Friedrich Merz
analyse

CDU-Chef Merz Kanzleramt um jeden Preis?

Stand: 24.03.2025 18:37 Uhr

Schritt für Schritt kommt der CDU-Chef dem schon lange von ihm anvisierten Kanzleramt näher. Doch an Merz' Parteibasis wachsen Zweifel an seiner Fähigkeit zu einer echten Politikwende.

Eine Analyse von Corinna Emundts, tagesschau.de

Gerade starten die Koalitionsverhandlungen in die entscheidende Phase, da hat CDU-Chef Friedrich Merz schon sein politisches Schicksal dran geknüpft. Würden die scheitern, sei seine Karriere zu Ende. Eine Minderheitsregierung schloss er aus. Natürlich denkt der Unions-Kanzlerkandidat nicht ans Scheitern, sondern ans Gelingen. Es darf einfach nicht scheitern, aus seiner Sicht.

Das ist aus Merz-Perspektive nicht verwunderlich, denn er hat in gerade mal vier Wochen nach der Bundestagswahl politisch viel bewegt, viele Hürden schon genommen: Die schwarz-roten Sondierungen gingen vergleichsweise schnell und unstrittig über die Bühne, begleitet von der überraschenden Einigung auf zwei Sondervermögen - milliardenschwere, über Schulden aufzusetzende Finanzpakete für Verteidigung und Infrastruktur. Mittels dreier Grundgesetzänderungen wurden Regelungen der Schuldenbremse modifiziert, auch mehr Verschuldungsspielraum für die Bundesländer geschaffen.

Mehr als eine rhetorische Kehrtwende

Für all dies umwarb er mit plötzlich wohlwollenden Worten die Grünen, die er am Tag vor der Wahl noch als "grüne Spinner" bezeichnet hatte, auch dies mehr als eine rhetorische Kehrtwende. Aber sie gelang ebenso wie danach noch die Unterstützung des Bundesrates zur erhalten - Merz brauchte eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag wie Bundesrat.

Haken dran - wer das schafft, der kann auch Kanzler, wird er sich sagen. Doch nun droht ihm von der eigenen Basis Ungemach. Genau die Parteibasis, die ihm in seinem dritten Anlauf auf den Parteivorsitz Ende 2021 den Sprung nach Berlin und ersten Schritt Richtung Kanzlerkandidatur ermöglichte.

Man wolle zwar einen Bundeskanzler Merz, "damit eine Politikwende gelingen kann", schreibt die Stuttgarter CDU in einem Vorstandsbeschluss - aber nicht um jeden Preis. Es mündet unverhohlen in einer Drohung an Merz: "Wenn die Politikwende allerdings fürs Kanzleramt geopfert werden soll, werden unsere Bundesausschussmitglieder und auch viele andere den Koalitionsvertrag ablehnen. Kanzler Merz ja, aber nicht für whatever it takes."

"Whatever it takes" - eine Anspielung auf Merz’ Ankündigung zehn Tage nach der Bundestagswahl, Ausgaben für die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und Europas zu stärken und von der Schuldenbremse ausnehmen zu wollen.

Die Stimmung ist schlecht an der Basis, nicht nur, weil das Wahlergebnis bescheidener ausfiel als erhofft. Die Wendigkeit ihres Kanzlerkandidaten in Sachen Schuldenpolitik müssen jene, die für die Merz-Union Wahlkampf gemacht haben, vor Ort ausbaden. Schließlich stand im CDU-Wahlprogramm der Union klipp und klar: "Wir halten an der Schuldenbremse des Grundgesetzes fest. Die Schulden sind die Steuererhöhungen von morgen."

Anderer Managementstil?

Was interessiert mich mein Gerede von gestern, nach diesem Motto handelnd erscheint ihnen jetzt ihr Kandidat. Ausgerechnet Merz - von dem man dort dachte: Wenn der übernimmt, kommt ein anderer Takt und Managementstil in die Politik. Gerade jene, die unionsintern mit Angela Merkels Kompromisspolitik und ihrem Kurs in der Migrationsfrage schon lange haderten.

Nun hat Merz zwar bei SPD, Grünen und durchaus auch Unions-Länderchefs mit seiner pragmatischen Haltung zu den Sondervermögen gepunktet. Kompromissfähigkeit ist etwas, was ein Kanzler und insgesamt eine künftige Koalition können muss. "Die Ampel ist an Kompromissunfähigkeit gescheitert", hatte Robert Habeck am Tag nach der Bundestagswahl gesagt.

Sorge um Glaubwürdigkeit

Doch seine Glaubwürdigkeit hat gelitten - und die Parteibasis droht Merz nachhaltig zu verstimmen. Bei der Wirtschafts- und Migrationspolitik müsse Merz jetzt liefern, sonst sei seine "gesamte Glaubwürdigkeit und die der CDU in Gefahr". Solche Töne wie im jüngsten Stuttgarter CDU-Beschluss hört man nicht nur aus dem Südwesten der Republik. Ob es Merz auf dem Weg ins Kanzleramt interessiert? Anders als die SPD wird es keine CDU-Mitgliederbefragung zum Koalitionsvertrag geben. Er wäre jedoch gut beraten, die kritischen Töne, die nun gerade aus seinem Lager kommen, ernst zu nehmen.

Auf wen hört Merz im Prozess der Regierungsbildung überhaupt? Es ist nicht erkennbar, dass er einen regierungs- und strategieerfahrenen Berater hat - CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und der parlamentarische Fraktions-Geschäftsführer Thorsten Frei zählen zu seinem Umfeld, sind aber nicht regierungserfahren. Merz wird zwar durchaus innerparteilich zugestanden, Widerspruch einzufordern und dann auch mal seine Meinung zu ändern.

"Was wollen Sie noch mehr?"

Dennoch bleibt der Eindruck, dass er ihn gerade in den vergangenen Wochen öfter abgestellt hat, was nicht für ein ihn klug beratendes Umfeld spricht. Etwa, als er zum Sondierungspapier verkündete, sich der Zustimmung der Grünen schon sicher zu sein. Nachdem die reine Erwähnung von "Klimaschutz" im Text doch nicht reichte, bot er 50 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen Infrastruktur konkret für den Klima- und Transformationsfonds an - und fragte die Grünen in der dazugehörigen Parlamentsdebatte fast schon triumphierend: "Was wollen Sie noch mehr?". Die nahmen das wörtlich, handelten später nicht-öffentlich 100 Milliarden Euro heraus und standen als Gewinner da.

In der darauffolgenden Bundestagsdebatte, in der die Finanzpakete verabschiedet wurden, verkündete Merz stolz, er habe bei einer Brüssel-Reise gehört: "Germany is back!", Deutschland sei zurück auf dem internationalen Parkett. Es klang so, als ob er schon längst als Kanzler dort gewesen sei, dabei starteten am selben Tag gerade mal die Arbeitsgruppen der Koalitionsverhandlungen ihre Arbeit.

Mit seiner Ansage, bis Anfang April damit durch und bis Ostern eine Regierung zu haben, setzte er sich zugleich unnötig unter Erfolgsdruck - was ihn in Verhandlungen mit der SPD schwächt. Es wird für Merz zum Spagat mit ungewissem Ausgang: Aus seiner Partei wird der Druck auf ihn wachsen, bei Wirtschaft und Migration kaum Kompromisse zu machen. Andererseits will er nicht scheitern - und das weiß auch seine Verhandlungspartnerin SPD.

Mit Informationen von Sabine Henkel und Uwe Berndt, ARD-Hauptstadtstudio

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 24. März 2025 um 18:00 Uhr.