Olaf Scholz am Rednerpult im Bundestag
analyse

Nach Hamas-Angriff auf Israel Bemerkenswerte Einigkeit im Parlament

Stand: 12.10.2023 16:43 Uhr

Nach dem Terrorangriff auf Israel suchen Bundeskanzler Scholz und das Parlament gemeinsam nach Haltung. Dabei geraten sogar die üblichen Abneigungen in den Hintergrund.

Eine Analyse von Kristin Becker, ARD Berlin und Corinna Emundts, ARD-aktuell

Es ist selten, dass Bundeskanzler Olaf Scholz Applaus aus allen Fraktionen im deutschen Bundestag bekommt. Es ist auch selten, dass der Oppositionsführer dem Kanzler dankt - und zwar ganz ohne Ironie. Und es ist definitiv selten, dass alle Fraktionen im Parlament einstimmig einen Antrag annehmen, der noch nicht einmal fraktionsübergreifend abgestimmt war.

Heute ist das so passiert. Nach den Terrorangriffen von Hamas und Islamischen Dschihad auf Israel ist die Stimmung im Bundestag anders als sonst. Es ist eine sehr ernste Debatte im Bundestag, die Scholz mit seiner Regierungserklärung einläutet. Er gibt Ton und Themen vor, auf die sich fast alle der Redner und Rednerinnen zumindest grob einigen können. Allen voran: die Verurteilung der Verbrechen, das Mitgefühl für die Opfer - und die Solidarität mit Israel.

"Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson", sagt Scholz und viele werden das so oder so ähnlich wiederholen. Schon in den vergangenen Tagen hat man das immer wieder gehört - egal von welcher Parteifarbe. Es ist rhetorisch ein roter Faden der deutschen Israelpolitik, spätestens seit Angela Merkel 2008 eine solche Formulierung in ihrer Rede vor der Knesset, dem israelischen Parlament, benutzte. Und es ist die große Frage, die in diesen Tagen über allen deutschen Solidaritätsbekundungen schwebt.

Konkrete Verbote

Scholz versucht zu konkretisieren. Er kündigt Verbote an. Die Hamas soll sich in Deutschland nicht mehr betätigen dürfen, das anti-israelische Netzwerk Samidoun, das die Attacken auf Israel am Wochenende offen gefeiert hatte, verboten werden. So wird es nach der Debatte auch Innenministerin Nancy Faeser bestätigen, die sich nun um die Ausführung kümmern muss: "Diese Verbote bereiten wir sehr intensiv vor und werden sie schnellstmöglich vollziehen."

Diskussion über Umgang mit Hamas-Befürwortern und Antisemitismus in Deutschland

Nadine Bader, ARD Berlin, tagesthemen, 12.10.2023 22:15 Uhr

Von Unionsfraktionschef Friedrich Merz, deutlich berührt von der Situation in Israel, kommt Zustimmung - und auch gleich eine zusätzliche Forderung: Er will das Islamische Zentrum Hamburg schließen, das als verlängerter Arm des iranischen Mullah-Regimes gilt und vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Der Iran unterstützt die Hamas, hat den Terror in Israel am Wochenende ausdrücklich begrüßt.

Auch grundsätzlich wird der Ton in Richtung Teheran rauer. Während der Kanzler dazu eher eine Analyse liefert, fordern andere, allen voran Merz, aber auch FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, einen härteren Kurs im Umgang dem Regime.

Druck in Richtung Regierung

Wie aber Israel konkret unterstützen? Zwei sowieso von Israel geleaste Drohnen will Deutschland zur Verfügung stellen, außerdem ist Munition für Kriegsschiffe angefragt, erklärt Verteidigungsminister Boris Pistorius heute am Rande eines NATO-Treffens in Brüssel. Auch über Blutkonserven und Schutzwesten wird gesprochen.

Der Kanzler sagt, er habe den israelischen Premierminister gebeten, "uns über jeglichen Unterstützungsbedarf zu informieren". Das gelte zum Beispiel für die Versorgung Verwundeter. "Aber auch andere Unterstützungsbitten Israels werden wir unverzüglich prüfen", so Scholz.

Prüfen ist natürlich nicht machen. Aber der Druck auch von Seiten der Parlamentarier in Richtung Regierung ist hoch. Ein gemeinsamer Antrag von Union und Ampelfraktionen fordert die Bundesregierung auf, Israel "jedwede Unterstützung zu gewähren". Am Ende der Debatte werden alle Fraktionen dafür stimmen - auch AfD und Linke.

Und das, obwohl der Antrag bei der Linksfraktion intern auch auf Kritik stößt - weil er die Solidaritätsadresse mit einer innenpolitischen Debatte etwa über Fragen des Aufenthaltsrechts verknüpfe, erfuhr tagesschau.de aus Fraktionskreisen. Deswegen wollte man sich auf Empfehlung des Vorstands enthalten. In einer Sonder-Fraktionssitzung wurde dann aber doch entschieden zuzustimmen. Als Kompromiss gab es zusätzliche Protokollerklärungen einzelner Mitglieder, mit welchen Punkten man nicht ganz übereinstimme.

Übliche Abneigungen im Hintergrund

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hätte die Linke eigentlich an sich gern in den Antrag miteinbezogen, wie er in einer Nebenbemerkung in der Debatte wissen lässt. Das allerdings, wird später klar, scheiterte wohl an der Union, die wegen eines Unvereinbarkeitsbeschlusses mit der Linkspartei keine interfraktionellen Anträge unterschreibt, die diese inkludiert.

Wenn Mützenich sie wirklich dabei hätte haben wollen, hätte er das bei der Union auch durchsetzen können, grummelt es auf der linken Seite des Parlaments. Und trotzdem geraten die üblichen Abneigungen heute zumindest größtenteils in den Hintergrund. Die Linken-Abgeordnete Gesine Lötzsch etwa applaudiert auch dem CDU-Politiker Merz bei seiner Rede.

Es ist tatsächlich eine bemerkenswerte Einigkeit, mit der das Parlament auf die Lage in Israel schaut. Uneinigkeit gibt es allerdings darüber, wie zu bewerten ist, dass Scholz kurz nach der Regierungserklärung den Emir von Katar im Kanzleramt empfängt. Katar gilt als Unterstützer der Hamas, der politische Führer der Terrororganisation lebt zum Teil dort.

Der Bundeskanzler spricht dem Land aber eine "wichtige Mittlerrolle" zu - zusammen mit anderen Staaten der Region wie Ägypten, Jordanien und Türkei. Katar könnte allerdings besonders wichtig werden, wenn es darum geht, über die Freilassung von Geiseln zu verhandeln.

In einer früheren Version hieß es, dass Kanzler Scholz Unterstützungsbitten Israels prüfen wolle. Tatsächlich sagte Scholz, man werde die Unterstützungsbitten prüfen und gewähren. Wir haben den Text entsprechend geändert.

Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen
Gabor Halasz, ARD Berlin, tagesschau, 12.10.2023 17:37 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 12. Oktober 2023 um 16:50 Uhr.