Politologin zur Brandenburg-Wahl "Das BSW ist ganz klar ein Machtfaktor"
Um der AfD Paroli zu bieten, müssen SPD und Union versuchen, Wähler unter 50 wieder besser zu erreichen, sagt Politologin Reuschenbach. Nach den drei Wahlen im Osten blickt sie als Wissenschaftlerin mit besonderem Interesse auf das BSW.
tagesschau24: Geht der Wahlerfolg der Sozialdemokraten auf das Konto der SPD als Partei oder eher auf das von Ministerpräsident Dietmar Woidke als Kopf?
Julia Reuschenbach: Die Zahlen von gestern Abend sprechen da eine ganz klare Sprache: Woidke war der Grund, warum die Menschen in Brandenburg SPD gewählt haben. Es gab überwältigende Zustimmung, dass er für viele der entscheidende Faktor war. Und zudem haben viele Menschen gesagt, dass sie von der SPD als Partei gar nicht so sehr überzeugt sind, sondern sie vor allem gewählt haben, um eine starke AfD zu verhindern. Dass die Wahl noch gewonnen wurde - sehr knapp - ist ein Erfolg der brandenburgischen SPD und weniger oder nahezu kaum ein Erfolg der Bundes-SPD.
tagesschau24: Woidke hatte sich im Wahlkampf nicht nur von der Ampel im Bund abgesetzt, sondern war auch explizit ohne Bundeskanzler Olaf Scholz aufgetreten. Wie bewerten Sie das?
Reuschenbach: Das ist gar nicht so unüblich. Wir haben das auch schon bei anderen Parteien erlebt - etwa in der Zeit, als das Thema Migration sehr polarisiert hat. Damals war Angela Merkel in Ostdeutschland als Bundeskanzlerin in den Wahlkämpfen - ich sage mal - nicht so gerne gesehen. Die Landesverbände von Parteien versuchen, sich in solchen Situationen zu lösen von der Bundespolitik. Wir wissen aber aus der Forschung, dass es kaum möglich ist, als Landesverband durchzudringen, wenn es so eine bundespolitische Dominanz gibt. Insofern würde ich dem nicht zu viel Gewicht beimessen. Die Menschen in Deutschland wissen am Ende natürlich trotzdem, wer ihr Bundeskanzler ist und auch welcher Partei der zugehörig ist.
Aber es war sicherlich die Gelegenheit für Woidke und die brandenburgische SPD, vor Ort eigene Akzente setzen zu können, sich auch abzugrenzen. Wir haben gesehen, dass Woidke sich auch inhaltlich von der Bundes-SPD abgegrenzt hat - etwa in Teilen bei der Ukraine-Politik oder beim Umgang mit den Demonstrationen von Bauern. Das ist eine Beinfreiheit, die so ein Landesverband schlussendlich auch ausreizen kann, wenn es darum geht, so eine Wahl zu gewinnen.
Julia Reuschenbach arbeitet als Politikwissenschaftlerin an der FU Berlin. Ein Schwerpunkt ihrer Forschung sind Parteien und Wahlen.
"Wird die Zusammenarbeit noch mal schwerer machen"
tagesschau24: Was bedeutet das auf Bundesebene für die Kanzlerpartei?
Reuschenbach: Zunächst mal nehme ich an, dass in der SPD ein bisschen Ruhe einkehrt. Das war sicherlich ein wichtiger Sieg, dass man dieses "SPD-Stammland" hat halten können und vor der AfD gelandet ist. Das wird aus meiner Sicht jetzt nicht zu neuen Debatten über Scholz als Bundeskanzler führen, wie wir sie etwa nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen erlebt haben.
