Regierungsbildung in Ländern Die verbliebenen Chancen einer Brombeer-Koalition
In Sachsen platzen die Gespräche mit der Wagenknecht-Partei BSW. CDU und SPD in Thüringen und Brandenburg wollen sich davon nicht verunsichern lassen. Sie verhandeln weiter.
Das rohe Ei, das Mario Voigt balanciert, will einfach nicht hart werden. Thüringens CDU-Chef schmiedet in Erfurt eine Koalition mit der SPD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht. Aber die Gesamtgemengelage wird mit jedem Tag komplizierter. In Thüringen, in Ostdeutschland, in Berlin und in der Welt.
Voigt gibt sich dennoch optimistisch: "Gerade in Zeiten, wo viel Unsicherheit herrscht mit den Wahlen in den USA, dem Aus der Ampel und einem Krieg vor der Haustür, braucht Thüringen eine stabile und verlässliche Regierung." Daran arbeiteten CDU, SPD und BSW "intensiv", so Voigt zu tagesschau.de. Sprich: trotz aller neuen Unsicherheiten.
Sachsen: Vorwürfe von CDU und SPD gegen BSW
Denn am Mittwoch hatte die Wagenknecht-Partei im benachbarten Sachsen die Sondierungen mit CDU und SPD überraschend abgebrochen. Beide Parteien hätten sich geweigert, "einem Bekenntnis zur Friedenspolitik" zuzustimmen, hieß es. Damit ist die erste von zwei möglichen Brombeer-Koalitionen geplatzt. Sachsens BSW-Chefin Sabine Zimmermann sagt kurz darauf: "Wer so Politik macht, verliert die Menschen im Land."
CDU und SPD werfen dem BSW hingegen vor, eine am Dienstagabend geeinte Formulierung am Mittwoch erneut aufgekündigt zu haben. Dabei hatte diese bereits Kritik an Waffenlieferungen und die Forderung nach mehr diplomatischen Initiativen für Ende des Krieges in der Ukraine enthalten - also Wagenknecht-Kernforderungen. Andere Gründe seien vorgeschoben, so CDU und SPD. Vor allem sei der Bruch inszeniert gewesen.
Sachsens CDU-Chef Michael Kretschmer spricht am Mittwochnachmittag von den "Beinen", die Sahra Wagenknecht "ihren sächsischen Leuten" gestellt habe. Sein Vorwurf: Das BSW stiehlt sich von Berlin gesteuert aus der Verantwortung um den Freistaat.
Wie es nun weitergeht, soll sich erst kommende Woche entscheiden. Spitzenpolitiker beider Parteien zeigen sich erstmals offen für eine CDU-SPD-Minderheitsregierung. Gerade innerhalb der CDU hat die Idee viele Anhänger.
Das BSW schließt zumindest nicht aus, Kretschmer zum Ministerpräsidenten zu wählen. Ein solcher muss laut sächsischer Verfassung bis Anfang Februar gewählt sein, ansonsten kommt es zu Neuwahlen. Wie sich die Regierung dann allerdings ihre Mehrheiten organisieren sollte, dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen.
Thüringen: BSW macht nach internem Krach weiter
Die Entscheidung aus Sachsen weckt Zweifel an der Verlässlichkeit des BSW und bringt weitere Unruhe in den Thüringer Landesverband. Hier hatte die Partei auf Drängen der Bundesspitze schon vor zwei Wochen ein ähnliches Manöver gebracht. Zum Abbruch der Gespräche kam es nur nicht, weil sich die Landesvorsitzenden Katja Wolf und Steffen Schütz schließlich ohne das Einverständnis von Sahra Wagenknecht doch noch mit CDU und SPD einigten.
Die strittige Präambel für einen Koalitionsvertrag, die die drei Parteien vorlegten, enthält Forderungen zu mehr Diplomatie und Debatte. Bei Waffenlieferungen und der Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland werden unterschiedliche Haltungen betont.
Ein Affront für Wagenknecht, die einen harten Kurs über Regierungsverantwortung stellt und die Einigung schnell als Fehler bezeichnete. Anschließend gingen mehrere BSW-Spitzenpolitiker die Thüringer Parteikollegen öffentlich an. Der Bundesvorstand forderte per Beschluss, CDU und SPD weitere Zugeständnisse abzuringen, andernfalls solle das BSW in die Opposition gehen.
