Debatte im Bundestag Darum geht es bei der Impfpflicht
Nach langem Vorlauf geht es im Bundestag nun erstmals um das schwierige Thema einer allgemeinen Impfpflicht. Drei Positionen zeichnen sich ab - wer will was? Und warum ist das so kompliziert?
Die Ausgangslage
Die Infektionszahlen steigen rasant, die Sieben-Tage-Inzidenz erreicht täglich neue Höchstwerte - die Omikron-Welle ist auch in Deutschland angekommen. Zugleich stagniert die Impfquote. Derzeit sind rund 73 Prozent der Menschen doppelt geimpft, etwa die Hälfte ist geboostert und hat damit den derzeit größtmöglichen Immunschutz vor dieser Virus-Variante.
Was soll eine allgemeine Impfpflicht bringen?
Salopp gesagt: eine höhere Impfquote und damit den Ausweg aus der Pandemie. Denn Geimpfte schützen nicht nur sich selbst vor Ansteckung und schwerer Erkrankung, sondern auch andere - etwa auch die, die sich nicht impfen lassen können. Damit entlasten sie das Gesundheitssystem und die Intensivstationen. Zwar bieten auch die derzeitigen Impfstoffe keinen hundertprozentigen Schutz vor einer Infektion (schon gar nicht mit der Omikron-Variante), doch sind die Krankheitsverläufe meist weniger schwer.
Was spricht gegen eine allgemeine Impfpflicht?
Ebenfalls eine ganze Menge. Nicht nur, dass die Politik zunächst eine Impfpflicht noch kategorisch ausgeschlossen hatte. Dieser Meinungswechsel mag sich begründen lassen, doch wäre eine allgemeine Impfpflicht auf jeden Fall ein Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Dieses Grundrecht kann nur durch Gesetze eingeschränkt werden. Da es ein wichtiges Freiheitsrecht gegen staatliche Zugriffe ist, muss die Einschränkung gut begründet und verhältnismäßig sein.
Der Ethikrat und zahlreiche Juristen unterstrichen, dass auf jeden Fall zunächst mildere Maßnahmen ausgereizt sein müssten, also etwa eine verstärkte Werbung für freiwillige Impfungen. Zudem muss sichergestellt sein, dass jedem Menschen eine kostenfreie Impfmöglichkeit zur Verfügung steht. Auch müsste der Staat nachweisen, dass eine Impfpflicht wirksam ist - eine heikle Frage, wenn sich die Wirkung schnell abschwächt und man sich möglicherweise alle paar Monate erneut impfen lassen muss. Und wenn Omikron wirklich weniger gefährlich ist, braucht es dann die Pflicht zur Impfung wirklich? Zumal sie auch das Risiko birgt, die Gesellschaft zu spalten. Schon jetzt gehen Impfgegner regelmäßig auf die Straße. Allerdings sind sie klar in der Minderheit - die große Mehrheit der Menschen ist geimpft und befürwortet auch eine Impfpflicht.
Welche Impfpflichten gibt es in Deutschland?
Die Geschichte der Impfpflicht hat in Deutschland mit den Pocken begonnen. Viele Jahre war eine Impfung gegen diese Virenkrankheit Pflicht, bis sie als ausgerottet galt. In der DDR waren auch andere Impfungen verpflichtend. Nach Jahrzehnten ohne eine Impfpflicht trat am 1. März 2020 die Masern-Impfpflicht in Kraft. Kinder müssen seitdem eine Immunisierung gegen Masern vorweisen, wenn sie in eine Kindertagesstätte gehen oder in die Schule kommen. Gleiches gilt für das Personal von Gemeinschafts-, Bildungs- und medizinischen Einrichtungen.
Eine verpflichtende Corona-Impfung gibt es bislang nur in der Bundeswehr. Ab Mitte März muss aber auch das Personal in Einrichtungen des Gesundheitswesens und der Pflege verpflichtend gegen Corona geimpft sein.
Wie sieht das Gesetzgebungsverfahren aus?
