Bild: "Boris Rhein ist ein guter Ministerpräsident."
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Wer wählte was warum? Warum CDU und AfD in Hessen gewinnen

Stand: 09.10.2023 14:27 Uhr

Die CDU punktete in Hessen mit klassischen Unionsthemen und ihrem Spitzenkandidaten. Die AfD profitierte von der Kritik an der Ampel im Bund und einem heiß diskutierten Thema. Eine Analyse auf Basis der Daten von infratest dimap.

Eine Analyse von Holger Schwesinger

Die Landtagswahl in Hessen war stark geprägt von Themen, die mit Hessen selbst eher wenig zu tun haben: der allgemein schlechten Stimmung im Land und der großen Unzufriedenheit mit der Ampel-Koalition in Berlin. Davon profitiert hat in Hessen vor allem die CDU, der große Wahlgewinner.

Denn sowohl diesmal als auch 2018 nutzten offenbar viele Menschen die Landtagswahl, um der Bundesregierung ein Zwischenzeugnis auszustellen. In Umfragen, die infratest dimap jeweils am Wahltag bzw. den Tagen davor durchgeführt hatte, sagte jeweils gut die Hälfte der Hessen, die Landtagswahl sei eine gute Gelegenheit, der Bundesregierung einen Denkzettel zu verpassen. Doch während 2018 die CDU selbst die Bundeskanzlerin stellte, traf der "Denkzettel" diesmal SPD, Grüne und FDP.

Mit der bisherigen Landesregierung sind die Wahlberechtigten in Hessen auch deutlich zufriedener als mit der Bundesregierung - und sie bescheinigen ihr auch in größerem Maße eine gute Zusammenarbeit, obwohl sowohl in Wiesbaden als auch in Berlin Parteien in Bündnissen zusammenarbeiten, die nicht als klassische "Wunschkoalition" gelten: CDU und Grüne in Hessen, die Ampel im Bund.

Bild: Wie war die Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren?

Zustimmung für Schwarz-Grün auch aus dem anderen Lager

Während mit der Arbeit der Bundesregierung nur 28 Prozent der Hessen zufrieden sind, sind es bei der Landesregierung mit 47 Prozent immerhin knapp die Hälfte. Das sind zwar 13 Prozentpunkte weniger als vor der Wahl 2018 - und auch verglichen mit den Werten, die in anderen Bundesländern kurz vor der Wahl erreicht wurden, sind 47 Prozent kein guter Wert. Man muss hierbei allerdings die allgemein schlechte Stimmung im Land - geprägt von Krisen und Kriegen - berücksichtigen. Spitzenwerte von 75 Prozent, wie etwa 2022 in Schleswig-Holstein, sind derzeit nirgendwo zu erwarten.

Auf der Habenseite kann die schwarz-grüne Landesregierung zudem verbuchen, dass sie nicht nur im eigenen Lager Zustimmung für ihre Arbeit bekommt, sondern auch bei Anhängern von Oppositionsparteien: Auch knapp die Hälfte der SPD- und FDP-Wählenden äußert sich positiv über die Arbeit von Schwarz-Grün.

CDU kann bei wahlentscheidenden Themen punkten

Der große Profiteur davon ist die CDU von Ministerpräsident Boris Rhein. Das hängt - blickt man auf die Umfragen - zum einen an seiner Person, zum anderen auch den Kompetenzen, die der CDU zugeschrieben werden. Bei Wirtschaft und Innerer Sicherheit - zwei Themen, die für die Wahlentscheidung besonders wichtig waren - schneidet keine andere Partei auch nur annähernd so gut ab wie die CDU.

Zwar muss die hessische CDU im Vergleich zu 2018 bei den Kompetenzzuschreibungen in diesen beiden Bereichen Verluste hinnehmen, die bewegen sich aber im einstelligen Bereich. Wie wenig das ist, macht der Vergleich mit Bayern klar, wo die CSU bei den gleichen Themenfeldern fast 20 Prozentpunkte verloren hat. Und anders als bei der CSU in Bayern hat die CDU in Hessen in einer ganzen Reihe von Politikfeldern in der Wahrnehmung der Wahlberechtigten sogar an Kompetenz hinzugewonnen.

