CDU-Vorstandsklausur Opposition mit Nadelstichen
Mit neuem Chef und neuer Kraft wollte die CDU in die Oppositionsrolle finden. Doch dann begann der Ukraine-Krieg. Nun navigiert die Partei zwischen Schulterschluss mit der Regierung und Angriff.
"Neue Kraft, neuer Aufbruch" - das Motto der Vorstandsklausur der Bundes-CDU wirkt fast ein bisschen verloren. Putins Krieg in der Ukraine überschattet den Auftakt ins Wahljahr 2022. Kein Platz für Wahlgeschenke, stattdessen eine Saarländische Erklärung mit der Überschrift "Krieg mitten in Europa".
Was soll man vorschlagen, wenn im Osten des Kontinents Menschen um ihr Leben fürchten müssen, Soldaten und Zivilisten sterben, Frauen und Kinder fliehen? Steuererleichterungen, ein Rentenkonzept, Wirtschaftsimpulse. Ideen dafür, wie man die Ampel treiben kann, hat die CDU schon. Oppositionsarbeit - bissig, aber nicht böse. Wieder angreifen und warten, dass die Bundesregierung Fehler macht.
Der Start der Ampel-Koalition war in dieser Hinsicht für manchen Christdemokraten vielversprechend: Keine klare Haltung in der Pandemie. Während rot, grün und gelb schon fast ins Schleudern gerieten, stand die CDU mit ihrem Vorsitzenden Friedrich Merz bereit, die Bundesregierung zu ärgern.
Ukraine-Krieg erschwert Oppositionsarbeit
Dem saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans wollte man mit der Klausur noch einmal einen ordentlichen Schub verleihen, den Wahlkampfmotor im Saarland in Schwung bringen.
Stattdessen belastet das Gewaltszenario in der Ukraine auch die Oppositionsarbeit. Mitgefühl statt verbaler Attacken - alles andere verbietet sich von selbst. An etwas anderes mag auch im Bundesvorstand der CDU im Moment niemand denken. Gute Oppositionsarbeit heißt gerade jetzt, jedes Wort gut abwägen.
Irritation über Merz-Interview
Und doch hatte der frisch gewählte Partei- und Fraktionschef Merz gleich zu Beginn der Klausur für Irritationen gesorgt. Ein Interview im NDR klingt fast so, als sei der NATO-Einsatz nach den russischen Attacken auf das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja ein Bündnisfall: Wenn sich so etwas wiederholen sollte, müsse die NATO darüber nachdenken, ob dies nicht ein Angriff auf das eigene Territorium darstelle.
Merz korrigierte sich später und machte klar, dass die rote Linie da bleibt, wo sie ist - an den NATO-Außengrenzen. Das zeigt: Jede Äußerung muss in diesen Tagen gut überlegt sein.
Bewältigung der Sanktionsfolgen
Die Verhandlungen über Sanktionen, über Krieg und Frieden führen andere. Die Bundesregierung kann handeln, der CDU bleibt nur der Schulterschluss. Das ist Merz bisher gut gelungen. Er weiß, dass dies nicht die Zeit für Parteitaktik ist. Die Chance liegt in der Bewältigung der Folgen, etwa von Sanktionen, die auch Deutschland zu spüren bekommen könnte.
Die CDU will die steigenden Energiepreise abfedern, die heimische Landwirtschaft stärken, Deutschland unabhängig machen vom russischen Gas und die geplante Auf- und Ausrüstung der Bundeswehr mittragen, allerdings unter Bedingungen. Denn hier sieht Merz offenbar trotz Krise eine Chance, die Ampel zu treiben.
Bundeswehr-Sondervermögen im Grundgesetz?
Seit Beginn des Ukraine-Kriegs ist der CDU-Parteichef in regelmäßigem Kontakt mit Bundeskanzler Olaf Scholz. Und doch hat der Unionsfraktionschef offenbar noch immer keine Einzelheiten, wie die Regierung das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr letztlich umsetzen will. Wenn das Finanzpaket über eine Grundgesetzänderung abgesichert werden soll, bräuchte die Regierung die Zustimmung der Unionsparteien in Bundestag und Bundesrat. Sie müsste dann die Gründe dafür darlegen, sagt Oppositionsführer Merz, denn schließlich sei die CDU nicht der Ersatzbeschaffer von Mehrheiten.
Bislang lässt die Ampel die Opposition aber im Unklaren. Außer der Rede des Kanzlers im Bundestag habe man bislang keine Informationen, sagte Merz in dieser Woche gleich in mehreren Interviews. Und trotzdem, wenn es um das geplante 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr geht, sichert er der Regierung weiter eine "uneingeschränkte Unterstützung" zu.
CDU stellt Bedingungen
Gleichzeitig stellt die CDU aber auch Bedingungen. In einem Bundesvorstandsbeschluss macht die Parteispitze klar, dass die 100 Milliarden für die Bundeswehr vollständig in Ausrüstung, Ausbildung und in die Struktur der Armee gesteckt werden müssen. Aus Sicht von Parteichef Merz gebe es "keinen Spielraum für andere Pläne oder Ideen". Er spielt damit auf Wünsche aus Teilen von Grünen und Linken an, die das Geld nicht nur für die Bundeswehr ausgeben wollen. Jahrelange Beschaffungsverfahren will die CDU zudem mit einem Planungsbeschleunigungsgesetz für die Bundeswehr vereinfachen und verkürzen.
Eine weitere Forderung: Neben dem 100-Milliarden-Sondervermögen will CDU-Fraktionschef Merz auch umgehend das sogenannte Zwei-Prozent-Ziel der NATO wieder erfüllen. Das würde bedeuten, dass in den kommenden Jahren die Verteidigungshaushalte von rund 50 Milliarden auf rund 70 Milliarden ansteigen. Das 100-Milliarden-Sondervermögen käme noch dazu. Die Rüstungs- und Verteidigungsausgaben würden enorm steigen. Kaum vorstellbar, dass Bundeskanzler Scholz dafür von SPD, FDP und Grünen im Bundestag eine Mehrheit bekommt.
Umgang mit Geflüchteten aus der Ukraine
Bei einer Abendveranstaltung in Saarbrücken ruft Merz den CDU-Anhängern zu: "Wir sind ein Einwanderungsland." Es gehe gerade jetzt darum, das zu verstehen, warmherzig Menschen aufzunehmen, die aus der Ukraine auf der Flucht vor russischen Militärschlägen jetzt auch nach Deutschland kämen. Viele wollten hier nicht bleiben, so Merz.
Die Botschaft ist klar: Niemand muss sich Sorgen machen, dass sich 2015 wiederholt. Es gehe nicht um eine Zuwanderung in die Sozialsysteme. Der Satz sitzt beim Publikum. Merz baut vor. Er weiß, wie sehr die sogenannte Flüchtlingskrise seine Partei damals vor eine Zerreißprobe gestellt hat.
Damals war es auch das Gefühl, dass der Staat die Situation nicht mehr im Griff hat. Damals war die CDU an der Macht. Heute sind sie in der Opposition und fordern einen nationalen Krisenstab, der die Hilfesuchenden aus der Ukraine medizinisch versorgt und verteilt. Eine gesteuerte Aufnahmepolitik. Man sorge sich, dass die Ampel-Koalition die Lage unterschätze und nicht in den Griff bekomme, heißt es.
Erwartungsmanagement und politische Forderungen. Oppositionsarbeit mit Schulterschluss im Großen und Nadelstichen im Kleinen - so versucht die CDU in der Krise als Opposition sichtbar zu bleiben.