
Koalitionsverhandlungen Mit offenen Streitfragen in den Endspurt
Bis Montag wollen Union und SPD Ergebnisse ihrer Koalitionsverhandlungen vorlegen. Schon jetzt ist abzusehen, dass strittige Fragen bis dahin ungeklärt bleiben. Forderungen von der Seitenlinie erhöhen den Druck.
Keine Statements, keine Selfies, keine Äußerungen zu Zwischenergebnissen: Für die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD gelten strenge Kommunikationsregeln. Dass es bei den Gesprächen in den einzelnen Arbeitsgruppen durchaus und mitunter wohl auch heftig hakt - soviel ist dennoch bekannt.
Bis Montag sollen die Unterhändler der Parteien konkrete Vereinbarungen aus den 16 thematisch gegliederten Arbeitsgruppen vorlegen.
Saarlands Ministerpräsidentin Anke Rehlinger ist sich sicher, dass die Klärung strittiger Punkte über den Montag hinaus dauern wird. "Es wird natürlich auch einige strittige Punkte geben, die vielleicht dann in einer Arbeitsgruppe nicht geklärt werden konnten", sagte Rehlinger, die an den Verhandlungen teilnimmt, dem Sender Welt-TV. Diese Streitfragen müssten dann ab Montag auf höherer Ebene geklärt werden. Es werde "natürlich hart verhandelt", sagte Rehlinger. Am Montag müsse ja "noch nicht der fertige Koalitionsvertrag" vorliegen. Dieser soll erst auf Grundlage der Ergebnisse der Arbeitsgruppen erstellt werden.
Und auch CDU-Chef Friedrich Merz deutete bereits an, dass zumindest die Gesamtdauer der Verhandlungen länger ausfallen könnte, als zunächst geplant - auch wenn wichtige Pflöcke eigentlich schon in den vorherigen Sondierungsgesprächen eingeschlagen wurden.
Offene Frage Digitalministerium
So gibt es bei der Arbeitsgruppe Finanzen offenbar keine Einigung, wie der Spiegel berichtet. Weder bezüglich Steuererleichterungen noch bei Einsparungen im Haushalt sei man sich näher gekommen. Die Vorstellungen von Union und SPD liegen laut Teilnehmerkreisen noch immer weit auseinander. Während die Unionsvertreter auf eine Senkung der Körperschaftssteuer für Unternehmen pochen, schlagen die Sozialdemokraten einen Einstieg in eine Unternehmenssteuerreform erst für 2029 vor. Auch bei anderen Steuerthemen liegen die Parteien dem Bericht zufolge noch überkreuz.
Keine Entscheidung soll es laut Spiegel bislang auch in der Frage geben, ob das von Merz gewünschte Digitalministerium kommt. Da die Zahl der Ressorts wie bisher bei 15 bleiben soll, müsste dafür ein anderes Ministerium weichen und die Zuständigkeiten anderweitig verteilt werden. Diskutiert werden laut dem Magazin drei mögliche Szenarien: Die Überführung des Entwicklungsministeriums ins Außenressort, die Fusion der Bereiche Umwelt und Agrar oder die Abschaffung des Bauministeriums.
Um jedes bestehende Ministerium wird laut Spiegel mehr oder weniger heftig gekämpft. Der endgültige Ressortzuschnitt wird höchstwahrscheinlich ohnehin auf der Parteispitzenebene festgelegt werden.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer bezeichnete die Koalitionsverhandlungen als "anstrengenden Prozess". Die Parteien müssten sich "von großen Entfernungen" aufeinander zubewegen, sagte der CDU-Politiker den Sendern RTL und ntv.
Forderung nach Ausschluss von Verhandlern
Die Aufgabe wird nicht einfacher, da auch von außen Forderungen und Mahnungen an die Verhandler dringen. So rief der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Konstantin von Notz, Merz dazu auf, Politiker von den Koalitionsverhandlungen auszuschließen, die sich an Gedankenspielen über eine Wiederaufnahme russischer Gasimporte beteiligen.
Merz müsse verstehen, wie sicherheitspolitisch akut derzeitige Bedrohungen durch Russland für Deutschland und Europa seien, sagte von Notz der Nachrichtenagentur dpa. Er ergänzte: "Wenn er glaubhaft sein will, muss er diejenigen, die sich in den vergangenen Tagen entsprechend geäußert haben, sofort aus den jeweiligen Koalitionsverhandlungsteams abziehen."
Zuletzt hatten zwei an den Verhandlungen beteiligte CDU-Politiker mit Aussagen zu einer möglichen Aufnahme von Gaslieferungen aus Russland - für den Fall eines Friedensschlusses in der Ukraine - für Empörung gesorgt.
Wissing warnt vor Zorn von Deutschlandticket-Nutzern
Und Noch-Bundesverkehrsminister Volker Wissing schaltet sich von der Seitenlinie in die Debatte um das ebenfalls als Knackpunkt der Verhandlungen angesehene Thema Deutschlandticket ein. Nachdrücklich sprach sich der ehemalige FDP- und jetzt parteilose Politiker dafür aus, den vergünstigten Fahrschein beizubehalten.
Eine solch große Reform auf der Strecke wieder abzubrechen, wäre "Rückschrittspolitik", sagte Wissing dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Vor dem Zorn von fast 14 Millionen Nutzerinnen und Nutzern kann ich nur warnen", fügte er hinzu. Das Deutschlandticket sei für den ÖPNV in Deutschland eine Riesenchance. "Es ist der größte Modernisierungsschub der letzten Jahrzehnte und eine Digitalisierungsoffensive", sagte der scheidende Verkehrsminister.