Bild: Kompetenzen der CDU

Nancy Faser im "Dreikampf" immer hinten

Ähnlich wie die Bewertung der Landesregierung fällt auch die Bewertung des Regierungschefs aus: nicht wirklich gut, aber relativ gesehen und angesichts der schlechten Stimmungslage ganz in Ordnung. Immerhin 47 Prozent sagen, Rhein sei ein guter Ministerpräsident - wobei er bei älteren Wahlberechtigten deutlich besser ankommt als bei jüngeren.

Vergleicht man ihn mit den Spitzenkandidaten von Grünen und SPD, Tarek Al-Wazir und Nancy Faeser, schneidet Rhein in fast allen abgefragten Kategorien klar am besten ab: bei Kompetenz und Führungsstärke ebenso wie bei Glaubwürdigkeit. Nur bei der Frage, wer am sympathischsten ist, kommt der Grüne Al-Wazir mit 32 Prozent auf denselben Wert wie Rhein - Bundesinnenminister Nancy Faeser, die für die SPD angetreten war, ist in allen Kategorien abgeschlagen.

Bild: "Boris Rhein ist ein guter Ministerpräsident."

Abgrenzung von Merz' Populismus kommt an

Wie üblich schneidet die CDU auf dem Land und in kleineren Gemeinden besser ab, als in sehr großen. Doch im Vergleich zu 2018 hat sie auch in den für sie schwierigen Großstädten deutlich hinzugewonnen. In großem Maß kommen die neuen CDU-Wähler übrigens von den drei Ampel-Parteien, die in Hessen noch stärker abgestraft wurden als in Bayern.

Der Rückenwind für die hessische CDU aus dem Bund war dabei aber eher überschaubar. Nur 34 Prozent der Hessinnen und Hessen denken, dass eine CDU-geführte Bundesregierung bessere Arbeit machen würde als die Ampel - und selbst von den CDU-Anhängern glauben das nicht mehr als drei Viertel. Das dürfte viel mit CDU-Chef Friedrich Merz zu tun haben, den selbst CDU-Anhänger eher kritisch sehen.

Bild: Ansichten der CDU-Wählenden über eigene Partei

Merz hatte in den Tagen vor der Wahl vor allem mit populistischen Äußerungen - etwa zu Asylbewerbern und Zahnarztbehandlungen - Schlagzeilen gemacht. Rhein hingegen hatte im Wahlkampf zwar die Ampel deutlich angegriffen, sich von Populismus aber distanziert - ausdrücklich auch von der Aussage von Merz zu Asylbewerbern. Dieser Stil kam in Hessen ganz offensichtlich an.

Zweiter Gewinner der Wahl in Hessen ist die AfD. Laut Hochrechnungen reicht es sogar für Platz zwei - und für ein Rekordergebnis in einem westdeutschen Flächenland. Klar ist, dass die AfD weiterhin die Partei der Unzufriedenen ist. Ihre Anhänger sind die einzigen, die der bisherigen Landesregierung mit großer Mehrheit ein schlechtes Zeugnis ausstellen. Für die Mehrheit ihrer Wähler ist es immer noch ein wichtiges Motiv, durch das Kreuz bei der AfD Protest auszudrücken.

Bild: Ansichten AfD-Wählender über eigene Partei

AfD setzt auf Thema Migration - mit Erfolg

Doch verstärkt wird die AfD auch aus Überzeugung gewählt. Mit der Migrationspolitik hat sie aktuell ein Thema gefunden, mit dem sie über das eigene Lager hinaus punkten kann. Von den eigenen Anhängern loben 95 Prozent, dass die AfD den Zuzug von Ausländern stärker begrenzen will. Doch auch allgemein findet die restriktive Haltung der in Teilen rechtsradikalen Partei wachsende Zustimmung: 42 Prozent der Wahlberechtigten in Hessen finden den AfD-Kurs in der Migrationspolitik grundsätzlich gut - elf Prozentpunkte mehr als 2018.

Der hessische AfD galt lange Zeit als - für AfD-Verhältnisse - eher gemäßigt. Doch seit der Wahl 2018 ist auch dieser Landesverband zunehmend nach rechts gerückt. 69 Prozent der Menschen im Land halten die AfD dementsprechend auch klar für eine rechtsextreme Partei. Auffällig dabei: wer die AfD tatsächlich gewählt hat, hat damit kein Problem. Nur fünf Prozent der AfD-Anhänger halten sie für rechtsextrem - und 80 Prozent ist es egal, dass sie in der allgemeinen Wahrnehmung als rechtsextrem gilt.

