Ein Aktenstapel liegt auf dem Richtertisch vom Verfassungsgericht des Landes Brandenburg.

Nach AfD-Erfolgen Kein Schutz mehr für Verfassungsgerichte?

Stand: 27.09.2024 19:26 Uhr

Das Landesverfassungsgericht in Thüringen soll nach dem Streit im Landtag drängende Fragen klären. Bislang hatte die AfD keinen Einfluss auf die Wahl der dortigen Richter - künftig aber schon.

Die Freude nach den Wahlen in Brandenburg ist groß bei vielen AfD-Funktionären. Im Landtag haben sie mehr als ein Drittel der Sitze gewonnen und damit wie in Thüringen eine Sperrminorität erlangt. Damit könne die AfD die etablierten Parteien zwingen, mit ihnen zusammenarbeiten, sagt René Springer, Vorsitzender der AfD Brandenburg, am Tag nach der Wahl. "Nämlich dann, wenn es wirklich wichtig wird: bei der Ernennung von Richtern", so Springer.

Wenn die AfD die Richter abnicke, könne sie im Gegenzug verlangen, dass ihren Gesetzgebungsvorhaben zugestimmt werden. Zuletzt hatte etwa die AfD-Fraktion in Brandenburg nach der Messerattacke in Solingen gefordert, anerkannte Asylbewerber sowie ukrainische Kriegsflüchtlinge von öffentlichen Veranstaltungen auszuschließen.

Politische Kompromisse für die Zustimmung zur Wahl von Richtern am Landesverfassungsgericht - könnte so ein Szenario bald Realität sein? In Brandenburg endet die reguläre Amtszeit von sechs der neun Verfassungsrichter 2029 und damit in der aktuellen Legislaturperiode. In Thüringen sind es alle neun Richterpositionen, die regulär 2029 neu besetzt werden sollten. Und in Sachsen sollten sieben von neun Richterinnen und Richter in der neuen Legislatur neu gewählt werden, drei davon bereits 2026. Allerdings fehlt in Sachsen der AfD eine Stimme zur Sperrminorität.

Politische Kompromisse mit der AfD?

Doch wie könnten politische Kompromisse überhaupt aussehen? "Die sehe ich ehrlich gesagt nicht kommen", sagt Thomas Gschwend, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Mannheim. "Was sollte das sein, wo demokratische Parteien zustimmen können und es für die AfD dennoch lukrativ genug ist, ihre Blockadehaltung aufzugeben?"

Juliana Talg vom Thüringen-Projekt des Verfassungsblogs beschäftigt sich seit einem Jahr mit der Frage, was passiert, wenn autoritär-populistische Parteien staatliche Machtmittel in die Hand bekommen. Sie warnt davor, Kompromisse mit der AfD einzugehen. Ansonsten trete ein Normalisierungseffekt ein: "Die AfD wird dann als normaler Teil des demokratischen Betriebs wahrgenommen. Aber das ist sie nicht. Sie ist eine Partei, deren Ziel es ist, Demokratie und Rechtsstaat abzuschaffen."

Johannes Kiess, stellvertretender Direktor des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts für Demokratieforschung an der Universität Leipzig ist sich sicher, dass die AfD die Wahl von neuen Richtern absichtlich blockieren werde, um die Verfassungsgerichte zu lähmen. "Damit kann die AfD zeigen, dass die demokratischen Parteien nicht handlungsfähig sind und die Demokratie abgeschafft werden muss. Dass das einzig handlungsfähige politische System ein autoritär geführter Staat ist."

Was passiert ohne Einigung?

Was passiert also, wenn es keine politischen Kompromisse gibt? Wenn keine Zweidrittelmehrheit im Parlament für die Wahl neuer Richter an den Landesverfassungsgerichten zu Stande kommt, bleiben sie so lange im Amt, bis ein Nachfolger ernannt wird. Doch was, wenn Richter durch Tod oder Krankheit ausscheiden?

Wenn in Thüringen dann keiner nachrückt, könnte es langfristig dazu führen, dass das Gericht nicht mehr beschlussfähig ist. Das Land Brandenburg hingegen hat vorgesorgt: Hier verringert sich die Anzahl der benötigten Richter dann, die für einen Beschluss notwendig sind.

Doch ewig lässt sich die neue Richterwahl nicht aufschieben. Das zeigt das Beispiel Berlin. Hier zog sich die Nachbesetzung drei Jahre, unter anderem, weil sich CDU, SPD, Grüne und Linke lange nicht einigen konnten.

