Vor der Abstimmung im Bundestag Vertrauen, Misstrauen oder Enthaltung?
Mit der Vertrauensfrage soll heute im Bundestag der Weg zu Neuwahlen geebnet werden. Aus einigen Fraktionen wurde deutlich, wie sie abstimmen wollen. SPD-Fraktionschef Mützenich sprach von einem "Tag der Erleichterung".
Vor der heutigen Abstimmung im Bundestag über die Vertrauensfrage, mit der Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Weg für Neuwahlen frei machen will, werden die Präferenzen der Parteien deutlich. So wird die Unionsfraktion nach Angaben ihres Parlamentsgeschäftsführers Thorsten Frei geschlossen gegen Scholz stimmen.
"Garantieren kann ich natürlich nur für die 196 Abgeordneten der Unionsfraktion. Wir werden ihm 196-fach das Misstrauen aussprechen", sagte Frei der Nachrichtenagentur dpa. Er ging davon aus, dass es bei der namentlichen Abstimmung am Nachmittag im Bundestag keine Überraschungen geben wird.
Grüne könnten sich bei Abstimmung enthalten
Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic, legte ihrer Fraktion eine Enthaltung nahe. "Wir empfehlen unseren Abgeordneten, sich bei der Abstimmung zur Vertrauensfrage zu enthalten", sagte sie den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. "Denn um zu einer Neuwahl des Deutschen Bundestages zu kommen, muss die Vertrauensfrage scheitern", betonte Mihalic. "Mit unserer Enthaltung können wir dies sicherstellen und damit Neuwahlen ermöglichen."
Aus Reihen der Grünen kündigte auch Vizekanzler Robert Habeck an, sich enthalten zu wollen. "Ich glaube, ich habe mich in der letzten Legislatur nie enthalten, sondern immer mit Ja oder Nein gestimmt. Aber hier, bei diesem Thema finde ich es richtig", sagte er der Bild. Er sei "sehr dafür, dass das Land jetzt schnell wählt und hoffentlich auch schnell eine Regierung bekommt".
Drei AfD-Abgeordnete wollen für Scholz stimmen
Nach Angaben von Parteichefin Alice Weidel wollen drei Abgeordnete der AfD bei der Abstimmung für Scholz stimmen. Man werde dem Bundeskanzler geschlossen nicht das Vertrauen aussprechen bis auf drei Ausnahmen, sagte Weidel nach einer Sondersitzung der AfD-Bundestagsfraktion vor Beginn der Parlamentssitzung. Diese sorgten sich "um einen Kriegskanzler Friedrich Merz", der damit zündele, "Taurus"-Marschflugkörper in die Ukraine zu liefern. Namen nannte sie nicht.
Laut der Nachrichtenagentur dpa handelt es sich um die Abgeordneten Jürgen Pohl, Christina Baum und Edgar Naujok. Ein oder zwei Abgeordnete könnten sich den Informationen zufolge außerdem enthalten, hieß es weiter. Bereits zuvor hatte der Abgeordnete Pohl angekündigt, für Scholz zu stimmen. "Ich habe explizit die Abstimmung freigestellt", sagte Weidel der dpa. Denn diese Frage sei ein emotionales Thema. Zur Abstimmung sagte sie: "Es ist gut, dass Olaf Scholz das Vertrauen entzogen bekommt."
FDP: Ehemalige Ampel-Partner hatten zu wenig Mut
FDP-Fraktionschef Christian Dürr machte deutlich, dass die Liberalen im Bundestag dem Kanzler nicht das Vertrauen aussprechen wollen. Deutschland brauche einen Neuanfang, so Dürr in Berlin. Deswegen sei es gut, dass der Weg für Neuwahlen freigemacht werde
Zuvor hatte Dürr mangelnden Mut der ehemaligen Koalitionspartner mitverantwortlich für das Ende der Ampel-Regierung gemacht. Er habe die Hoffnung gehabt, dass Bundeskanzler Scholz bereit sei, "mutige Reformpolitik zu machen", sagte Dürr im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF. "Dieser Mut hat ihn, man muss es deutlich sagen, zum Schluss einfach verlassen." Der Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP sei "einiges gelungen", sagte Dürr, "aber es hat am Ende nicht gereicht". Die FDP habe immer den Fokus auf Reformpolitik gehabt, die am Ende mit SPD und Grünen nicht möglich gewesen sei.