Bild: Ansichten AfD-Wählender über eigene Partei

Grüne verlieren deutlich beim Thema Klimaschutz

Die große Bedeutung des Themas Migration bei dieser Wahl dürfte einer der Hauptgründe sein, warum die Grünen nicht an ihr Rekordergebnis von 2018 anknüpfen konnten und deutlich verlieren. Die Einstellung hat sich hier grundlegend geändert, das Eintreten der Grünen für eine humane Flüchtlingspolitik kommt bei den Hessinnen und Hessen bei weitem nicht mehr in dem Maß an wie 2018.

Das zweite große Themenfeld, das für die Grünen derzeit problematisch ist, ist ausgerechnet der Klimaschutz und die damit zusammenhängende Verkehrspolitik. Zwar ist die Klimakrise eines der Themen, das den Menschen besonders große Sorgen bereitet. Doch die Zahl derjenigen, die den Grünen hier die besten Lösungen zutraut, ist dramatisch zurückgegangen: 2018 sagten noch 75 Prozent in Hessen, hier hätten die Grünen die besten Ideen, aktuell sind es nur noch 39 Prozent. Und auch bei der Verkehrspolitik, die in Hessen der grüne Wirtschaftsminister Al-Wazir zu verantworten hat, gab es einen deutlich Rückgang von 28 auf 17 Prozent.

Bild: Ansichten über die Grünen

AfD bei jungen Wählern vor den Grünen

Zu erklären ist das vermutlich durch zwei gegenläufige Tendenzen: Verloren haben die Grünen zum einen bei Menschen, denen sie beim Klimaschutz als Regierungspartei inzwischen zu viele Kompromisse eingehen. Zum anderen kommt hier aber vermutlich das Phänomen zum Tragen, dass die Begeisterung vieler Menschen für Klimaschutz nachlässt, wenn er konkret den Alltag betrifft - Stichwort "Heizungsgesetz".

Alarmierend für die Grünen dürfte sein, dass sie vor allem bei sehr jungen Wählern an Zustimmung verloren haben. In der Altersgruppe der 18-24-Jährigen liegt inzwischen nicht nur die CDU vor ihnen, sondern auch die AfD.

Bild: Stimmanteile bei 18-24-Jährigen

Prominenz für Faser Belastung statt Hilfe

Bei der SPD, die ebenso wie die Grünen klar verloren hat, gab es neben der allgemeinen "Anti-Ampel-Stimmung" vor allem ein Problem - und das heißt Nancy Faeser. Die SPD hatte sich viel davon erhofft, dass Faeser als Bundesinnenminister sehr bekannt ist. Doch tatsächlich war das eher eine Belastung.

Im aktuellen ARD-DeuschlandTrend landet Faeser bei der Frage, wie zufrieden die Bürger mit der Arbeit von Bundespolitikern sind, auf einem der hintersten Plätze - mit deutlichem Trend nach unten. Und auch die hessischen Wähler stellen ihr kein gutes Zeugnis aus. Rund die Hälfte nimmt ihr übel, dass sie nur im Falle eines Wahlsiegs vom Bundesinnenministerium nach Hessen wechseln würde. Eine Frage, die sich definitiv nicht stellt, denn mit Faeser holt die SPD das schlechteste Ergebnis, das sie je in Hessen erzielt hat.

Bild: Ansichten über Nancy Faeser

FDP mit Gegenwind aus Arbeit der Ampel-Koalition

Auch für die FDP ist der Gegenwind aus dem Bund aufgrund der negativen Bewertung der dortigen Ampel-Koalition spürbar. Die Hälfte der Wahlberechtigten findet, dass die Partei in der Bundesregierung ihre Wahlversprechen nicht halte. Und gut ein Drittel sagt, die Partei tue im Bund zu wenig für die Wirtschaft. Selbst knapp die Hälfte der aktuellen FDP-Wählenden in Hessen wirft der Partei vor, zu viele Kompromisse in der Bundesregierung einzugehen.

Immerhin sagte aber auch jeder zweite Wahlberechtigte, dass es gut wäre, wenn die FDP weiter im Landtag vertreten wäre. Zumindest dieses Ziel hat die FDP laut vorläufigem Ergebnis erreicht - denkbar knapp mit 5,0 Prozent.

Hans-Joachim Vieweger, ARD Berlin, tagesschau, 09.10.2023 08:33 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 09. Oktober 2023 um 06:30 Uhr.