Christian Lindner
analyse

Wahlniederlagen und Umfragetief Der Herbst der FDP?

Stand: 15.10.2024 08:14 Uhr

Die FDP-Führung sieht einen "Herbst der Entscheidungen" gekommen. Die Umfragen für die Partei zeigen jedoch weiter nach unten. Die Kritik der Parteibasis ist deutlich. Aus der Regierung aussteigen oder weitermachen?

Eine Analyse von Martin Polansky, ARD-Hauptstadtstudio

Ulf Kasimir ist der Ortsvorsitzende der FDP in Neu-Isenburg. Der Diplom-Ingenieur und seine Frau versuchen in ihrer Partei einen Mitgliederentscheid anzustoßen. Das Ziel dabei: Die FDP soll die Ampelkoalition verlassen, sagt Kasimir. "Ich möchte gerne, dass wir uns innerhalb der Partei noch mal ganz deutlich die Karten legen vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse: Wollen wir ein Weiter so oder wollen wir Profil schärfen."

Laut Kasimir hat die FDP in Neu-Isenburg südlich von Frankfurt am Main gut 50 Mitglieder. Auch bei einigen von ihnen sei der Unmut über die Ampel-Politik groß. Aber für einen erfolgreichen Mitgliederentschied braucht es etwa 3.500 Unterschriften - also von fünf Prozent aller FDP-Mitglieder. Ob diese Zahl zusammenkommt, ist ungewiss. Die Unterschriftensammlung hat gerade erst begonnen.

Vor einem knappen Jahr wurde an der FDP-Basis schon mal eine nicht bindende Mitgliederbefragung zur Ampel angestoßen. Gerade mal 52 Prozent der Teilnehmer waren für den Verbleib in der Koalition. Kein überzeugendes Votum. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai spürt die Unruhe. "Das ist kein Geheimnis, es gibt sehr viele Mitglieder aber auch sehr viele in der Anhängerschaft, die nach wie vor ein großes Problem haben mit der Ampel als Konstellation, als Farbenlehre, als Koalition."

Der Trend zeigt nach unten

Die Lage für die FDP hat sich in den letzten Monaten noch mal verschlechtert. Während die Partei bei der Europawahl im Juni mit 5,2 Prozent noch glimpflich davon kam, verliefen die drei ostdeutschen Landtagswahlen im September desaströs. Der Tiefpunkt: Nur 0,8 Prozent in Brandenburg. Im ARD-DeutschlandTrend liegt die FDP derzeit bundesweit nur bei drei Prozent. Den Liberalen droht das parlamentarische Aus. FDP-Chef Christian Lindner ist unter Druck. Die Regierungsbeteiligung zahlt sich immer weniger aus für seine Partei. Und Lindner versucht den Druck auf die Ampel-Partner zu erhöhen, spricht von einem "Herbst der Entscheidungen" für die Bundesregierung.

An den Themen Migration, Wirtschaft und Haushaltspolitik lasse sich festmachen, ob die Bundesregierung den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger genüge, so Lindner nach der Landtagswahl in Brandenburg vor drei Wochen. Es gehe darum, gemeinsam dem Land eine Richtung zu geben und insbesondere bei den brennenden Themen die richtige Antwort zu finden. "An diesen Fragen wird die Koalition gemessen. Und an diesen Fragen messen auch wir als FDP die Regierung."

Der Einsatz wird höher

Mit solchen Sätzen lässt Lindner die Zukunft des Regierungsbündnisses bewusst in der Schwebe. Der Pokereinsatz wird höher. Obwohl die bisherigen Profilierungsversuche innerhalb des ungeliebten Bündnisses nicht dazu geführt haben, potenzielle FDP-Wähler an die Partei zu binden.

Das strategische Dilemma der FDP wird immer deutlicher. Die Liberalen haben sich auf ein Bündnis mit zwei Partnern eingelassen, deren Vorstellungen gerade in der Wirtschafts- und Finanzpolitik - den FDP-Kernthemen - fundamental andere sind. Aber die ungeliebte Koalition zu verlassen wäre riskant - und könnte angesichts der sowieso schon miesen Umfragewerte die Partei erst recht ins politische Abseits befördern.

Der Politikwissenschafter Uwe Jun von der Universität Trier spricht von einer schwierigen Abwägung: Vor allem Parteichef Lindner müsse nun die entscheidende Frage beantworten. "Nützt es ihm noch bis September nächsten Jahres durchzuhalten oder könnte es ein Befreiungsschlag auch für die Partei sein, jetzt aus der Koalition auszusteigen?" Aus Juns Sicht bieten sich dafür genug Anlässe im Herbst der Entscheidung. "Sie haben die Haushaltsberatungen, sie haben das Rentenpaket, wo die FDP unterschiedliche Auffassungen im Vergleich gerade zur SPD hat, aber auch zu den Grünen."

Streitpunkt Rente

Insbesondere das Rentenpaket könnte zum Sprengsatz werden. Das sieht zur Stabilisierung der Renten deutliche Beitragssteigerungen für die Beschäftigten vor - also für die jüngeren Generationen. Finanzminister Lindner hatte den Plan zwar im Grundsatz mit SPD-Arbeitsminister Heil verabredet, weil mit dem Paket auch ein sogenanntes Generationenkapital am Aktienmarkt aufgebaut werden soll. Damit sollen die Beitragserhöhungen etwas abgedämpft werden. Aber die FDP-Fraktion stellt sich quer, sieht deutlichen Nachbesserungsbedarf im Rentenpaket.

Die Vorsitzende der FDP-Jugendorganisation Junge Liberale, Franziska Brandmann, fordert bei dem Thema hart zu bleiben. "Das Rentenpaket kann nur kommen, wenn es generationengerecht finanziert wird. Und das ist bei dem aktuellen Entwurf, so wie ihn Hubertus Heil vorgelegt hat, nicht der Fall. Und deshalb erwarte ich, dass die FDP-Bundestagsfraktion da auch so nicht mitmacht."

Aussteigen oder weitermachen? Die FDP hat den "Herbst der Entscheidungen" ausgerufen. Und muss angesichts der schwindenden Zustimmung befürchten, dass der Herbst der FDP anbrechen könnte, wenn es nicht bald gelingt, Vertrauen zurückzugewinnen - ob innerhalb oder außerhalb der Ampelkoalition.

Ulf Kasimir, der FDP-Vorsitzende in Neu-Isenburg wartet jetzt darauf, ob ausreichend viele Unterschriften für einen Mitgliederentscheid eingehen. "Wenn schon Herbst der Entscheidung", sagt Kasimir, "dann kann so ein Mitgliederentscheid helfen, tatsächlich eine Entscheidung zu treffen."