Ein Bürger sitzt im Klassenraum einer Schule in einer Wahlkabine und füllt seinen Stimmzettel aus.
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Bremen-Wahl Warum die SPD vorn liegt und die Grünen abstürzten

Stand: 14.05.2023 22:50 Uhr

Die bisherige rot-grün-rote Landesregierung bekommt vom Wähler schlechte Noten. Wieso hat das der SPD nicht geschadet, den Grünen aber massiv? Umfragen liefern hier interessante Erkenntnisse.

Eine Analyse von Holger Schwesinger, tagesschau.de

Natürlich schaut die Bundespolitik auch auf die Wahl im kleinsten Bundesland - die SPD mit Freude, die CDU wohl eher mit gemischten Gefühlen, die Grünen mutmaßlich mit Fassungslosigkeit. Doch als Stimmungstest für die Bundesparteien taugt die Bremen-Wahl nur bedingt. Die Themen, die den Menschen im Zwei-Städte-Bundesland Bremen derzeit besonders viele Sorgen bereiten, sind zwar solche, die großteils auf der bundespolitischen Ebene entschieden werden. Doch wahlentscheidend waren dann doch eher Dinge, die mit den Gegebenheiten vor Ort in Bremen und Bremerhaven zu tun haben - das zeigt ein Blick auf die Umfragen, die Infratest dimap am Wahltag und den Tagen davor im Auftrag der ARD durchgeführt hat.

So sagen zwar 69 Prozent, sie machten sich sehr große oder große Sorgen, dass der Klimawandel unsere Lebensgrundlagen zerstört. Wahlentscheidend ist das Thema aber nur für 15 Prozent. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Migrationspolitik. Eine deutlich größere Rolle spielten bei der Wahl in Bremen Bildung sowie Sicherheit und Ordnung - also klassische landespolitische Themen.

Bild: Welches Thema spielt für Ihre Wahlentscheidung die größte Rolle?

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SPD punktet sogar mit Bildungspolitik

Der Wahlsiegerin SPD kam zugute, dass ihr in vielen der relevanten Politikbereiche die im Vergleich zu anderen Parteien höchsten Kompetenzwerte zugeschrieben werden - und, dass sie hier überall im Vergleich zur Wahl 2019 hinzugewonnen hat. Selbst bei der Schul- und Bildungspolitik - die seit Jahrzehnten von Senatorinnen oder Senatoren der SPD verantwortet wird und bei PISA-Studien regelmäßig äußerst schlechte Noten bekommt - können sich andere Parteien nicht wirklich profilieren.

Bild: Kompetenzen der SPD

Bild: Kompetenzen der SPD

SPD-Mann Bovenschulte beliebt - auch bei CDU-Wählern

Auf Rückenwind aus dem Bund konnte die SPD in Bremen nicht hoffen - zu sehr steht die Berliner Ampel derzeit unter Druck. Dass die Sozialdemokraten in Bremen im Vergleich zur Wahl 2019 noch einmal klar hinzugewonnen haben, dürften sie im Wesentlichen ihrem Spitzenkandidaten zu verdanken haben. Andreas Bovenschulte hat einen klaren Amtsbonus. Etwa zwei Drittel sagen, er ist ein guter Bürgermeister - selbst bei den Anhängern von CDU oder FDP.

Wenn man das SPD-Ergebnis von - laut Hochrechnung von 22:12 Uhr - 29,4 Prozent bewerten will, muss man es aber natürlich an denen früherer Jahre messen. 2011 bekam die SPD noch 38,6 Prozent - davon ist sie heute weit entfernt.

Und wenn man die Altersstruktur der Wähler als Indiz dafür nimmt, wohin sich die Tendenz bei künftigen Wahlen entwickeln könnte, sieht es für die SPD nicht gut aus. Denn die mit Abstand stärkste Altersgruppe in ihrer Wählerstruktur sind die Über-70-Jährigen. Bei jungen Wählerinnen und Wählern kann sie hingegen nur bedingt punkten.