Mützenich spricht von "Tag der Erleichterung"
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich geht davon aus, dass seine Fraktion Scholz bei der Abstimmung über die Vertrauensfrage klar den Rücken stärken wird. Die Unterstützung für den Kanzler unter den 207 SPD-Abgeordneten sei "absolut deutlich", sagte Mützenich vor der Sitzung seiner Fraktion im Bundestag. "Die SPD-Bundestagsfraktion wird dem Bundeskanzler allen Zuspruch geben, den er braucht, aber den er auch verdient hat", sagte er.
Im Morgenmagazin hatte Mützenich die anstehende Vertrauensabstimmung als "Tag der Erleichterung"bezeichnet. Das Ergebnis des Votums bringe Klarheit über den Weg zu vorgezogenen Bundestagswahlen. Auf der anderen Seite sei er "bitter enttäuscht", weil er wochenlang von der FDP im Unklaren gelassen wurde, dass diese offenbar einen Bruch der Ampel länger geplant hatte. Mützenich betonte, dass die SPD trotz schlechter Umfragewerte das klare Ziel habe, erneut stärkste Kraft im Bundestag zu werden.
Der SPD-Fraktionschef sagte, dass er die Phase der Unsicherheit nach dem Ampel-Bruch bedauere. Der Bundeskanzler habe "letztlich vielleicht zu lange" versucht, zwischen den Koalitionspartner FDP und Grünen zu vermitteln, die "nicht miteinander konnten". "Wir konnten nicht ständig die Mediatorenrolle übernehmen", sagte Mützenich rückblickend. Nachdem die FDP dann den Vertrauensbruch am Abend des Koalitionsausschusses am 6. November öffentlich gemacht habe, habe der Kanzler vollkommen zurecht klar gemacht, dass es so nicht weiter gehe.
Steinmeier könnte bei Votum gegen Scholz Bundestag auflösen
Der Bundestag stimmt am Montagnachmittag über die Vertrauensfrage ab. Bundeskanzler Scholz gibt zunächst um 13.00 Uhr eine Erklärung ab. Danach gibt es eine zweistündige Aussprache, bevor die namentliche Abstimmung beginnt. Ziel von Scholz ist es, diese zu verlieren. Damit könnte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Bundestag auflösen und Neuwahlen ansetzen. Als Termin für die vorgezogene Bundestagswahl ist mit Steinmeier bereits der 23. Februar vereinbart.
Jede Abgeordnete und jeder Abgeordneter hat drei dieser Stimmkarten in verschiedenen Farben, die jeweils die Größe einer Kreditkarte haben. Darauf stehen der Name und die Fraktion oder Gruppe, zu der eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter gehört. Blaue Stimmkarten bedeuten "Ja", rote Karten sind ein "Nein", weiße Karten stehen für eine Enthaltung.
Die Karten werden in eine Wahlurne geworfen. Sie werden dann von den Schriftführerinnen und Schriftführern des Bundestags gezählt. Das amtierende Sitzungspräsidium gibt dann im Plenum das Ergebnis bekannt, welches der Bundestag neben einer Namensliste auch auf seiner Seite im Internet veröffentlicht.
Nach der Abstimmung über die Vertrauensfrage müssen die Fraktionen von SPD, Grünen, CDU/CSU und FDP auch entscheiden, welche Gesetzesprojekte sie in den verbleibenden Sitzungswochen des Bundestages noch beschließen wollen. Kanzler Scholz, der eine rot-grüne Minderheitsregierung anführt, bleibt bis zur Bildung einer neuen Regierung geschäftsführend im Amt.