Corona-Pandemie "Keine Aufarbeitung wäre ein großer Fehler"
Welche Maßnahmen haben Leben gerettet? Und wo sind Fehler passiert? Vertreter der Ampel-Fraktionen beteuern, dass die Corona-Politik aufgearbeitet werden muss. Passiert ist bisher wenig. Aber die Zeit drängt.
Absperrband flattert an Klettergerüsten und Schaukeln, Spielplätze sind abgesperrt, Schulen und Kitas geschlossen. Das Leben ist geprägt von Abstandsregeln und Maskenpflicht. Diese Zeit wollen einige am liebsten vergessen, für andere sind die Wunden auch heute noch nicht verheilt.
So geht es auch Franzi, die eigentlich anders heißt. Auch heute hat die Pflegekraft aus Berlin noch Angst davor, ihren Namen zu nennen, weil sie befürchtet, weiter ausgegrenzt zu werden. Sie hat sich damals gegen eine Corona-Impfung entschieden. "Weil es so schnell ging, dass der Impfstoff entwickelt wurde. Ich hatte einfach Angst davor, Nebenwirkungen zu bekommen."
Die Entscheidung habe sie sich damals nicht leicht gemacht. Ihr Umfeld habe sie als Corona-Leugnerin oder Verschwörungstheoretikerin abgestempelt. "Ich habe immer gesagt: Nein, das bin ich alles gar nicht. Ich möchte einfach bloß die Impfung nicht."
Einrichtungsbezogene Impfpflicht auf dem Prüfstand
Es steht fest, dass die Impfung viele Menschenleben gerettet hat. Aber war die einrichtungsbezogene Impfpflicht wirklich gerechtfertigt? Diese hat die Ampelkoalition im März 2022 eingeführt. Das ist ein Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit.
Das Verwaltungsgericht Osnabrück kommt nun zum Ergebnis, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht erneut vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden muss. Dabei spielen auch die öffentlich gewordenen Protokolle des Robert Koch-Instituts eine Rolle, sagt Rechtswissenschaftlerin Frauke Rostalski. Denn in den RKI-Protokollen werden Zweifel thematisiert, ob die Impfung andere überhaupt ausreichend schützt.
"Das ändert in der Tat juristisch alles", sagt Rostalski. "Wenn es nämlich keinen Fremdschutz gibt, der gegenüber Ungeimpften signifikant erhöht ist, dann dient die Impfung dem Selbstschutz." Eine einrichtungsbezogene Impfpflicht könne dann nicht mit dem Fremdschutz gegenüber anderen, besonders Gefährdeten begründet werden. Genau das habe der Gesetzgeber aber gemacht, sagt Rostalski, die Mitglied im Deutschen Ethikrat ist.
Fehlende Therapieplätze für Kinder und Jugendliche
Es bleiben weitere offene Fragen: Was ist gut gelaufen? Welche Maßnahmen haben Leben gerettet? Und wo sind Fehler passiert? Die Politik hat mehrfach eine Aufarbeitung angekündigt. Doch auch rund eineinhalb Jahre nach dem Ende aller Corona-Maßnahmen ist davon auf Bundesebene nicht viel zu sehen.
Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat mehrfach eingeräumt, dass die Maßnahmen gegenüber Kindern zu hart waren. Ein Fehler, den einige Kinder und Jugendliche bis heute spüren. Sie haben Depressionen, Angststörungen oder Schwierigkeiten in der Schule. Die Soziologin Jutta Allmendinger drängt darauf, dass sich die Politik um eine bessere ärztliche Betreuung und mehr Therapieplätze kümmert. "Diese Kinder und die Eltern brauchen Hilfe. Dringend."
Aufarbeitung durch Wissenschaft, Politik und Bürger
Während die einen weiter mit den individuellen Nachwirkungen der Pandemie zu kämpfen haben, sieht Soziologin Allmendinger auch noch Wunden in der Gesellschaft, die geheilt werden müssen. Allmendinger wurde kürzlich als neues Mitglied in den Deutschen Ethikrat gewählt. Sie macht sich Sorgen.
