Partei vor den Landtagswahlen Die drei Scherbenhaufen der AfD
Vor den Landtagswahlen will die AfD professioneller und bürgerlicher wirken - schlicht wie eine Partei, der man das Regieren zutraut. Dass ihr das nicht gelingt, liegt an mehreren Dingen.
Scherbenhaufen EU-Parlament
Im ersten Moment klingt es wie eine gute Nachricht für die AfD: Sie hat neue Partner auf EU-Ebene gefunden. Das war dringend notwendig, es geht bei dieser Frage weniger um Einfluss als um Geld. Denn zu einem großen Teil entscheidet die Fraktionszugehörigkeit darüber, wie viel Geld einzelnen Abgeordneten zur Verfügung steht und das Geld wiederum definiert deren Sichtbarkeit.
Nachdem die AfD auf EU-Ebene aus der mächtigen Rechtsaußenfraktion "Identität und Demokratie" geflogen war, weil Marine Le Pen vom französischen Rassemblement National nichts mehr mit dem AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah zu schaffen haben wollte, brauchte die AfD also eine neue Fraktion.
Mitten auf ihrem Bundesparteitag in Essen Ende Juni platze die Nachricht aus Ungarn herein: Victor Orbán will eine neue Rechtsaußen-Fraktion auf EU-Ebene gründen. Die AfD wirkte in Essen unvorbereitet, sie war in diesen Vorgang scheinbar nicht involviert.
Wieder war es die einflussreiche Marine Le Pen, die der Partei einen Strich durch die Rechnung machte: Nachdem bekannt wurde, dass in der neuen Orbán-Fraktion "Patrioten für Europa" auch der Rassemblement National aufgehen wird, war klar: Die AfD wird nicht mitspielen dürfen.
Das ist aus ihrer Sicht tragisch. Denn bei den "Patrioten für Europa" sammeln sich nun die extrem rechten bis rechtsextremen Parteien, die selbst regieren oder zumindest in der Nähe einer Regierungsbeteiligung sind: Mitglieder sind neben Orbáns Fidesz etwa die österreichische FPÖ und die an Italiens Regierung beteiligte Lega.
Die AfD bleibt außen vor. Theoretisch hätte die AfD fraktionslos bleiben können, aber das hätte sie neben dem Geld auch Redezeit im Parlament und Posten gekostet. Also blieb nur die Flucht nach vorne - an den Katzentisch.
Ihrer neu gegründeten Fraktion "Europa souveräner Nationen" gehören nur kleine, oftmals gerade erst gegründete Parteien ohne jegliche Regierungsaussichten an. Und nicht nur das: Obwohl AfD-Co-Chefin Alice Weidel darauf bestanden hatte, "keine Antisemiten" zur Fraktion zuzulassen, ist das bei diesen Partnern wohl kaum möglich. Nur ein Beispiel: Zur Fraktion stoßen soll Milan Uhrik von der slowakischen Partei Republica. Er konnte 2017 den Holocaust "weder gutheißen noch missbilligen".
Und das stößt selbst innerhalb der eigenen Reihen teils sauer auf. Zu den neuen Partnern schreibt ein ehemaliges Fraktionsmitglied der AfD an einen Journalisten: "Und im EP (Europaparlament) jetzt doch eine reine Extremistenfraktion unter AfD-Leitung ganz rechts draußen mit der absoluten Resterampe, von der selbst Orban, Le Pen, Salvini, Wilders und Kickl die Finger lassen. Es gibt da keine Dämme mehr."
Soll heißen: Die AfD mag die wichtigste Partei innerhalb ihrer neuen Fraktion sein, aber sie ist von den großen Playern in Europa so isoliert wie nie zuvor.
Scherbenhaufen Höcke
Der einstige Shootingstar der AfD, der sich dann doch immer wieder gegen Berlin und für Erfurt entschieden hat - fällt ihm das jetzt auf die Füße? Die Macht des Björn Höcke scheint zu schwinden. Beim Bundesparteitag in Essen trat er nur einmal ans Mikrofon - um eine Kandidatin für das Bundesschiedsgericht vorzuschlagen, die dann nicht gewählt wurde.
So etwas wäre vor Kurzem noch nahezu undenkbar gewesen. Und selbst in seinem eigenen Thüringer Landesverband gelingt es Höcke aktuell nicht, seine Mitglieder hinter sich zu vereinen. Immer wieder gibt es Streit um die Besetzung interner Posten.
Der bisherige Höhepunkt: Im AfD-Kreisverband Westthüringen hatte die Basis zwei Direktkandidaten für den Landtag ordentlich gewählt, die aber dem Landesvorstand um Höcke nicht gepasst haben. Er verlangte eine Neuwahl, die beiden Kandidaten zogen dagegen vor Gericht - und gewannen.
Weil damit die internen Querelen aber immer noch nicht beigelegt waren, eskalierte der Landesverband die Geschichte so lange weiter, bis letzten Endes der Wahlausschuss die Zulassung zur Landtagswahl verweigerte. Somit steht die AfD nun in zwei von drei Wahlkreisen des Wartburgkreises ohne Direktkandidaten für die Landtagswahl da.
Scherbenhaufen Radikalität
Was sind also aktuell die Ziele der wichtigsten oder vermeintlich wichtigsten AfD-Politiker? Höcke will Ministerpräsident von Thüringen werden und träumte noch im Winter von der absoluten Mehrheit und einer alleinigen AfD-Regierung.
Bei den Landtagswahlen in Thüringen könnte Höcke durchaus noch auf Werte zwischen 25 und 35 Prozent kommen. Aber sein Traum von der absoluten Mehrheit ist schon jetzt ausgeträumt, Monate vorher. Regieren könnte er nur in einer Koalition - aber wegen seiner Radikalität steht die Brandmauer.
Ähnlich geht es Alice Weidel auf Bundesebene. Dass die Fraktionsvorsitzende 2025 als Kanzlerkandidatin antreten will, ist ein offenes Geheimnis. Aber dass Weidel auf Bundesebene 50 Prozent der Stimmen holen wird, scheint ein gutes Jahr vor der Bundestagswahl ausgeschlossen.
Um das zu ändern, müsste sie strategisch ähnlich agieren wie Le Pen in Frankreich: Weniger radikal, eher hin zur Mitte, um anschlussfähig zu sein, um die Union auf ihre Seite ziehen zu können. Mit dieser immer radikaleren AfD ist daran aber nicht zu denken, und Weidel selbst scheint nicht mächtig genug, um ihre eigene Partei auf einen sanfteren Kurs zu bringen.
Und ihr Co-Vorsitzender Tino Chrupalla? Ambitionen auf das Kanzleramt sagt man ihm nicht nach, überrascht waren viele, dass er sich nicht als Ministerpräsident für Sachsen in Stellung gebracht hat. Aber 2024 ist ja auch nicht die letzte Landtagswahl.
Wenn man also immer wieder liest, dass die AfD professioneller wurde und weniger streitet, dann liegt das nur daran, dass sich mittlerweile alle einig sind, wo es hingeht: immer weiter nach extrem rechts. Und diese Radikalität verträgt sich zumindest momentan nicht mit dem Traum vom Regieren. Egal, auf welcher Ebene.