Aber was sicherlich nicht einfacher werden wird auf der Bundesebene, ist die Zusammenarbeit, die ohnehin ja sehr schwierig ist in der Bundesregierung. Denn wir haben ja das schlechte Abschneiden der FDP und auch der Grünen jetzt in Brandenburg gesehen. Und mit dem beginnenden Bundestagswahlkampf werden alle Parteien herausstellen wollen, wofür sie stehen. Das wird die Zusammenarbeit noch mal schwerer machen und sicherlich auch den Bundeskanzler noch mal neu auf die Probe stellen - in dieser Frage, wie gut er tatsächlich kommuniziert und dieses Bündnis anführt.
tagesschau24: Wie bewerten Sie da den Zulauf zur AfD? Es gibt ja Stimmen, die sagen, das ist ein Ostphänomen. Kann man das so abtun?
Reuschenbach: Nein, auf gar keinen Fall. Wir sehen, dass die AfD auch in Westdeutschland stark ist. Wir konnten es sehen, etwa bei den Landtagswahlen im Herbst vergangenen Jahres in Hessen und Bayern. Gerade bei jungen Menschen konnte die AfD sehr stark zulegen. Es gelingt ihr also, da auch Themen zu besetzen, Ängste zu besetzen, die junge Menschen haben - etwa in Regionen, die stark getroffen sind von Strukturschwäche, von Abwanderung. Also insofern ist es kein reines Ostphänomen, sondern dort tritt es besonders hervor.
Und es ist natürlich eine Herausforderung für die anderen Parteien, dass vor allem die älteren Wählerinnen und Wähler - also jene im Rentenalter - sicherstellen, dass die einstigen Volksparteien noch Wahlen gewinnen können. Man wird sich meines Erachtens dezidierter damit beschäftigen müssen, wie man gerade an junge Wählerinnen und Wähler herankommt - und auch an mittlere Altersgruppen von Mitte 30 bis Mitte 50, bei denen die AfD stark Wählerinnen und Wähler gewinnen kann.
2019 für die Grünen "ein Ausreißer nach oben"
tagesschau24: Für die beiden anderen Ampelparteien - Grüne und FDP - war die Wahl in Brandenburg eine Schlappe. Woran liegt das?
Reuschenbach: Ich finde diese Interpretation von einer Schlappe ein bisschen schwierig. Die Wahlergebnisse der Grünen waren in Brandenburg seit 1990 traditionell eigentlich immer eher schwach - mit einer Ausnahme. Das war die Wahl 2019, die ja sehr stark geprägt war vom Thema Klimaschutz. Das war im Grunde ein Ausreißer nach oben. Ein bisschen ähnlich ist es auch mit der FDP. Auch da waren die Ergebnisse in Brandenburg nie hervorragend.
Aber natürlich schauen wir jetzt auf diese beiden Parteien noch mal im Besonderen, weil sie eben in der Bundesregierung mitarbeiten. Insofern können beide natürlich überhaupt nicht mit diesem Wahlergebnis zufrieden sein - im Gegenteil. Man wird sich fragen müssen, was die bundespolitische Performance damit zu tun hat. Wir haben in beiden Parteien meines Erachtens auch sehen können, dass die Landesverbände kaum durchgedrungen sind. Die bundespolitische Dominanz war sehr groß.
Ich halte es trotzdem für verfehlt, eine erneute Debatte anzufangen darüber, ob diese Bundesregierung noch zusammen verbleiben kann. Sie ist mit einem anderen Votum ausgestattet - das natürlich nicht nur aus Brandenburg kommt, sodass man also durchaus dieses eine Jahr in der Regierung auch noch weiterhin zusammenarbeiten können sollte und auch aus meiner Sicht müsste.
"Auch für uns in der Politikwissenschaft eine Besonderheit"
tagesschau24: Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kommt von null auf 13,5 Prozent. Was sind dafür die Gründe?
Reuschenbach: Dass eine Partei, die gerade mal neun Monate existiert, aus dem Stand heraus so stark, ist wirklich eine Entwicklung, die auch für uns in der Politikwissenschaft eine Besonderheit darstellt. Und auch dass sie jetzt in allen drei Ländern, die gewählt haben, in eine Regierungsbeteiligung kommen könnte, ist ein absolutes Novum.
