Angriff in Mannheim Mordanklage im Fall Rouven Laur erhoben
Ende Mai hatte ein Afghane mehrere Menschen mit einem Messer angegriffen, ein Polizist starb. Nun hat der Generalbundesanwalt den mutmaßlichen Täter wegen Mordes angeklagt. Als Terrorismus sieht er die Tat nicht.
Der tödliche Stich traf Rouven Laur von hinten. Auf einem Video des Angriffs ist zu sehen, wie der 29-jährige Polizeihauptkommissar gerade einen anderen Mann überwältigte, um Ruhe in die gewaltsame Auseinandersetzung auf dem Mannheimer Marktplatz zu bringen.
Was Rouven Laur und andere Polizisten vor Ort in den ersten turbulenten Sekunden des Angriffs nicht sicher wussten: Es gab wohl nur einen einzigen Angreifer - und der kam von hinten an Laur heran und stach heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen zu - so schildert es der Generalbundesanwalt in seiner Anklage, die nach Informationen von SWR und ARD-Hauptstadtstudio nun bei den Beteiligten eingegangen ist.
Anreise aus Hessen
Angeschuldigt ist der Afghane Sulaiman A. aus dem hessischen Heppenheim (Landkreis Bergstraße). Mit dem Zug reiste er am Tattag aus seinem Wohnort nach Mannheim und fuhr mit der Straßenbahn vom Hauptbahnhof zum Marktplatz, wie SWR-Recherchen ergaben.
Offenbar gezielt suchte er eine Veranstaltung der rechtspopulistischen Bewegung Pax Europa auf. Während die angemeldete Veranstaltung noch vorbereitet und ein Informationsstand aufgebaut wurde, schlich A. bereits um den Tatort herum, wie Videoaufnahmen zeigen. Dann soll A. zunächst den Aktivisten Michael Stürzenberger angegriffen und im folgenden Getümmel weitere Personen mit einem Messer verletzt haben. Die Angegriffenen wehrten sich und auch eine Einsatzeinheit der Mannheimer Polizei griff ein, die wegen der geplanten Kundgebung auf dem Marktplatz war.
Schon durch Passanten zu Boden gebracht, konnte sich A. wieder aufrappeln - und stach Laur laut Anklage in Tötungsabsicht von hinten in den Hals.
Ein Terroranschlag?
Öffentlich empfunden wurde diese Tat als Terroranschlag. Tausende Bürgerinnen und Bürger bangten tagelang am Mannheimer Marktplatz erst um die Gesundheit von Rouven Laur und trauerten dann um ihn. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier reiste zum Tatort, Tausende Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sowie Bürgerinnen und Bürger kamen einige Tage später zu einer Trauerfeier in das Mannheimer Veranstaltungszentrum Rosengarten.
Doch geht es streng nach den Buchstaben des Gesetzes, ist die Tat für Generalbundesanwalt Jens Rommel und die zuständige Bundesanwältin Silke Ritzert kein Terrorismus im Sinne der beiden §§ 129a, b des Strafgesetzbuchs.
Sulaiman A. habe große Sympathien für die Ideen der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) gehabt, aber Hinweise für eine Mitgliedschaft in der Gruppe konnten die Ermittler nicht finden. Nach Recherchen von SWR und ARD-Hauptstadtstudio hatte A. allerdings intensiv die Botschaften eines radikalen afghanischen IS-Predigers konsumiert und sich im Internet erkundigt, ob aus religiöser Sicht die aktuell in Afghanistan herrschenden Taliban oder der IS zu bevorzugen seien. "Der IS!" lautete die Antwort, die A. von einem Prediger bekam.
Doch für Mitgliedschaft oder Unterstützung des IS reicht das den Ermittlern offenbar nicht aus. Auch sein Verhalten bei der Tat, sich wie in einem finalen Akt auf Rouven Laur zu stürzen, obwohl mehrere weitere Polizeibeamte nur Schritte entfernt waren, werten die Ermittler nicht als einen Akt für den IS.
Kampfmesser aus dem Internet
Dabei konnten die Ermittler rekonstruieren, wie gezielt sich A. offenbar auf die Tat vorbereitet hatte. Er tauschte sein aktuelles Smartphone gegen ein altes Gerät - wohl um Spuren zu verwischen. Sein eigentliches Telefon ist bis heute verschwunden. Er kaufte für knapp 40 Euro zwei Jagdmesser im Internet und schrieb seiner Mutter eine Abschiedsnachricht. Offenbar rechnete er nicht damit, aus Mannheim zurückzukehren.
Als Held sterben?
"Inghimasi", heißt eine Strategie islamistischer Terroristen und bedeutet in etwa "sich dem Feind entgegenwerfen und in Unterzahl als Held sterben". Genau so sieht die Aktion von Sulaiman A. auf den Videos der Tat aus. Und tatsächlich: Ein Kollege von Rouven Laur zog ohne Zögern seine Waffe und schoss ihn nieder.
Sulaiman A. überlebte nach einer Operation und verbrachte viele Wochen im Krankenhaus. Doch für die Ermittler genügt das nicht, in seiner Tat neben dem Mord auch strafrechtlich eine Aktion für eine Terrororganisation zu sehen.
Lebenslange Haft droht
Für das Strafmaß ist das eher ein Randaspekt. Gleich zwei Mordmerkmale stellte der Generalbundesanwalt in seiner Anklage wegen Mordes fest: Heimtücke und "niedrige Beweggründe". Die niedrigen Beweggründe sollen allerdings aus seinen menschenverachtenden ideologischen Vorstellungen resultieren.
Folgt der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart dieser Anklage und beiden Mordmerkmalen, dürfte es zu einer lebenslangen Haftstrafe und auch zur Feststellung der "besonderen Schwere der Schuld" kommen. A. würde auf sehr lange Zeit ins Gefängnis kommen und hätte danach wohl nur noch eines zu erwarten: Eine Abschiebung in sein Heimatland Afghanistan. Doch zunächst muss sich das Oberlandesgericht Stuttgart mit der Anklage beschäftigen und über die Eröffnung der Hauptverhandlung entscheiden.
In Stuttgart vor Gericht
Zuständig ist das Oberlandesgericht, weil der Generalbundesanwalt den Fall wegen dessen besonderer Bedeutung für das Sicherheitsgefühl der Allgemeinheit an sich gezogen hat. Das Oberlandesgericht muss zunächst in einem Kollegium von fünf Richterinnen und Richtern die Frage klären, ob die Anklage zugelassen wird und dann, ob die Verhandlung mit drei Richterinnen und Richtern geführt werden kann oder so umfangreich ist, dass sie nur durch fünf Richter bewältigt werden kann.
In Anbetracht des zwar tragischen, aber rechtlich wenig komplizierten Sachverhalts dürfte es zu einer Dreierbesetzung des Senats kommen. Der Prozess würde wohl in jedem Fall im hochgesicherten Prozessgebäude in Stuttgart-Stammheim geführt werden. Naheliegend ist, dass dazu dann auch der Angeschuldigte Sulaiman A. nach Stuttgart verlegt wird.
Derzeit befindet er sich nach Informationen von SWR und ARD-Hauptstadtstudio in Frankfurt am Main in Untersuchungshaft, nachdem er zunächst wochenlang in der Universitätsmedizin Mannheim und später im baden-württembergischen Haftkrankenhaus Hohenasperg behandelt wurde. Sein Darmstädter Strafverteidiger wollte sich auf SWR-Anfrage nicht zur erhobenen Anklage äußern.