Ehemalige Landesverfassungsrichter zweifelten gegenüber dem rbb an der Legitimation des Gerichts und verwiesen auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe: "Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass ein Verstoß gegen den gesetzlichen Richter dann gegeben sein kann, wenn die Amtszeit ganz erheblich überschritten oder eine Ersatzwahl aus sachfremden - etwa parteipolitischen - Gründen ungebührlich verzögert oder bewusst unterlassen wird."

Langfristige Einigung notwendig

Fest steht also: Langfristig müssen sich die Parlamente auf neue Richter einigen. Politikwissenschaftler Kiess verweist darauf, dass Landtage mittelfristig wieder anders besetzt sein könnten. "Es ist noch gar nicht lange her, da hatten die Grünen einen Höhenflug nach Fukushima. Wenn es den demokratischen Parteien gelingt, für Wähler wieder attraktiv zu werden, könnte die nächste Sitzverteilung eine andere sein."

Wenn nicht, dann bestimmt die AfD mit bei der Wahl der Landesverfassungsrichter in Brandenburg, Thüringen und Sachsen. Womöglich schlägt sie auch eigene Kandidaten vor. Es wäre nicht das erste Mal, dass in den Landesverfassungsgerichtshöfen von der AfD nominierte Richter säßen: Bayern, Baden-Württemberg und Hessen haben es vorgemacht. Allerdings ist dort das Wahlverfahren ein anderes.

Urteilen die Personen, die auf AfD-Ticket in den Landesverfassungsgerichten sitzen, unabhängig? "Was wir feststellen: Es waren bislang keine juristischen Koryphäen, sondern Politiker der AfD die in Kommunal- oder Europawahlen angetreten sind", sagt Thomas Gschwend, der zur Unabhängigkeit von Richterinnen und Richtern an der Universität Mannheim forscht. Außerdem könnten ein bis zwei Personen mit extremen Ansichten in mehrköpfigen Gremien einfach überstimmt werden, so Gschwend.

Unabhängige Richter mit Parteibuch?

Richter mit Parteibuch sind in Deutschland generell nicht unüblich. So ist beispielsweise einer von Deutschlands höchsten Richtern, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth, CDU-Mitglied. Er war sogar im Bundesvorstand und stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, bevor er sein Amt in Karlsruhe antrat.

Ein Parteibuch hieße aber nicht, dass die Richter parteilich seien, erklärt Gschwend. "Wir stellen fest, dass Richterinnen und Richter parteiunabhängig entscheiden." Das hänge auch mit der Zweidrittelmehrheit zusammen, mit der die Richterinnen und Richter gewählt werden. "Parteisoldaten hätten in diesem System keine Chance, vielmehr kommt es auf die juristische Qualifikation an. Und ein politisches Verständnis ist oftmals von Vorteil", sagt Gschwend.

Ist diese Unabhängigkeit auch von Richtern mit AfD-Parteibuch zu erwarten? Juliana Talg vom Thüringen-Projekt des Verfassungsblogs verweist auf Polen und auf Ungarn: "Die Besetzung der Gerichte mit extremen Kräften ist Teil des Umbaus der Institutionen. Es wurden auch Regeln geändert, um die Gerichte besetzen zu können beziehungsweise teilweise wurde auch die Arbeit des Gerichts durch den Erlass neuer Regeln behindert. Da gibt es unterschiedliche Strategien."

"Verpasst, Gerichte resilient zu machen"

Um das zu verhindern, hätten die Landesregierungen in der vergangenen Legislaturperiode die Landesverfassungsgerichte resilient machen müssen, sagt Talg. Gemeinsam mit dem Wissenschaftler Fabian Wittreck von der Universität Münster hatte sie in einem Papier vorgeschlagen, Folgendes in den Landesverfassungen zu verankern: Wenn es nicht zu einer Zweidrittelmehrheit bei der Wahl der Richter kommt, sollen die amtierenden Richter am Landesverfassungsgericht ein Vorschlagsrecht für ihre Nachfolger haben, das mit einfacher Mehrheit im Parlament bestätigt werden kann.

"So hätte man dafür sorgen können, dass eine in Teilen verfassungsfeindliche Partei erst ab einer deutlich höheren Schwelle die Macht bekommt, die Wahl von Verfassungsrichtern zu blockieren und damit die für Demokratie und Rechtsstaat so wichtigen Verfassungsgerichte zu schwächen", so Talg.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 27. September 2024 um 18:01 Uhr.