Robert Habeck, Olaf Scholz und Christian Lindner
Analyse

Kräfteverhältnis in Koalition Warum NRW die Ampel verändern könnte

Stand: 10.05.2022 09:27 Uhr

Tristesse und Triumph: Die Wahl in Schleswig-Holstein beschert den Ampel-Parteien unterschiedliche Gefühlszustände. Ob sich die Machtarithmetik im Dreier-Bündnis verschiebt, zeigt sich aber erst nächsten Sonntag.

Eine Analyse von Christoph Kehlbach, ARD-Rechtsredaktion

Neben Daniel Günthers CDU konnten nur zwei weitere Parteien bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein Stimmen hinzugewinnen: die Grünen und der Südschleswigsche Wählerverband (SSW). SPD und FDP verloren dagegen deutlich an Rückhalt. Die Sozialdemokraten stürzten in der Wählergunst sogar mit einem Verlust von mehr als elf Prozentpunkten auf ein Allzeit-Tief im nördlichsten Bundesland.

Den Äußerungen der Parteispitze in Berlin kann man entnehmen: Dies ist ein Stresstest auch für die Stimmung innerhalb der Ampel-Koalition. Der Blick richtet sich aber zunächst auf die kommende Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen.

Es sei vor allem die bedrückende "internationale Großwetterlage" gewesen, die den Ausgang der Landtagswahl im Norden geprägt habe, versuchte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert am Wahlabend in der ARD den Absturz der Nord-Genossen zu erklären. Günthers Bonus als CDU-Ministerpräsident sei gewesen, dass sich Wählerinnen und Wähler in derartig schlechten Zeiten gern an vertraute Führungsfiguren hielten.

Wieviel Scholz steckt in der Niederlage?

Dass dies zumindest nicht der alleinige Grund für die herbe Niederlage der SPD ist, legen Umfragen von Infratest dimap nahe: Die SPD leidet auch unter einem Vertrauensverlust in der Bevölkerung, bezogen auf eigene Kernthemen wie der sozialen Gerechtigkeit. Dass dies auch mit den sinkenden Zustimmungswerten des Bundeskanzlers zusammenhänge, bestritt Kühnert. Es stecke "kein Olaf Scholz in der Wahlniederlage" der Sozialdemokraten. Doch klar ist: Rückenwind aus Berlin gab es jedenfalls keinen für die Nord-SPD.

Nach dem Erfolg bei der Bundestagswahl im September 2021 und bei der Landtagswahl im Saarland, ist die SPD nun wieder geerdet worden. Doch Kühnert und Parteichefin Saskia Esken sind bemüht, den Blick schnell nach vorne zu lenken: auf die anstehende Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen nächsten Sonntag. Eine deutliche Niederlage im bevölkerungsreichsten Bundesland könnte man im Willy-Brandt-Haus aber sicher nicht einfach so wegmoderieren. Die Umfragen sehen derzeit aber auch nicht danach aus.

Grüne mit breiter Brust

Die zweitgrößte Ampel-Partei hingegen ist bester Stimmung. Die Grünen im Bund freuen sich über das starke Ergebnis im Norden: Mit mehr als 18 Prozent sind sie nun zweitstärkste Kraft im Kieler Landtag. Hier habe sich - ganz anders als bei der SPD - eine bundespolitische Bedeutung positiv niedergeschlagen, sagte Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin. "Die Grünen konnten sich dem Sog hin zu Daniel Günther entziehen." Das sei auch stark mit der Person Robert Habeck verknüpft. Der Bundeswirtschaftsminister sei beliebt und werde auch mit der Landespartei in Schleswig-Holstein stark verbunden. Immerhin habe Habeck als Landespolitiker die Jamaika-Koalition im Norden der vergangenen Legislaturperiode mit auf den Weg gebracht. Der deutliche Zugewinn gibt den Grünen auch innerhalb der Ampelkoalition gute Argumente, ihre Interessen dort mit noch breiterer Brust zu vertreten. Das Selbstbewusstsein steigt.

FDP sucht nach Erklärungen

Ganz anders die Lage beim kleinsten Ampel-Partner. Die FDP sucht nach Erklärungen für das enttäuschende Ergebnis: Es sei keine Landtagswahl, sondern eine "Günther-Wahl" gewesen, sagte FDP-Chef Christian Linder. Er machte klar, dass die Liberalen einer schwarz-gelben Koalition in Kiel aufgeschlossen gegenüber stünden. Eine Regierungsbeteiligung dort auch in der kommenden Legislatur könnte der FDP tatsächlich helfen, trotz des herben Stimmverlustes im Land nicht an Standing innerhalb der Berliner Regierungskoalition zu verlieren. Die Wählerwanderung von der FDP hin zur CDU sieht Lindner auch durch das Umfeld bedingt. Und damit sei es eben nicht notwendigerweise ein schlechtes Omen für die Landtagswahl kommenden Sonntag in Nordrhein-Westfalen.

Zudem habe in Schleswig-Holstein die CDU auch von einer guten Wirtschafts- und Coronapolitik der vergangenen Jahre profitiert. Das erklärt allerdings nicht, warum die Liberalen, die das Wirtschaftsministerium in Kiel ja geführt haben, fast die Hälfte ihrer Wähler und Wählerinnen verloren haben. Und es erklärt auch nicht, warum zwar die Grünen, nicht aber die FDP Rückenwind aus Berlin erfuhr. Beide Parteien regierten sowohl in Kiel mit, wie auch aktuell in Berlin. Beide Parteien haben mit Habeck und Wolfgang Kubicki bekannte Landespolitiker in ihren Reihen, die nun in der Ampel mitwirken.

Kommt etwas ins Rutschen?

Derzeit bemühen sich die Regierungsparteien auf Bundesebene, vor allem natürlich SPD und FDP, den Blick auf NRW zu lenken: Sollte es bei dieser "kleinen Bundestagswahl" zu vergleichbaren Stimmenverlusten und -gewinnen kommen, hätte dies sicher auch Auswirkungen auf die Kräfteverhältnisse in der Ampel und könnte gar die Tektonik etwas verschieben. 

Das Rennen zwischen CDU und SPD ist in Nordrhein-Westfalen noch offen. Klar scheint aber: Die Grünen dürften nach herben Verlusten bei der Landtagswahl 2017 nun wieder deutlich hinzugewinnen. Der FDP drohen nach einem guten Ergebnis 2017 nun wieder Verluste. In dieser Woche mag sich noch einiges bewegen. Für die Ampel-Parteien hängt am Ausgang dieser Wahl einiges - auch mit Blick auf die Stimmung im Bund.

Politikwissenschaftler Thorsten Faas, FU Berlin, mit einer Einordnung zum Ausgang der Wahl in Schleswig-Holstein

tagesschau24 11:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 09. Mai 2022 um 11:00 Uhr.