soziologen Johannes Kiess vom Leipziger Else-Frenkel-Brunswik-Institut wollen die "Freien Sachsen" die AfD "auf einen extrem rechten Anti-System-Kurs bis zum Umsturz halten beziehungsweise bringen". Dass Letzterer ernsthaft verfolgt werde, werde dabei zur Bedingung für eine Zusammenarbeit gemacht.
So kritisieren die "Freien Sachsen" regelmäßig AfD-Vertreter, die AfD wiederum hat die "Freien Sachsen" auf ihre Unvereinbarkeitsliste gesetzt. Und doch tritt man zusammen auf. Im Januar sagte die AfD-Bundestagsabgeordnete Carolin Bachmann bei einer von "Freien Sachsen" organisierten Demo, man arbeite gemeinsam "im Widerstand" - auf der Straße und in den Parlamenten.
"Die Ambivalenz ist von beiden Seiten gewollt", sagt Soziologe Kiess. Die Mobilisierung der "Freien Sachsen" durch Proteste helfe der AfD. Die Diskursverschiebung nach rechts durch die AfD helfe wiederum den noch radikaleren "Freien Sachsen".
Mehrheiten nicht abwegig
Bei den Kommunalwahlen in Sachsen treten die "Freien Sachsen" nun voraussichtlich in allen Landkreisen, kreisfreien Städten und einigen kleineren Städten und Gemeinden an. Die Partei peile zweistellige Ergebnisse an, teilt ein Sprecher mit. In einigen Kommunen wolle man sogar stärkste Kraft werden.
Das Potenzial dafür ist da: 2022, als die "Freien Sachsen" bei drei Landratswahlen erstmals Kandidaten aufstellten, erhielten diese um die 10 Prozent - in einem Fall sogar 20. In dem Kreis war die AfD allerdings nicht angetreten.
Johannes Kiess hält in einzelnen Gemeinden gemeinsame Mehrheiten von Freien Sachsen und AfD für möglich. Er erwartet, dass beide dann zusammenarbeiten. Auch im Wahlkampf werde es keine großen Differenzen geben.
Anders sieht es bei den Landtagswahlen aus. Auch für diese haben die "Freien Sachsen" laut dem Sprecher bereits eine Liste aufgestellt. Über einen Antritt soll aber erst nach den Kommunalwahlen entschieden werden.
Käme es dazu, wäre es für die AfD "fatal", sagt Soziologe Johannes Kiess. Die Stimmen für die "Freien Sachsen" könnten ihr im Kampf um Direktmandate und den symbolisch wichtigen ersten Platz vor der CDU fehlen.