Ölraffinerie in Schwedt.
reportage

Schwedt an der Oder Von der Raffineriestadt zum Vorbild der Energiewende?

Stand: 30.05.2024 13:04 Uhr

Die Abhängigkeit ihrer PCK-Raffinerie von Russlands Öl ließ in der brandenburgischen Stadt Schwedt viele Sorgen aufkommen. Nun soll sie Vorzeigestadt der Energiewende werden. Der Plan könnte sogar aufgehen - aber teuer werden.

Annekathrin Hoppe, die Bürgermeisterin von Schwedt, steht in einem Lichtkegel auf der Bühne des Theaters und malt mit Worten die Zukunft der Stadt. "Transformation", "Arbeitsplätze", "lebenswert" sind die Schlagworte, die sie benutzt. Und vor allem: "Zukunft". Einmal fällt das Wort so oft in einem Satz, dass sie sich selbst kurz unterbricht: "Dreimal Zukunft - da kann ja jetzt nichts mehr schiefgehen."

Die Vision, die sie entwirft, ist die eines Hochtechnologiestandortes: Wasserstoffwirtschaft, Erneuerbare Energien, Forschungslabore, Fachkräfte, Start-ups. So soll Schwedt bald aussehen, wenn es nach ihr geht. Es klingt wie eine Miniaturversion Deutschlands nach erfolgreich absolvierter Energiewende, konzentriert auf eine 35.000-Einwohner-Stadt. "Schwedt kann Wandel", so formuliert es Hoppe.

Ein Plakat am Theater in Schwedt weist auf Zukunftskonferenz hin.

Die Vision eines Hochtechnologiestandortes: Schwedt will zum Vorreiter der Energiewende werden.

Zwei Jahre nach dem großen Schreck

Vor gerade einmal zwei Jahren klang das noch ganz anders. Ein Schreckensszenario hing über der Industriestandort im Osten Brandenburgs. Durch den Krieg gegen die Ukraine stand auf einmal das "Geschäftsmodell Schwedt" in Frage. Und das heißt seit 70 Jahren vor allem: PCK-Raffinerie. Im Werk sind 1.200 Menschen beschäftigt, indirekt hängen mehrere Tausend Arbeitsplätze daran.

Mehrheitseigentümer ist der russische Staatskonzern Rosneft, und bis 2022 kam der Großteil des Rohöls auch von dort. Schnell war klar: Bald kommt kein Öl mehr aus Russland und PCK könnte "auf dem Trockenen sitzen". Von einem "Strukturbruch" war die Rede.

Schnell schickte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck seinen Staatssekretär Michael Kellner nach Schwedt. Der versprach, sich um die Öllieferungen zu kümmern und um Fördermittel, um aus der Raffineriestadt Schwedt einen Leuchtturm für die Energiewende zu machen.

Nun hat Bürgermeisterin Hoppe auf der "1. Zukunftskonferenz in Schwedt" verkündet, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Ein neuer Bahnanschluss für den Oderhafen soll her, dank Fördermitteln. Die ersten Pläne dafür gab es schon vor 20 Jahren - doch nie war Geld da. Wie viel das Projekt am Ende kostet, ist noch nicht klar. Aber die Stadt will die Planung schon einmal grundsätzlich beschließen.

110 Millionen Euro für "gerechten Übergang"

Das ist jetzt anders, denn nun geht es ja, da sind sich die Entscheider einig, um "grüne" Transformation. Die Mittel kommen aus dem "Just Transition Fund" (JTF) der Europäischen Union, einem Fördertopf, der einen "gerechten Übergang zur Klimaneutralität" unterstützen soll.

Außerdem hat sich die Stadt ein Vorzeigeprojekt ausgedacht: das "Trafo" - kurz für: "Transformations- und Servicegebäude". Dafür soll der Omnibusbahnhof umgestaltet und dazu ein neues Multifunktionsgebäude errichtet werden. Hoppe spricht von einem "Maker’s Space" und von vermietbaren Räumen und Laboren. Man könnte auch einfach Bürogebäude dazu sagen, aber das würde weniger nach Aufbruch klingen. Geschätzte Kosten für das "Trafo": 18 Millionen Euro, gefördert ebenfalls aus JTF-Mitteln.

Statt Gewerbegebiet heißt es "DemoHub"

Nach der Bürgermeisterin betritt Brandenburgs Wirtschaftsstaatssekretär Hendrik Fischer die Bühne. Insgesamt bis zu 110 Millionen Euro Fördermittel stünden zur Verfügung, allein aus dem JTF-Topf. Von solchen Summen hatte vor zwei Jahren in Schwedt wohl niemand zu träumen gewagt.

Der Landkreis plant auch mit den Fördermitteln und hat auch schon Ideen, wofür man das Geld ausgeben könnte: ein "Boarding House" soll her - auf gut Deutsch ein besseres Wohnheim für Fachkräfte oder Auszubildende. Dazu soll das Oberstufenzentrum saniert und erweitert werden und ein "DemoHub" entstehen - anders ausgedrückt: ein Gewerbegebiet.