Das BSW konnte sehr stark Wählerinnen und Wähler aus dem früheren Lager der Linken gewinnen, sodass es in Teilen auch als eine Stimme Ostdeutschlands wahrgenommen wird - gerade wenn es um die Außen- und die Ukraine-Politik geht. Vor allem dieses Thema trägt Wählerinnen und Wähler zum BSW. Wir sehen aber auch, dass es dem BSW gelungen ist, in kleinerem Umfang auch Wählerinnen und Wähler von anderen Parteien zu gewinnen, etwa von der SPD und auch von der AfD. Ganz klar ist: Das BSW ist ein Machtfaktor in Ostdeutschland.
Es wird spannend sein zu sehen, ob die Regierungsbeteiligungen, die jetzt im Raum stehen, diese noch sehr junge und sehr kleine Partei mit Blick auf das Personal gleich herausfordern. Weil Regieren heißt, eben auch Kompromisse zu machen, Aushandlungsprozesse durchziehen zu müssen. Oder ob sich womöglich da jetzt tatsächlich eine neue Kraft in dieser Stärke etablieren kann, was uns dann sicherlich auch im Bundestagswahlkampf im nächsten Jahr beschäftigen wird.
"Man kann das CDU-Ergebnis nicht Merz zuschieben"
tagesschau24: Die CDU fährt das schlechteste Ergebnis in Ostdeutschland ein. Und das in der Woche, in der Friedrich Merz als Kanzlerkandidat der Union verkündet wurde. Welche Signalwirkung hat das für die Bundespolitik?
Reuschenbach: Man kann das schlechte Wahlergebnis in Brandenburg nicht Friedrich Merz zuschieben. Er hat sich im Wahlkampf sehr stark engagiert. Was man daraus ableiten kann, ist, dass er offensichtlich keinen Rückenwind mitgebracht hat aus Berlin für den brandenburgischen Landesverband und den Spitzenkandidaten Jan Redmann. Wir haben aber auch sehen können, dass Redmann wenig bekannt war in Brandenburg - also weit abgeschlagen im Vergleich etwa zum Ministerpräsidenten Woidke. Dass die Leute also schlichtweg gar nicht wussten, wer dieser Spitzenkandidat ist.
Und am Ende war es eben ein Duell zwischen SPD und AfD. Die SPD hat sehr stark mobilisiert - auch aus den Reihen der CDU, wenngleich dort weniger, als man es womöglich hätte erwarten können. Aber diese Duellsituation führt eben dazu, dass andere Parteien tendenziell dann etwas nachlassen.
"Skepsis - aber eben keine Alternativen"
tagesschau24: Alle Parteien haben eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen. Wie könnte also die Koalitionsbildung nun aussehen?
Reuschenbach: Es gibt nur eine Koalition, die überhaupt eine Mehrheit hätte - nämlich ein Bündnis aus SPD und dem BSW. Die spannende Frage wird sein, ob beide unproblematisch zusammenfinden. Unter den SPD-Anhängerinnen und -Anhängern gibt es eine große Skepsis gegenüber dieser Zusammenarbeit - aber eben momentan auch keine Alternativen.
Ich persönlich rechne nicht damit, dass die CDU ein solches Zweierbündnis quasi als dritte Kraft ergänzen würde. Das wäre ja schlicht in Mehrheitsverhältnissen nicht nötig. Und umgekehrt: Wenn man eine stabile Regierung mit dem BSW bilden könnte, dann scheint es mir zumindest momentan auch schwer vorstellbar, dass es etwa eine Minderheitsregierung aus SPD und CDU geben würde, die dann vom BSW toleriert würde. Das müsste das BSW nicht machen, wenn sie selbst mitgestalten könnten in der Regierung. Also am Ende wird es jetzt in Brandenburg genauso schwierige Gespräche geben, wie wir es zum Beispiel eben auch in Sachsen derzeit erleben.
Das Gespräch führte Damla Hekimoğlu, tagesschau24. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert und leicht gekürzt.