Landesparteitag wird Entscheidung bringen
Manche in Thüringen vermuten, Wagenknecht sei schlicht gekränkt. Andere glauben, nur noch nicht in Berlin mit bisherigen Verhandlungserfolgen durchgedrungen zu sein.
Zwei der fünfzehn Landtagsabgeordnete erklärten wiederum öffentlich, dass sie hinter dem Bundesvorstand stehen. Da CDU, SPD und BSW zusammen eh nur auf genau die Hälfte aller Sitze im Erfurter Landtag kommen, wäre jeder Abweichler eine große Hypothek.
Bei einem BSW-Mitgliedertreffen am Samstag der vergangenen Woche glätteten sich die Wogen vorerst. Laut mehreren Teilnehmern holte sich die Landesspitze dort Rückhalt für die Verhandlungen mit CDU und SPD. Allerdings will das BSW nun seine außenpolitischen Forderungen in einem Koalitionsvertrag nachschärfen.
Der Bundesvorstand lässt vorerst gewähren, wohl auch, weil das Gremium bereits anderweitig Fakten geschaffen hat. So wurden in Berlin mehr als 20 Mitglieder neu in den Thüringer Landesverband aufgenommen, der dabei offenbar nicht einbezogen war.
Im BSW kann bislang nur der Bundesvorstand über die Aufnahme entscheiden. Die Auswirkungen sind nicht zu unterschätzen, denn am 23. November soll ein BSW-Landesparteitag über die Annahme eines Koalitionsvertrags entscheiden, sollte dieser bis dahin vorliegen.
Voigt will Partnern Chance geben, "sichtbar zu sein"
Wagenknecht selbst bleibt in dieser Woche ungewohnt wortkarg. "Wir werden die Probleme klären, die aktuell in Thüringen existieren", sagt sie am Dienstag. Welche Probleme das sind, sagt sie nicht. Sie habe zur Zeit "andere Schwerpunkte". Fragen nach der Aufnahme von mehr als 20 Mitgliedern weicht sie aus. Am Mittwoch stellt Wagenknecht sich auch hinter den Abbruch der Gespräche in Sachsen.
Derweil verhandeln die verschiedenen Arbeitsgruppen in Erfurt weiter. "In Thüringen sind alle drei Parteien getragen vom Geist des Gelingens", sagt CDU-Landeschef Voigt. Sie wollten spürbare Verbesserungen für die Bürger erreichen.
Voigt will sich von den Wirren im BSW nicht verunsichern lassen. "Mein Anspruch ist, dass alle Partner in einer möglichen Regierung auch die Chance haben, sichtbar zu sein und mit ihren Themen Thüringen voranzubringen", sagt er.
Brandenburg: "Verhandeln weiter"
Damit bleibt eine erste Koalition mit Wagenknecht-Beteiligung in Thüringen ebenso möglich wie in Brandenburg. Dort haben SPD und BSW am Montag ihre Koalitionsverhandlungen begonnen. Wagenknechts Zugriff dürfte hier größer sein: Mehrere Brandenburger Verhandler sind Mitarbeiter der Bundestagsgruppe oder Mitglied im Bundesvorstand.
Aus der SPD heißt es am Mittwochabend, sie erwarte keine Auswirkungen des sächsischen Abbruchs auf die laufenden Gespräche. "Wir verhandeln weiter für Brandenburg", sagt Generalsekretär David Kolesnyk.
Das BSW bekommt hier derweil seine eigene Medizin zu kosten. So findet sich im Sondierungspapier auch ein Bekenntnis zum Bundeswehrstandort Holzdorf. Der Linken-Politiker Christian Görke, ehemaliger Finanzminister von Brandenburg, wirft dem BSW deshalb "Pseudo-Pazifismus" vor.
Die Bundeswehr will in Holzdorf ein Raketenabwehrsystem und schwere Transporthubschrauber stationieren. Die SPD erhofft sich vom dafür nötigen Ausbau und dem Zuzug von Familien wirtschaftliche Impulse für den Süden Brandenburgs. Die noch geschäftsführende Landesregierung hat dafür Hundert Millionen Euro aus Strukturstärkungsmitteln zur Verfügung gestellt.