Wir haben Vertrauen gegenseitig ineinander verloren und Vertrauen ist der Kitt der Demokratie.
Sie drängt daher auf eine umfassende Aufarbeitung. "Nicht im Sinne von einer Schuldzuweisung, sondern damit wir für die nächste Pandemie, die mit Sicherheit kommt, besser aufgestellt sind." Aus Sicht von Allmendinger reicht dafür ein Gremium zur Aufarbeitung nicht aus.
Sie macht sich für unterschiedliche Formate stark: Eine Aufarbeitung durch die Wissenschaft, eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger und eine politische Aufarbeitung.
Keine Einigung über das richtige Format
Doch die Ampel-Fraktionen können sich bisher auf kein einziges Gremium einigen. "Keine Aufarbeitung der Corona-Pandemie vorzunehmen, wäre ein großer Fehler", gibt Konstantin Kuhle von der FDP zu. Auch für ihn hat Corona tiefe Spuren in Teilen der Gesellschaft hinterlassen.
"Das Misstrauen gegenüber demokratischen Institutionen und gegenüber der Demokratie insgesamt hängt zu einem Teil damit zusammen, dass während der Corona-Pandemie teilweise über die Stränge geschlagen wurde. Und deswegen muss das ein gutes Format sein."
Doch was ein "gutes Format" zur Aufarbeitung ist, darauf kann sich die Ampel bislang nicht verständigen. Wer genau mitsprechen soll, darüber gibt es Streit, auch in der Frage, wie die Bundesländer an der Aufarbeitung beteiligt werden. Vor allem SPD und FDP scheinen unterschiedliche Vorstellungen zu haben. Die Folge: Die Gespräche wurden erst mal beendet. Ist die Aufarbeitung damit also gescheitert?
Die Zeit für eine Entscheidung wird knapp
"Es hat sich einfach verhakt. Ich kann es eigentlich gar nicht so genau erklären", sagt Britta Haßelmann. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen will allerdings nicht aufgeben. Sie will besser auf eine nächste Pandemie vorbereitet sein und sieht viele offene Fragen. Etwa welche Rolle die Ministerpräsidentenkonferenz gespielt hat. Wie könnten Bund und Länder in Zukunft besser zusammenarbeiten?
Die Aufgabenliste ist lang und die Zeit drängt. "Es muss in den nächsten zwei Wochen entschieden sein, sonst bringen wir das nicht mehr auf den Weg", so Haßelmann.
Lauterbach: "Wir haben nichts zu verbergen"
Es scheint eher unwahrscheinlich, dass eine Einigung doch noch gelingen kann. Die FDP sagt: Keine Aufarbeitung ist besser als eine Pseudoaufarbeitung. Die Grünen wiederum zeigen sich für fast alles offen: "Weil die Zeit so drängt, würde ich jetzt wahrscheinlich jede Art von Kommission auch mitmachen", sagt Fraktionsvorsitzende Haßelmann.
Und die SPD? Die Fraktionsspitze wollte dem ARD-Hauptstadtstudio kein Interview zu dem Thema geben. Der Gesundheitsminister von der SPD, Karl Lauterbach, will die Entscheidung über die Aufarbeitung, dem Parlament überlassen.
Im Bericht aus Berlin spricht Lauterbach sich für eine Aufarbeitung aus. "Wir haben nichts zu verbergen. Und wenn wir es nicht machen, dann entsteht einfach der Eindruck, als wenn wir etwas zu verbergen hätten und das darf nicht stehen bleiben, von daher ist eine Aufarbeitung notwendig." Doch da sich die Ampel in Detailfragen weiter uneinig ist, besteht die Gefahr, dass eine umfassende Aufarbeitung in dieser Legislatur endgültig verschleppt wird.