Windkrafträder auf einem bewaldenden Hügel.
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Klimaneutraler Umbau der Wirtschaft Wie die Energiewende vorankommt

Stand: 07.08.2024 12:59 Uhr

Wirtschaftsminister Habeck betont den Erfolg der Energiewende, der DIHK warnt davor, dass diese langsam die Industrieunternehmen vertreibt. Wo liegen die Fortschritte? Und wo die größten Baustellen?

Eine Analyse von Martin Polansky, ARD-Hauptstadtstudio

Wirtschaftsminister Robert Habeck hat seit Amtsantritt vor allem ein Anliegen: den Klimaschutz zu stärken und die Energiewende voranzubringen. Nach gut zweieinhalb Jahren im Amt ist Habeck bemüht, Erfolgsbotschaften zu verkünden: "Es geht voran mit der Energiewende. Das ist die Bedingung dafür, dass wir die Klimaschutzziele in Deutschland einhalten."

Erkennbare Fortschritte gibt es tatsächlich beim Ausbau der Erneuerbaren Energien. Insbesondere Photovoltaik boomt. Die Panels sind günstiger, die Regeln etwa für Balkonkraftwerke wurden vereinfacht. Auch der Windkraftausbau hat nach Jahren der Flaute wieder an Fahrt gewonnen - weil die Verfahren beschleunigt werden und leistungsstärkere Windräder alte Anlagen ersetzen, das sogenannte Repowering. Ergebnis: Im ersten Quartal des Jahres kamen immerhin 58 Prozent des hiesigen Stroms aus Erneuerbaren - ein Rekordwert.

Der Stand der Energiewende lässt sich aber auch anders beschreiben. Achim Dercks, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer beklagte vergangene Woche: "Hohe Energiepreise und Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung der Energieversorgung belasten die Unternehmen und sind tatsächlich ein Standort- und Investitionshemmnis."

Ist das Glas nun halb voll oder halb leer - es geht um die Baustellen und die zu erwartenden Kosten der Energiewende. Denn der angestrebte klimaneutrale Umbau der Wirtschaft und des Landes ist noch lange nicht vollendet.

Der Netzausbau

Das Stromnetz muss umgebaut werden - weg von einem System mit wenigen Großkraftwerken, hin zu ganz vielen dezentralen Wind- oder Solaranlagen. Die noch dazu je nach Wetterlage mal viel und mal wenig Strom produzieren und die häufig weit entfernt liegen von den großen Abnehmern. Windparks im Norden erzeugen Strom für die Industrie im Süden des Landes.

Rund 530 Milliarden Euro müssen laut Bundesnetzagentur bis 2045 in die großen Übertragungsnetze und die regionalen Verteilnetze investiert werden. Wie das finanziert werden soll, welche Netzkosten auf Haushalte und Wirtschaft zukommen, ist derzeit ungeklärt. Nach vielen Verzögerungen gab es zuletzt aber einige Baufortschritte bei den Übertragungsnetzen.

Die Kraftwerksstrategie

Bis 2030 sollen Erneuerbare 80 Prozent des Stroms erzeugen. Es verbleibt aber eine Lücke - vor allem, wenn Sonne und Wind nicht genug liefern. Um die Lücke zu füllen, sollen wasserstofffähige Gaskraftwerke mit einer Leistung von 10 Gigawatt gebaut werden - das sind rund 20 Kraftwerksblöcke. Diese Kraftwerke sollen zwischen 2035 und 2040 komplett auf klimafreundlichem Wasserstoff umgestellt werden. Parallel sollen spätestens 2038 die letzten Kohlemeiler vom Netz gehen.

Im Februar hat sich die Bundesregierung auf die Grundzüge der Kraftwerksstrategie verständigt. Fragen der Finanzierung sind aber nach wie vor offen. Die potenziellen Kraftwerksbetreiber befürchten, dass sich die Investitionen nicht lohnen könnten, weil die Kraftwerke voraussichtlich nur gelegentlich laufen werden. Die Betreiber wollen daher dafür bezahlt werden, dass die Kraftwerks-Kapazitäten vorhalten.

Ein weiteres Problem: Es gibt bisher wenig Erfahrung mit wasserstofffähigen Gaskraftwerken, geschweige denn reinen Wasserstoffkraftwerken. Der Bundesrechnungshof bezweifelt angesichts der ungeklärten Fragen, dass sich die angepeilten Zeitpläne für den Kraftwerkszubau noch halten lassen.

Die Wasserstoffwirtschaft

Ganze Industriebranchen wie Stahl oder Zement sollen in den 2030er Jahren auf klimafreundlichen Wasserstoff umgestellt werden. Dafür muss aber eine komplett neue Infrastruktur aufgebaut werden. Es braucht Elektrolyseure, also Produktionskapazitäten für grünen Wasserstoff in Deutschland. Darüber hinaus muss der Energieträger voraussichtlich im großen Stil weltweit beschafft werden. Geplant ist auch der Aufbau eines knapp 10.000 Kilometer langen Wasserstoff-Kernnetzes in Deutschland. Und die energieintensiven Industriebranchen sollen Milliardensummen investieren, um etwa herkömmliche Hochöfen in der Stahlindustrie durch sogenannte Direkt-Reduktionsanlagen zu ersetzen.

Hauptproblem: Es gibt zwar eine Reihe von Pilotprojekten der Wasserstoffwirtschaft, aber bislang hat sich noch kein nennenswerter Markt entwickelt, die Technologie dürfte noch längere Zeit sehr teuer sein. Und die sogenannten "Wasserstoff-Partnerschaften" mit mehr als 20 Ländern weltweit sind zumeist wenig belastbare Absichtserklärungen.

Subventionen sollen helfen

Die Bundesregierung versucht mit Milliardenhilfen den Wasserstoff-Hochlauf anzutreiben. So hat Habeck vor gut drei Wochen Förderbescheide in Höhe von 4,6 Milliarden Euro an rund 20 Unternehmen übergeben, die Leitungen, Wasserstoff-Produktionsanlagen oder Speicher bauen wollen. "Ab jetzt wird gebaggert und gebuddelt", verkündete Habeck bei der Gelegenheit.

Der Wirtschaftsminister von den Grünen hält sich zugute, auf allen Baustellen der Energiewende vorangekommen zu sein, an Konzepten zu arbeiten. Aber vieles ist ungeklärt, einige der Zeitpläne für den Komplettumbau der Energieversorgung mussten schon nach hinten korrigiert werden. Deshalb werden die Zweifel in der Industrie inzwischen lauter. Am erklärten Ziel der Energiewende will Habeck aber nicht rütteln: 2045 soll Deutschland klimaneutral sein.