Bild: Stimmanteile in Altersgruppen

Bild: Stimmanteile in Altersgruppen

CDU wird nicht als Alternative gesehen

Vor dem selben "Zukunftsproblem" steht auch die CDU - auch sie zieht eher ältere als jüngere Wähler an. Und von dem schlechten Zeugnis, das die Wahlberechtigten dem bisherigen rot-grün-roten Senat ausstellen, konnte sie nicht wirklich profitieren. Zwar waren nur 41 Prozent mit der Arbeit der Landesregierung aus SPD, Grünen und Linken zufrieden - ein Wert, der verglichen mit anderen Bundesländern sehr schlecht ist. Dass ein CDU-geführter Senat die Probleme in Bremen besser lösen könnte, glaubt aber trotzdem nur ein Drittel der Wahlberechtigten.

Bild: Könnte ein CDU-geführter Senat die anstehenden Probleme besser lösen?

Bild: Könnte ein CDU-geführter Senat die anstehenden Probleme besser lösen?

Merz keine große Unterstützung für Bremen-CDU

Das zeigt sich auch bei Blick auf die Kompetenzen, die der CDU zugeschrieben werden. Zwar liegt sie bei wichtigen Feldern wie Wirtschaft, Kriminalitätsbekämpfung oder Bildung vor den anderen Parteien. Doch im Vergleich zur Wahl 2019 hat sie in fast allen Feldern verloren - teils zweistellig.

Hinzu kommt, dass ihr Spitzenkandidat Frank Imhoff keine große Zugkraft entwickelt hat. Rückenwind aus dem Bund gab es für ihn auch eher nicht, auch wenn die Union dort laut ARD-Deutschlandtrend mit 28 Prozent derzeit klar stärkste Kraft wäre. Dass CDU-Chef Friedrich Merz für die CDU in Bremen eine große Unterstützung war, glaubt selbst von den CDU-Wählerinnen und -Wählern nur ein Drittel.

Bild: Kompetenzen der CDU

Bild: Kompetenzen der CDU

Bundestrend verstärkt Abwärtstrend bei den Grünen

Für die Grünen ist der Wahlausgang in Bremen - ihrer langjährigen Hochburg - ein ziemliches Desaster. Anders als bei anderen Parteien spielt bei den Grünen offenbar auch der Bundestrend eine große Rolle. Der zeigt abwärts - ebenso wie der Landestrend. Innerhalb des bisherigen rot-grün-roten Senats wird vor allem die Arbeit der Grünen schlecht bewertet. Und auch der Spitzenkandidatin der Partei, Maike Schaefer, stellen die Bremerinnen und Bremer überwiegend ein schlechtes Zeugnis aus.

Bild: Zufrieden mit der politischen Arbeit

Bild: Zufrieden mit der politischen Arbeit

"Brötchentaste" und Heizungsstreit

Schlecht sieht es für die Grünen auch bei den Kompetenzuschreibungen aus, bei ihrer Kernkompetenz Klima- und Umweltpolitik sogar geradezu alarmierend. 37 Prozent sagen, das können die Grünen am besten - an sich ein hoher Wert, aber 2019 waren es eben noch 24 Prozentpunkte mehr.

Hier zeigt sich möglicherweise das Phänomen, dass die Begeisterung für Klimaschutz nachlässt, wenn er konkret wird. In Bremen war eines der Streitthemen die Abschaffung der "Brötchentaste", mit der man an Parkscheinautomaten ein Gratis-Kurzzeitticket lösen konnte.

Auf Bundesebene ist es in erste Linie die Debatte über das Heizen, die den Grünen schadet. 81 Prozent sagen, die Heizungspläne von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck überforderten die Bürger. Und selbst von den Grünen-Wählern sagen das noch 55 Prozent.

Bild: Kompetenzen der Grünen

Bild: Kompetenzen der Grünen

Grüne verlieren sogar an die BIW Wähler

Und so sind den Grünen in Bremen die Wähler in Scharen davongelaufen - in sehr unterschiedliche Richtungen. Die meisten hat sie an die SPD verloren oder an die Linke. Ziemlich viele aber auch an die CDU und sogar an die noch weiter rechts stehenden Bürger in Wut (BIW). Zwar bleiben die Grünen bei jungen Wählerinnen und Wählern überproportional stark. Aber gerade bei den ganz jungen - die in Bremen die Altersgruppe 16 bis 24 umfasst - verlieren sie auch überproportional stark.