Bisher existiert keine Rechtsgrundlage für eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus. Das Infektionsschutzgesetz kann lediglich Impfungen für "bedrohte Teile der Bevölkerung" anordnen. Eine allgemeine Impfpflicht müsste der Bundestag beschließen. Das Ganze verzögert sich aber, weil die Regierung keinen eigenen Gesetzentwurf vorlegen will und die Bundestagsabgeordneten ohne Fraktionszwang entscheiden und eigene Gruppenanträge vorlegen sollen. Dazu gibt es heute eine erste Orientierungsdebatte im Parlament. Solche Debatten gab es bislang zu Themen wie der Organspende oder zur Sterbehilfe, also vor allem bei ethischen Grundsatzfragen. Indem die Ampel-Regierung auch bei der Impfpflicht die Abstimmung frei gibt, kaschiert sie wohl zugleich auch ihre eigene Uneinigkeit bei dem Thema.
Welche Vorschläge liegen auf dem Tisch?
Drei Modelle zeichnen sich ab - dafür, dagegen und ein Mittelweg. Die Positionen im Einzelnen:
Allgemeine Impfpflicht ab 18:
Eine Gruppe von Abgeordneten aus den drei Ampelfraktionen favorisiert eine allgemeine Impfpflicht für alle ab 18 Jahren. Ziel sei es, eine "nachhaltige, verhältnismäßige und gleichzeitig zielgerichtete Lösung zu finden", heißt es in einem Schreiben der Initiatoren an die anderen Abgeordneten - außer die der AfD. Ihren Gesetzentwurf will die Gruppe, zu der SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese, der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen und Katrin Helling-Plahr von der FDP gehören, erst nach der Orientierungsdebatte vorlegen. Die Impfpflicht soll nach den Vorstellungen der Initiatoren befristet werden, im Gespräch ist ein Zeitraum von ein bis zwei Jahren. Sie soll für drei Dosen gelten.
Bei Nichteinhaltung soll es ein Bußgeld geben. Dahmen schwebt eine Höhe "im mittleren dreistelligen Bereich" vor. Bevor diese Summe fällig wird, soll den Ungeimpften Dahmen zufolge allerdings eine Frist von etwa sechs Wochen eingeräumt werden, um die Impfung nachzuholen - im Zweifelsfall könnten mehrfach Bußgelder verhängt werden.
Impfpflicht ab 50:
Eine Gruppe um den FDP-Parlamentarier Andrew Ullmann schlägt eine Impfpflicht für Menschen ab 50 vor. Wer jünger ist und nicht vorerkrankt, belaste die Krankenhäuser nur wenig, argumentiert der Arzt Ullmann. Die Gruppe aus FDP- und Grünen-Abgeordneten schlägt ein Stufenmodell vor, an dessen Anfang ein verpflichtendes Arztgespräch für alle volljährigen Ungeimpften stehen sollte. Erst wenn auch durch diese Aufklärungskampagne die nötige Impfquote nicht erreicht wird, soll eine Impfpflicht für Menschen ab 50 Jahren greifen. So solle "mit einem milderen staatlichen Eingriff eine maximale Wirkung" erzielt werden. Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat Sympathien für eine Impfpflicht ab 50.
Nein zu einer Impfpflicht:
Obwohl sich Politiker quer durch alle Lager lange Zeit gegen jegliche Impfpflicht gewandt haben, wird diese Position inzwischen nur noch von wenigen offen vertreten. Wortführer ist der stellvertretende FDP-Chef Wolfgang Kubicki. Der Bundestagsvizepräsident will einen entsprechenden Antrag in den Bundestag einbringen. In einer Vorlage von Ende vergangenen Jahres wird unter anderem auf die "noch nicht abschließend geklärten Fragen der Schutzdauer und des Schutzumfangs einer Impfung" verwiesen. Die Impfpflicht sei ein "tiefer Grundrechtseingriff", mit dem sich die aktuelle Infektionswelle ohnehin nicht brechen lasse, argumentiert Kubicki.
Wie ist das Meinungsbild in den Parteien?
Für eine allgemeine Impfpflicht haben sich bislang weitgehend geschlossen Vertreter von SPD und Grünen ausgesprochen. Die FDP im Bundestag ist zurückhaltend. Es gibt vorsichtige Stimmen für eine Ausweitung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht, gegebenenfalls aber nur für bestimmte Gruppen. Es gibt aber auch viele Kritiker einer Impfpflicht.
