Haushalt "Beim Bürgergeld ist etwas gelungen, beim Mindestlohn nicht"
Der Etat des Arbeitsministeriums wird nicht gekürzt - die Ausgaben steigen sogar noch. Grund dafür sind auch die angehobenen Regelsätze beim Bürgergeld. Doch der Mindestlohn steigt nicht ausreichend.
Zum Abschluss der Haushaltswoche im Bundestag vertritt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil mit fast 172 Milliarden Euro zahlenmäßig den größten Brocken - und die jüngste Ausweitung seines Haushalts ist noch nicht einmal eingepreist. Rund 3,4 Milliarden Euro mehr wird der Bund für die gerade angekündigte Bürgergeld-Erhöhung um zwölf Prozent zum 1. Januar 2024 sogar noch obendrauf veranschlagen müssen. Das klingt viel - und bringt die Politik an anderer Stelle in Bedrängnis. Denn der Mindestlohn steigt prozentual nicht annähernd so stark.
Laut dem Statistischen Bundesamt sind die Nahrungsmittelpreise zwischen Juli 2021 und Juli 2023 um 27,2 Prozent gestiegen - deutlich mehr als die allgemeine Inflation. In der neuen Systematik des Regelsatzes führen die höheren Lebensmittelpreise dazu, dass das Bürgergeld seit seiner Einführung am Jahresbeginn bereits zum zweiten Mal spürbar erhöht wird. Diese Berechnungssystematik hatte auch die Union im Vermittlungsausschuss mit beschlossen - auch wenn sie dies in der Haushaltswoche des Bundestages nun anders aussehen ließ.
Dennoch ist nicht davon auszugehen, dass die Bürgergeld-Erhöhung im Zuge der Haushaltsverhandlungen doch wieder abgesenkt wird. Denn hinter der Berechnung steckt auch die Umsetzung eines Verfassungsgerichtsurteils zum Existenzminimum.
Zudem können niedrige Einkommen durch Bürgergeld teilweise aufgestockt werden. Betroffene können außerdem Wohngeld und als Eltern den staatlichen Kinderzuschlag beziehen. Ab Januar 2025 werden armutsgefährdete Kinder aus dieser Gruppe wie auch Kinder und Jugendliche im Bürgergeldbezug eine eigenständige Kindergrundsicherung bekommen.
Mindestlohnkommission uneinig
Und doch: In der Ampelkoalition ist die schlechte Stimmung der Menschen im Niedriglohnsektor angekommen, vor allem wegen der geringfügigen Erhöhung des Mindestlohns, der in zwei Schritten von 12 Euro auf 12,82 Euro pro Stunde bis zum 1. Januar 2025 ansteigt - und damit erkennbar nicht die inflationsbedingten Steigerungen bei den Lebenshaltungskosten auffangen kann. Für die Anpassung des Mindestlohns ist nicht die Regierung selbst, sondern eine unabhängige Kommission zuständig.
Erstmals seit der Einführung des Mindestlohns war sie im Juni uneinig - und am Ende kam ein arbeitgeberfreundlicher Kompromiss mit einer Stimme Mehrheit heraus. Die Arbeitnehmervertreter waren für eine stärkere Erhöhung. Auch Kanzler Olaf Scholz gab sich "enttäuscht". Arbeitsminister Heil bekundete, er habe sich eine stärkere Mindestlohnanhebung gewünscht.
Ist der Mindestlohn zu niedrig?
"Das Problem ist nicht die Anhebung der Bürgergeldsätze, sondern es sind die niedrigen Löhne", sagte Bettina Kohlrausch, Soziologin und wissenschaftliche Direktorin vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, gegenüber tagesschau.de. "Beim Bürgergeld ist etwas gelungen, beim Mindestlohn nicht." Das schaffe natürlich Frust bei den untersten Einkommensgruppen.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bekam dies in einer Fernsehsendung von einem arbeitenden Familienvater zu hören, der die unterschiedliche Erhöhung von Bürgergeld und Mindestlohn als ungerecht bezeichnete. Habeck räumte ein, dass das nicht nur unfair sei: Es sei "im Grunde schwer oder gar nicht zu begründen". "Die Mindestlohnerhöhung ist zu niedrig", resümierte der Grünen-Politiker bei "RTL".
"Der Lohnabstand ist im Osten noch geringer. Der Mindestlohn hätte auch deshalb stärker steigen müssen", sagte auch der SPD-Politiker Carsten Schneider, der als Ostbeauftragter direkt im Kanzleramt von Bundeskanzler Scholz agiert, im Gespräch mit tagesschau.de.
Nicht gegeneinander ausspielen
"Die unteren Einkommensgruppen stehen seit der Pandemie dauerhaft unter Druck", sagte WSI-Expertin Kohlrausch. "Die Lösung muss sein, dass wir eine vernünftige Lohnentwicklung hinbekommen." Nur so könne man den Druck aus der Debatte bekommen. Die Frage ist, ob die Ampelkoalition aus diesem ungünstigen Spannungsfeld von Bürgergelderhöhung, Mindestlohnanpassung und in manchen Fällen geringem Lohnabstand politischen Handlungsbedarf ableitet.
WSI-Expertin Kohlrausch schlägt vor, eine andere Logik bei der Berechnung des Mindestlohns einzuführen - und ihn an den Wert von 60 Prozent des jeweiligen Bruttomedianverdienstes zu koppeln. Der liegt derzeit bei etwa 53 Prozent. Auch in Fraktionskreisen wird diese Möglichkeit nach Informationen von tagesschau.de bereits auf der Fachebene diskutiert. Zugleich sieht man die Notwendigkeit, die Tarifbindung stärker zu fördern. Denn niedrige Löhne werden häufig in Betrieben ohne Tarifbindung gezahlt.
Ob beim Bürgergeld oder beim Mindestlohn: Immer geht es bei diesen Instrumenten um die Absicherung armutsgefährdeter Erwachsener und Kinder. Für die Politik geht es darum, diese Gruppen nicht gegeneinander auszuspielen.