Bild: Grünen-Stimmanteile nach Altersgruppen

Bild: Grünen-Stimmanteile nach Altersgruppen

Die FDP als "Anti-Grüne"

Bei sehr jungen Menschen, die zum Teil zum ersten Mal wählen durften, ist vor allem die FDP überdurchschnittlich stark - ein Phänomen, das sich schon bei der Bundestagswahl 2021 gezeigt hatte. Doch auch in Bremen konnte die FDP den Negativtrend, unter dem sie seit der Bundestagswahl zu leiden hat, nicht wirklich stoppen. Im kleinsten Bundesland bleibt sie laut Hochrechnung zwar halbwegs stabil, muss aber wegen des besonderen Wahlrechts noch zittern. Eine Trendwende sieht anders aus.

Was der FDP allerdings recht gut gelungen ist, ist, sich als eine Art "Anti-Grüne" zu profilieren. Fast die Hälfte der Wahlberechtigten findet es gut, dass die FDP der Klima- und Umweltpolitik der Grünen etwas entgegensetzt - von den FDP-Wählern sagen das sogar mehr als drei Viertel. In Stimmen ummünzen kann die FDP das aber offenbar nicht.

Bild: Ansichten über Grüne und FDP

Bild: Ansichten über Grüne und FDP

BIW profitiert von Zerstrittenheit der AfD

Die Bürger in Wut sind der große Gewinner der Wahl. Das hat zum großen Teil aber damit zu tun, dass die AfD im Land Bremen dermaßen zerstritten ist, dass sie sich nicht auf eine zulässige Kandidatenlisten einigen und deshalb nicht gewählt werden konnte.

Zwar grenzen sich die BIW - anders als die AfD - klar von rechtsextremen Tendenzen ab, beim Wählerklientel gibt es aber große Überschneidungen. Gut die Hälfte der BIW-Wähler hat laut den Infratest-dimap-Umfragen die Partei nur deshalb gewählt, weil die AfD nicht zur Wahl stand.

Doch konnten die BIW durchaus außerhalb des AfD-Lagers punkten und viele bisherige CDU-Wähler für sich gewinnen. Fast 30 Prozent der Bremerinnen und Bremer sagen, die BIW stehen für Werte, die früher die CDU vertreten habe - von den BIW-Wählenden sind es sogar fast drei Viertel.

Besonders stark sind die BIW übrigens in Bremerhaven, der sozial schwächeren Stadt des Zwei-Städte-Bundeslandes. Hier kommen sie laut Prognose auf mehr als 20 Prozent - nicht weit entfernt von den Werten der CDU.

Bild: Ansichten über CDU und Bürger in Wut

Bild: Ansichten über CDU und Bürger in Wut

Linke ist Wahlgewinnerin - trotz Verlusten

Zu den Wahlgewinnerinnen des Abends zählt auch die Linke - obwohl sie im Vergleich zur Wahl 2019 laut Hochrechnung sogar leicht verloren hat. Doch der Linken in Bremen ist es gelungen, sich völlig vom desaströsen Abwärtstrend der Partei auf Bundesebene abzukoppeln, wo derzeit vor allem über die - trotz des russischen Angriffskriegs - "freundliche" Haltung von Teilen der Partei zu Russland diskutiert wird.

Auf Landesebene konnte die Linke hingegen mit pragmatischer Sachpolitik punkten. 46 Prozent der Bremerinnen und Bremer fänden es gut, wenn sie wieder an der Landesregierung beteiligt wäre. Und mehr als die Hälfte sagen, Linken-Senatorin Kristina Vogt habe gezeigt, dass die Linke auch Wirtschaft kann.

Bild: Ansichten über die Linke

Bild: Ansichten über die Linke

Anm. d. Red.: Wegen des komplizierten Wahlrechts in Bremen liegt das vorläufiges Ergebnis erst deutlich später vor als in anderen Bundesländern. Diese Analyse muss sich daher noch auf die erste Hochrechnung beziehen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die Extraausgabe der tagesthemen am 14. Mai 2023 um 21:50 Uhr.