"Letzte Generation" Klimaprotest ohne Grenzen?
Kartoffelbrei auf Kunstwerke, Klebe-Blockade auf Straßen: Den Aktivisten der "Letzten Generation" geht es um maximale Aufmerksamkeit. Bei Experten gibt es unterschiedliche Perspektiven auf die Aktionen.
Es war im Vergleich zu anderen Aktionen der Klimaaktivisten der Gruppe "Letzte Generation" ein weniger aufsehenerregender Protest, als sich Anfang der Woche zwei Aktivisten an einer Schilderbrücke der Berliner Stadtautobahn festklebten. Doch es war eine Protestaktion mit gravierenden Folgen. Denn möglicherweise behinderten die Klimaaktivisten die Rettung einer lebensgefährlich verletzten Radfahrerin.
Inzwischen ist die 44-Jährige gestorben, zuvor war die Frau für hirntot erklärt worden. Die Klimaaktivisten sind massiv in der Kritik. In sozialen Netzwerken werden die Aktivisten seit dem Vorfall verstärkt angefeindet und für den Tod der Frau direkt verantwortlich gemacht.
Innenministerin Nancy Faeser forderte eine entschiedene Verfolgung möglicher Straftaten bei Klimaprotesten. "Wenn Straftaten begangen werden und andere Menschen gefährdet werden, ist jede Grenze legitimen Protests überschritten", sagte die SPD-Politikerin. "All das hat mit einer demokratischen Auseinandersetzung überhaupt nichts zu tun. Die Straftäter müssen schnell und konsequent verfolgt werden."
Polizei stellt Strafanzeige
Noch ist unklar, ob die Radfahrerin hätte gerettet werden können, wenn das zur Bergung angeforderte Spezialfahrzeug nicht im Stau gestanden hätte, den die Klimaaktivisten verursacht hatten. Die Ermittlungen laufen. Die Berliner Polizei stellte gegen zwei Klimaaktivisten Strafanzeige, unter anderem wegen unterlassener Hilfeleistung. Berlins Oberbürgermeisterin Franziska Giffey sagte, es sei bereits das 18. Mal, dass ein Einsatzfahrzeug durch Proteste aufgehalten wurde.
Die Aktivisten von "Letzte Generation" äußerten sich bestürzt über das Schicksal der Radfahrerin. "Es trifft uns tief, dass die Radfahrerin, die am Montag in Berlin bei einem Unfall von einem Betonmischer schwer verletzt wurde, nun für hirntot erklärt wurde", sagte Aktivist Henning Jeschke am Donnerstag.
Doch dem Vorwurf, die "Letzte Generation" würde eine Gefährdung anderer bei ihren Protesten in Kauf nehmen, widersprach die Gruppe in dieser Woche. "Uns liegt die Sicherheit aller am Herzen, und deswegen planen wir in unseren Blockaden immer eine Rettungsgasse ein, dass Notfälle durchgelassen werden können", so Sprecherin Carla Hinrichs im WDR. "Wir sehen aber die Krise, die gerade so akut uns gefährdet, heute Menschen im globalen Süden, morgen uns auch hier in Deutschland. Und da sind wir gerade in einer moralischen Pflichtsituation, dass wir Widerstand leisten müssen, wenn das Unrecht so groß ist."
Ziviler Ungehorsam?
Protestforschende sehen die Aktionen von "Letzte Generation" als zivilen Ungehorsam und damit historisch in einer langen Reihe von Protesten, die dieses Mittel genutzt hätten. Martina Schäfer, die selbst zu den gesellschaftlichen Herausforderungen des Klimawandels forscht, bezeichnet "zivilen Ungehorsam als Teil der Demokratie". Der Unfall der Radfahrerin sei tragisch, aber bisher sei unklar, ob die Aktion die Rettung der Frau behindert habe.
Grundsätzlich gehe es bei Protesten mit zivilem Ungehorsam darum, den Alltag und die Routine zu stören, um auf ein Demokratiedefizit aufmerksam zu machen. Künftige Generationen säßen nicht in den politischen Gremien. "Junge Leute nehmen es so wahr, dass sie kaum auf andere Art und Weise Einfluss nehmen können, wie das zum Beispiel Lobbyverbände tagtäglich tun", so Schäfer. Nichtsdestotrotz müsse das Risiko für Unbeteiligte durch den Protest minimiert werden. Initiativen wie "Letzte Generation" sollten regelmäßig überprüfen, ob sie mit ihren Aktionen ihre Ziele, wie eine stärkere gesellschaftliche Sensibilisierung für den Klimaschutz, erreichen.
Ein Bärendienst für den Klimaschutz?
Dagegen sehen Klimaforscher die Protestaktionen von "Letzte Generation" kritischer. Es gehe den Aktivisten in erster Linie darum, Aufmerksamkeit zu erlangen, sagt Mojib Latif vom Geomar-Zentrum in Kiel. "Aber ich sehe einfach die Gefahr, dass man der Sache einen Bärendienst tut und dass man dann den Leuten in die Hände spielt, die ohnehin immer gesagt haben, den Klimawandel durch den Menschen verursacht, den gibt es gar nicht", so Latif. Es bestehe die Gefahr, dass auf diese Weise die gesamte Klimaforschung diskreditiert werde, meint Latif.