Finanzprobleme der Kassen Bundesrat entscheidet über höheren Pflegebeitrag
Immer mehr Pflegebedürftige und steigende Kosten: Der Bundesrat entscheidet heute über einen höheren Pflegebeitrag. Minister Lauterbach warnt, dass ansonsten einigen Kassen die Zahlungsunfähigkeit drohe.
Zwei Tage nachdem die Ampelkoalition zerbrochen ist, tritt Gesundheitsminister Karl Lauterbach vor die Mikrofone. Er versucht, nun eilig Schadensbegrenzung zu betreiben. Eigentlich hatte der Minister längst geplant, die Beiträge zur Pflegeversicherung per Gesetz um 0,2 Prozentpunkte anzuheben. So zumindest wird Lauterbach es später erzählen.
Doch ohne die FDP geht das nun nicht mehr. Deshalb soll eine Notverordnung das Finanzproblem der klammen Pflegekassen lösen. Das sei unmittelbar und dringend notwendig, führt der Minister aus. Sollte der Bundesrat die Erhöhung blockieren, "würde einigen Pflegekassen die Zahlungsunfähigkeit drohen", warnt Lauterbach.
Ein solches Szenario kann keiner wollen: Pflegebedürftige, die kein Geld von ihrer Pflegekasse erhalten und Pflegeheime, denen das Geld ausgeht. Der Bundestag hat die Notmaßnahme also bereits passieren lassen. Heute entscheidet der Bundesrat in letzter Minute darüber. Kaum vorstellbar, dass die Verordnung in der letzten Sitzung des Jahres nicht durchgeht. "Wir erwarten, dass der Bundesrat dieser Erhöhung zustimmt", sagt Florian Lanz vom Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV).
Umfassende Pflegereform fehlt noch immer
Das ändert aber nichts am grundlegenden Problem: Eine umfassende Pflegereform hat die Ampel-Regierung nicht auf den Weg gebracht. Lauterbach bezeichnet das als einen "Kollateralschaden der Implosion der Ampel". Doch kaum einer in Berlin hatte erwartet, dass die Ampel-Regierung noch eine große Reform auf den Weg bringen würde.
Das liegt auch daran, dass Lauterbach sein Augenmerk auf andere Großbaustellen der Gesundheitspolitik gelegt hatte. Viele Fachleute sind sich darüber einig, dass die nächste Bundesregierung ein großes Problem erbt. Das sieht auch GKV-Sprecher Lanz so: "Die Pflegeversicherung auf solide finanzielle Basis zu stellen, wird eine der großen Aufgaben im neuen Jahr."
Immer mehr Leistungsberechtigte
Seit die Pflegeversicherung vor fast 30 Jahren eingeführt wurde, hat sich die Zahl der Pflegebedürftigen stark erhöht. Das treibt die Kosten in die Höhe. Im vergangenen Jahr haben 5,2 Millionen Menschen Leistungen aus der Pflegeversicherung bekommen, mehrere Hunderttausend Menschen mit Pflegegrad eins nahmen keine Pflegeheime oder ambulante Dienste in Anspruch. Die Zahl der Leistungsempfänger hat sich seit 1995 verfünffacht. Das liegt zum einen daran, dass die Menschen in Deutschland immer älter werden.
Es hängt aber auch damit zusammen, dass durch eine Pflegereform 2017 die Zahl der Anspruchsberechtigten deutlich gestiegen ist. Als pflegebedürftig galten bis dahin vor allem Menschen mit körperlichen Einschränkungen, während viele Demenzerkrankte durchs Raster fielen. Auch sie bekommen seitdem eine bessere Unterstützung.
2.900 Euro private Zuzahlung pro Monat
Die Pflegeversicherung unterstützt Menschen, die Hilfe im Alltag brauchen - unabhängig davon, ob sie zu Hause oder im Heim gepflegt werden. Wie viel jeder Einzelne erhält, hängt von der Pflegebedürftigkeit ab. Alle Kosten werden damit aber nicht abgedeckt. Das bedeutet, dass die Pflegebedürftigen den Rest selbst zahlen müssen.