In CDU und CSU gibt es Befürworter der Impfpflicht, das Meinungsbild der kompletten Fraktion ist aber ungewiss. Sie kündigte nun einen eigenen Antrag an, jedoch erst nach der Orientierungsdebatte. Die AfD ist gegen jegliche Impfpflicht. Die Partei Die Linke hatte sich Ende November für eine Impfpflicht für alle Erwachsenen ausgesprochen. Angesichts der neuen Variante Omikron äußerten sich Vertreter inzwischen aber auch wieder zurückhaltender.
Wie ist der Zeitplan?
Heute Nachmittag wird der Bundestag in einer gut dreistündigen Orientierungsdebatte über die Impfpflicht diskutieren. Danach sollen die verschiedenen Anträge ausgearbeitet werden, über die dann in der Sitzungswoche ab dem 14. Februar erstmals im Plenum beraten werden könnte. Einen Monat später - in der darauffolgenden Sitzungswoche - wäre dann der Gesetzesbeschluss möglich.
Unklar ist bislang, wann und in welcher Weise die Länder dazu geholt werden. Ihre Unterstützung wird benötigt, weil das Gesetz auch den Bundesrat passieren muss. Um ein langwieriges Vermittlungsverfahren zu vermeiden, müsste der Bundestag noch vor seinem Gesetzesbeschluss eine Einigung mit den Ländern erzielen. Die werden penibel darauf achten, wie eine Impfpflicht umgesetzt werden soll - denn dabei dürften sie eine gewichtige Rolle spielen.
Sollte der Bundestag eine allgemeine Impfpflicht beschließen, könnte sie im Juli oder August in Kraft treten. Zuvor müsste man Ungeimpften genug Zeit für eine vollständige Impfung geben, also rund sechs Wochen (ohne Auffrischungsimpfung). Für die Omikron-Welle wäre die Impfpflicht also auf jeden Fall zu spät, aber sie kann bei der Vermeidung hoher Infektionszahlen im Herbst helfen.
Wie würde man eine Impfpflicht durchsetzen?
Bei der Duldungspflicht in der Bundeswehr und der Impfpflicht für Einrichtungen im Gesundheits- und Pflegebereich hat es dienstliche Konsequenzen, wenn sich die Beschäftigten nicht impfen lassen. Bei der allgemeinen Impfpflicht ist ein Bußgeld im Gespräch. Einigkeit besteht darin, einen Impfzwang auszuschließen, also die Verabreichung des Vakzins im Zweifel mit körperlicher Gewalt.
Offen ist auch, ob ein Impfregister eingeführt werden soll, mit dessen Hilfe der Staat die Pflicht durchsetzt. Der Ethikrat hatte dies als Voraussetzung einer Impfpflicht benannt. Auch die Unionsfraktion sprach sich jüngst dafür aus. Die Ampel-Parteien sind hingegen skeptisch, die Einführung dauere zu lange und sei datenschutzrechtlich nicht unumstritten. Gäbe es eine Pflicht ohne Register, ist jedoch offen, wie und wer die Einhaltung der Impfpflicht kontrollieren soll. Denkbar wäre, dass die Bürgerinnen und Bürger über Krankenkassen oder Kommunen, die die Meldedaten haben, zum Nachweis ihrer Impfung aufgefordert werden.
Wie machen es andere Länder?
Österreich hat als erstes EU-Land gerade eine allgemeine Impfpflicht beschlossen. Damit wird ab Anfang Februar die Corona-Impfung für alle ab 18 Jahren Pflicht, andernfalls drohen ab Mitte März Geldstrafen bis zu 3600 Euro. Das Land verfügt auch über ein nationales Impfregister.
Italien führte kürzlich eine Impfpflicht für Menschen ab 50 ein. Wer sich nicht impfen lässt, muss ein Bußgeld ab 100 Euro bezahlen. Eine berufsbezogene Impfpflicht gibt es dort schon seit vergangenem Jahr. So werden zum Beispiel Mediziner oder Beschäftigte aus Altenheimen, die sich nicht impfen lassen wollen, suspendiert.
Griechenland setzt hingegen auf eine Impfpflicht für Ü-60-Jährige, eine Impfpflicht für Mitarbeiter bestimmter Berufe gibt es unter anderem in Frankreich und Großbritannien.