Bundespolitik nach Hamas-Angriff Deutschlands Sowohl-als-auch
Einen Monat nach dem Terrorangriff der Hamas sieht sich die Bundesregierung in einer doppelten Verantwortung: Unverbrüchliche Solidarität mit Israel und humanitäre Hilfe für den Gazastreifen.
Vier Wochen nach Beginn des Hamas-Terrors gegen Israel und seine Bevölkerung warnt CDU-Politikerin Gitta Connemann vor einem Dilemma. Dem Dilemma nämlich, dass die Bilder der Hamas-Massaker verblassen, dafür aber die Bilder aus Gaza sehr präsent sind. "Und jetzt stellt sich die Frage: Wie viel ist die deutsche Solidarität wert?"
Nicht genug, findet die Vize-Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe. Connemann wünscht sich mehr Klarheit von der Bundesregierung, etwa bei Abstimmungen bei den Vereinten Nationen, auf EU-Ebene oder beim Kampf gegen Antisemitismus.
Zerstörtes Haus in einem Kibbuz nach Hamas-Massaker.
Fortgesetzter Terrorakt der Hamas
Gar nichts verblasst, hielt Grünen-Chef Omid Nouripour gestern bei einer Presskonferenz dagegen. Er hat eine App auf dem Smartphone, die in Israel weit verbreitet ist: Sie warnt die israelische Bevölkerung vor anfliegenden Raketen. "Ich habe jetzt, seit ich hier auf dieser Bühne stehe, nicht auf diese App geguckt, aber es ist eigentlich stündlich so, dass Raketen auf Israel fliegen." Die Botschaft ist deutlich: der Terror der Hamas gegen Israel ist auch vier Wochen nach dem Beginn nicht zu Ende. Das Bangen um die mehr als 200 Geiseln geht weiter.
Wer über die Lage im Gazastreifen spricht, kann dies nicht tun, ohne die Ursache des Krieges zu benennen, betonte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. "Das ist ein fortgesetzter Terrorakt, den wir dort erleben und Israel hat das Recht, sich gegen diesen fortgesetzten Terrorakt zur Wehr zu setzen."
Was heißt Verhältnismäßigkeit?
Doch in der Kritik an Israel geht es nicht um das Ob der Verteidigung, sondern das Wie. Um Verhältnismäßigkeit. Um die Zahl ziviler Todesopfer, auch wenn klar ist, dass die militant-islamistische Hamas genau diese Zivilisten als Schutzschilde missbraucht.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell etwa warnte, eine "Überreaktion" Israels könne letztlich dazu führen, dass das Land "die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft verliert". Berlin aber äußert sich anders als Brüssel.
Menschen fliehen aus dem Norden des Gazastreifens nach Süden.
Staatsräson keine Leerformel
Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck veröffentliche Ende vergangener Woche ein viel beachtetes Video zum Nahost-Konflikt. Die Debatte sei so aufgeheizt, so verworren, da wolle er zu mehr Klarheit beitragen, sagte Habeck.
Der Grünen-Politiker warnte, dass Solidarität bei Israel schnell brüchig werde. Deshalb erinnerte er noch einmal an die besondere historische Verantwortung Deutschlands: "Es war die Generation meiner Großeltern, die jüdisches Leben in Deutschland und Europa vernichten wollte." Deshalb der viel zitierte Satz: Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson. Dieser Satz dürfe nie zu einer Leerformel werden.
Deutsche Solidarität gilt bei Angriff und Verteidigung
Rückhalt für Israel und zugleich mehr Hilfen für den Gazastreifen angesichts des Leidens und Sterbens dort: In dieser doppelten Verantwortung, dieser Politik des Sowohl-Als-Auch sieht sich die Bundesregierung.
SPD-Chef Lars Klingbeil formulierte das so: "Wir stehen solidarisch an der Seite Israels: nicht nur wenn sie angegriffen werden, sondern auch dann, wenn sie sich verteidigen." Man sehe aber auch das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung. "Das darf man nicht zur Seite schieben." Die Pendeldiplomatie von Außenministerin Annalena Baerbock verfolge deshalb auch das Ziel, die humanitäre Versorgung der palästinensischen Zivilbevölkerung zu verbessern.
Zwei-Staaten-Lösung nur noch Fiktion?
Ein Staat Israel und ein Staat Palästina: Diese Zwei-Staaten-Lösung hat die Bundesregierung lange vor dem Krieg als außenpolitisches Ziel in ihrem Koalitionsvertrag bekräftigt. Doch das scheint realitätsferner denn je: Das Westjordanland ist zersiedelt, der Gaza-Streifen laut israelischer Armee mittlerweile geteilt in einen nördlichen und einen südlichen Teil.
Der israelische Historiker Tom Segev nennt die Zwei-Staaten-Lösung inzwischen eine "diplomatische Fiktion" - doch die Bundesregierung hält für "den Tag danach" dennoch daran fest. Auch wenn es im Moment um Krisenmanagement gehe, das Langfristige in den Hintergrund trete, sagte Regierungssprecher Hebestreit, so habe es doch mindestens in den vergangenen 30 Jahren einfach keine bessere Idee als die Zwei-Staaten-Lösung gegeben.