Die Kosten für einen Platz im Pflegeheim sind in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen. Kosten für Verpflegung, Unterkunft und Investitionen in den Seniorenheimen übernimmt die Pflegeversicherung generell nicht. Und bei Pflege und Betreuung in der Regel nur einen Teil. Hinzu kommen immer höhere Kosten, etwa durch höhere Löhne für das Pflegepersonal. Diese landen oft bei den Pflegebedürftigen. Insgesamt müssen sie für einen Pflegeheimplatz im ersten Aufenthaltsjahr derzeit knapp 2.900 Euro pro Monat im Bundesdurchschnitt zahlen.
Die Ampel-Regierung wollte eigentlich gegensteuern und die immer weiter steigenden Kosten für die Pflegebedürftigen mit einem Gesetz 2023 abmildern. Für die Pflege in stationären Einrichtungen wurden die Zuschläge erhöht. Und seit 2024 bekommen auch Menschen, die zu Hause gepflegt werden, fünf Prozent mehr Geld. Viel zu wenig, kritisieren Sozialverbände. Das gleiche nicht mal die Inflation aus.
"Pflegeversicherung erfüllt ihre Funktion nicht mehr"
Genutzt hat diese Mini-Reform wenig, darüber sind sich Experten weitgehend einig. Denn die Eigenanteile für Pflegebedürftige steigen weiter. Die Pflegeversicherung sei angetreten, um sicherzustellen, dass man aufgrund von Pflege nicht verarmt, erklärt Pflegeforscher Heinz Rothgang von der Universität Bremen. "Diese Funktion erfüllt sie nicht mehr." Und das, obwohl die Beiträge für die Versicherten steigen.
Weitere Teile der Mini-Reform greifen erst ab 2025. Dazu gehört, dass pflegende Angehörige besser entlastet werden sollen. Deshalb werden verschiedene Leistungen gebündelt und erhöht, um Angehörigen leichter Pausen von der Pflege zu ermöglichen. Sie können die Pflegebedürftigen für einige Wochen in Pflegeeinrichtungen versorgen lassen. Doch sie müssen die Plätze für diese Kurzzeitpflege selbst finden und die Plätze sind jetzt schon rar.
Lauterbach will Minister bleiben
Dass es so nicht weitergehen kann, ist also offensichtlich. Das weiß auch der noch amtierende Bundesgesundheitsminister. "Uns läuft die Zeit weg", sagt Lauterbach, der auch in der nächsten Legislatur gern Minister bleiben würde. "Wenn nicht massiv reformiert wird, werden die Eigenanteile bald unbezahlbar hoch sein."
Vor einigen Monaten hatte Lauterbach im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio eine Obergrenze für den Eigenanteil der Pflegebedürftigen ins Spiel gebracht. Einigen konnte sich die Ampelkoalition darauf nicht. Vor allem bei der Frage, wer die steigenden Kosten tragen soll, lagen die Vorstellungen weit auseinander.
Pflegeforscher Rothgang ist sich sicher, dass künftig mehr Geld in die soziale Pflegeversicherung fließen muss: "Das müssen Steuermittel sein auf der einen Seite, und das muss ein Finanzausgleich sein mit der privaten Pflegeversicherung auf der anderen Seite."
Das wollen die Parteien
Diskutiert wird auch darüber, die gesetzliche und die private Pflegeversicherung zusammenzuführen. Dann würden alle - vom Gering- bis zum Besserverdiener - in die gleiche Kasse einzahlen. SPD, Grüne und Linke könnten sich das vorstellen.
Die SPD will die Kosten, die Pflegebedürftige selbst zahlen müssen, begrenzen. Und zwar auf 1.000 Euro für die Pflege in Seniorenheimen. Die Kosten für Unterbringung und Verpflegung kämen aber wie bisher obendrauf.
Sozialdemokraten und Grüne wollen die Pflegeversicherung zudem mit mehr Steuermitteln unterstützen. Auch AfD und BSW plädieren dafür, dass mehr Steuermittel in die Pflegeversicherung fließen sollen.
Die Union schließt das nicht aus, setzt aber wie die FDP andere Akzente. Die beiden Parteien wollen neben der sozialen Pflegeversicherung grundsätzlich mehr private und mehr betriebliche Vorsorge. Worauf eine neue Regierung sich einigen könnte, ist also schwer zu sagen. Klar ist hingegen, dass die Zeit drängt.