 

Hoffen auf das Wasserstoffgeschäft

Was das alles mit der beschworenen Transformation in eine "grünere" Zukunft zu tun hat, ist nicht unmittelbar offensichtlich. Dass die Fördergelder willkommen sind, hingegen schon. Angesprochen auf die Schreckensszenarien vor zwei Jahren und den Stand heute, lächelt die Bürgermeisterin: "Ich glaube, wir haben das Beste draus gemacht."

Es folgen weitere zukunftsbejahende Vorträge, in denen skizziert wird, wie der Standort als Hochburg der Wasserstoffwirtschaft aussehen könnte. Es braucht Elektrolyse im industriellen Maßstab, "grünen" Strom in rauen Mengen und einen Anschluss ans Verteilnetz. Wann das alles Wirklichkeit sein könnte, bleibt offen.

"Das ist doch alles nur Gelaber"

Draußen vor der Tür sitzt Axel Reineke auf einer Betonmauer und seufzt. "Ich halt’s nicht mehr aus", entfährt es ihm. "Das ist doch nur Gelaber." Reineke ist Stadtverordneter für die Freien Wähler. "Die wissen nicht, wohin mit dem Geld, wo sie es reinstecken sollen. Das ist hier eine reine Förderveranstaltung."

Nicht alle in Schwedt seien begeistert über den Geldregen. Schließlich sei das alles Steuergeld. Reineke weiter: "Für das 'Trafo' bauen sie den Omnibusbahnhof um - der ist noch völlig in Ordnung. Und danach ist es dann ein Bürogebäude, das der stadteigenen Wohnungsgesellschaft gehört. Na, die freut sich."

Ein weiteres Mitglied der Freien Wähler kommt aus dem Theater. "Ich geh' nach Hause", ruft er und stoppt dann doch noch kurz bei Reineke. Beide sind sich einig, dass auf der "Zukunftskonferenz" viel geredet wird und dennoch unklar bleibe, wie diese Zukunft aussehen wird - und wann man mit ihr rechnen kann.

Erinnerungen an Zeiten der Planwirtschaft

Reineke wird sarkastisch: "Die letzte Transformation" - er betont das Wort - "die hier funktioniert hat, war 1960 bis '64. Als hier das PCK gebaut wurde. Heute wollen sie wieder Planwirtschaft machen - aber sie haben keinen Plan." Er spielt auf die Geschichte Schwedts an. Die Stadt war in der DDR zu großen Teilen auf dem Reißbrett entworfen worden - als Heimstätte für die vielen Tausend Beschäftigten der Raffinerie. In der Planwirtschaft ging das. Reineke verabschiedet sich und verschwindet.

Drinnen spricht der Geschäftsführer der Raffinerie, Ralf Schairer. Er berichtet, dass sein Unternehmen intensiv daran arbeite, einen Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft zu finden: "Es ist sehr, sehr schwierig." Nicht nur die Technologie mache Probleme, auch die Wirtschaftlichkeit sei bisher nicht gegeben.

"Die Politik ist nicht ehrlich"

Man könnte auch sagen: Es gibt den Markt für Wasserstoff gar nicht. Der müsste erst geschaffen werden, durch Vorschriften und Förderung. Auch Schairer betont: Die Transformation hin zu klimaneutraler Energie könne gelingen. "Aber ich sage auch: die Politik ist nicht ehrlich. Es wird alles teurer", so der PCK-Chef.

Schairer behauptet also nicht, dass das alles nicht gehe mit der Transformation. Aber bei ihm klingt es nicht so, als ob die Zukunft hier morgen schon ausbricht: "Wir müssen über Dekaden reden, nicht über Legislaturperioden."

Zukunft auch mit Erdöl?

Kurz danach ist die "1. Zukunftskonferenz in Schwedt" zu Ende. Und nachdem Bürgermeisterin Hoppe sehr viel über "grüne" Technologien geredet hat und darüber, wie der Wandel gelingen könne, sagt sie wie selbstverständlich den Satz: "Ich bin davon überzeugt, dass Erdöl noch sehr, sehr lange verarbeitet werden wird." In Schwedt, so scheint es, geht beides: die Erdöl-Raffinerie behalten und gleichzeitig an eine klimaneutrale Zukunft glauben, die irgendwann kommen wird.

Einen Tag später sehen Reineke und die Bürgermeisterin sich wieder, in der Stadtverordnetenversammlung von Schwedt. Abgestimmt wird über den Neubau des "Trafo" und den Grundsatzbeschluss zum neuen Industriegleis für den Hafen. Beide Vorschläge werden mit überwältigender Mehrheit angenommen. Die Zukunft ist beschlossen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 16. Februar 2024 um 08:35 Uhr.