Bilanz nach drei Monaten Was bringt das Bürgergeld?
Zum Jahreswechsel wurde das Arbeitslosengeld II - auch Hartz IV genannt - vom Bürgergeld abgelöst. Mehr Geld, mehr Förderung, weniger Sanktionen, so lautete der Plan. Wie gut funktioniert das?
"Gut gemeint ist nicht gut gemacht - das Bürgergeld ist ein schlechter Kompromiss." Stefan Wagner klingt ziemlich desillusioniert, wenn man ihn nach seiner Einschätzung zum Nachfolgemodell der Hartz-IV-Leistungen fragt. Er war selbst Arbeitslosengeld-II-Bezieher, lebt inzwischen von einer kleinen Rente und engagiert sich ehrenamtlich in der Sozialen Anlaufstelle Speyer. Das ist eine Anlaufstelle, erklärt Wagner, für "Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens" stehen: Wohnungslose, Armutsbetroffene, die meisten von ihnen beziehen seit Anfang des Jahres Bürgergeld.
Zunächst, so Wagners Beobachtung, seien viele seiner Gäste - so nennt er die Menschen, die bei ihm und seinem Team Hilfe suchen - misstrauisch und verunsichert gewesen. "Das ist ein unheimlich komplexes Leistungssystem, da blickt kaum jemand durch", sagt Wagner. "Schonvermögen, Freibeträge, was hat sich geändert, welche Fristen muss man einhalten, worauf habe ich Anspruch?"
Mehr Geld vom Amt reicht nicht für alles
Mit der Umstellung von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld auf das Bürgergeld sind die Regelsätze gestiegen: Ein Alleinstehender bekommt jetzt 502 Euro im Monat. "Die 53 Euro mehr rocken es aber wirklich nicht", winkt Wagner ab. "Die werden allein durch die gestiegenen Lebensmittelpreise und Stromkosten komplett aufgefressen."
Ähnlich sehen es die großen Sozialverbände. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, sagt, die Leistungen reichten vorne und hinten nicht und gingen an der Lebensrealität der Menschen vorbei. 725 Euro, so seine Forderung, müsste der Regelsatz betragen. Schon jetzt werden 23,76 Milliarden Euro für das Bürgergeld im Jahr 2023 veranschlagt, etwa 2,4 Milliarden mehr als für ALG II im Vorjahr.
Bundesweit beziehen derzeit schätzungsweise knapp 3,9 Millionen erwerbsfähige Personen Bürgergeld. Neu ist, dass der sogenannte Vermittlungsvorrang abgeschafft wurde: Arbeitslose müssen nicht mehr sofort jeden Job annehmen. Stattdessen werden Weiterbildung und das Nachholen von Berufsabschlüssen stärker unterstützt, sowohl finanziell als auch in der Beratung.
"Das ist wirklich gut", betont Ehrenamtler Wagner. Er erzählt von einem seiner Gäste: "Den hätten sie früher zum Regalauffüllen in den Discounter geschickt, jetzt kann er stattdessen seinen Hauptschulabschluss nachmachen. Man sieht den Menschen direkt an, was das mit ihnen macht. Das gibt ihnen ein Stück weit ihre Würde zurück - und eine Perspektive." Kritisch sieht er dagegen, dass die Sanktionen nicht komplett gestrichen wurden - anders als ursprünglich vorgesehen. "Die Leute werden nur in die Ecke getrieben, wenn ständig das Damoklesschwert Kürzung über ihnen schwebt", sagt Wagner.
Nach wie vor "Fördern und Fordern"
Denn das gilt für das Bürgergeld genauso wie vorher beim ALG II. Sollte ein Bürgergeld-Bezieher sich weigern, eine Arbeit anzunehmen, muss er mit Leistungskürzungen rechnen. Zu Recht, so der Verband der Arbeitgeber (VDA). Es gehe um klare Mitwirkungspflichten und Hilfe zur Selbsthilfe, um das Vertrauen in den Sozialstaat nicht zu erschüttern, der die Leistungen erbringt. Für eine Zwischenbilanz, so eine VDA-Sprecherin, sei es aber nach drei Monaten zu früh, zumal einige Regelungen erst zum 1. Juli in Kraft treten.
Christian Merkl, Wirtschaftsprofessor an der Universität Erlangen-Nürnberg, hält es für wünschenswert, dass die Aufnahme von Vollzeitbeschäftigung attraktiver würde. Bisher gebe es jedoch keine Hinweise darauf, dass durch das Bürgergeld die Anreize zur Arbeit stark gesunken wären. Der Arbeitgeberverband betont, wichtig sei vor allem, die Jobcenter sowohl finanziell als auch personell vernünftig auszustatten.
Forderung nach Kindergrundsicherung
Das gibt auch der Sozialverband VdK zu bedenken. VdK-Präsidentin Verena Bentele sagt: "Sehr viele Regelungen zum Herzstück der Bürgergeldreform werden erst im Sommer umgesetzt. Sie sollen wieder mehr Menschen in Arbeit bringen. Wir befürchten allerdings, dass die Jobcenter dies mit ihren knappen personellen und finanziellen Ressourcen kaum bewältigen können." Die Jobcenter seien schon jetzt stark ausgelastet mit der Betreuung der Menschen, die Bürgergeld beziehen. "Damit die Jobcenter die guten neuen Instrumente ab Sommer wirklich erfolgreich einsetzen können, müssen sie finanziell und personell besser ausgestattet werden. Sonst bleiben diese Maßnahmen wirkungslos."
Dem kann Ehrenamtler Wagner voll zustimmen: "Wichtig ist doch, dass wir die Leute erreichen mit unseren Hilfsangeboten. Wir wollen den Menschen auf Augenhöhe begegnen - und natürlich dazu beitragen, sie in Lohn und Brot zu kriegen, wenn möglich." An seiner Forderung nach einer kompletten Neuberechnung des Regelsatzes ändert das nichts. "Der muss sich am tatsächlichen Bedarf orientieren", sagt Wagner. "Und wenn wir schon dabei sind: Die Kindergrundsicherung muss kommen. Das würde Familien, die armutsbetroffen sind, wirklich helfen."