Landtagswahl in Brandenburg Potsdam sieht grün
Vor allem im ländlichen Brandenburg ist für die Grünen kaum etwas zu gewinnen. Anders sieht es in Potsdam aus. Dort konnten sie bei der Europawahl trotz Abwärtstrend sogar die meisten Stimmen holen. Woran liegt das?
Schon am Morgen sind viele Potsdamerinnen und Potsdamer unterwegs, es ist Markt vor dem Nauener Tor. Nicht weit entfernt vom Holländischen Viertel ist der Wochenmarkt ein beliebter Treffpunkt mitten in der Stadt. Junge Familien, Zugezogene, Alteingesessene - hier trifft sich der Kiez.
Das weiß auch Marie Schäffer, Landtagsabgeordnete für die Grünen in Brandenburg. Es ist ihr Wahlkreis: Potsdam 21. Schon am Morgen hat sie neben den Wurst-, Gemüse-, Crêpes-Wagen deswegen auch ihren Wahlkampfstand aufgebaut.
"Wir wählen Sie sowieso"
Und so steht Schäffer auf dem Markt. Mit einer einfachen Strategie: Fast jeder, der vorbeikommt, wird angesprochen. Nicht besonders kreativ, aber deutlich: "Darf ich Ihnen noch ein paar Informationen zur Landtagswahl mitgeben? Von den Grünen?" Wer nicht stehen bleibt, bekommt noch Blumensamen als Wahlgeschenk angeboten. Klassischer Landtagswahlkampf eben.
Die Potsdamer reagieren wohlwollend auf die Grünen-Politikerin. Ein älteres Ehepaar lehnt die Broschüre zwar ab, allerdings um danach schnell anzumerken: "Wir wählen Sie sowieso." Oder der junge Familienvater, den Schäffer kurz danach anspricht. Er nimmt einen Flyer mit, obwohl er sich sicher ist, dass dieser "eh schon zu Hause liegt". Sie kann mit dem Vormittag durchaus zufrieden sein.
Natürlich möchte auch in Potsdams Innenstadt nicht jeder angesprochen werden und schon am frühen Vormittag mit der gelernten Informatikerin über Probleme und Politik sprechen. Aber die Stimmung bleibt zu jeder Zeit freundlich. Fast schon wertschätzend.
"Wer sind Sie denn?"
Beim Wahlkampf in Fürstenwalde, Landkreis Oder-Spree im Osten Brandenburgs, sieht das anders aus. Die Stadt hat rund 34.000 Einwohner und viel ländlichen Raum drumherum. Hier macht der Grünen-Spitzenkandidat Benjamin Raschke Haustürwahlkampf. Schon nach ein paar hundert Metern zeigt sich, dass dem Fraktionsvorsitzenden der Partei eine andere Stimmung entgegen schlägt als seiner Parteikollegin Schäffer in Potsdam.
"Ihr Volksverräter, ey!”, ruft ein Fahrradfahrer im Vorbeifahren. Auch an den Haustüren, an denen Raschke zusammen mit der örtlichen Direktkandidatin klingelt, ist der Erfolg mäßig: "Wer sind sie denn? Die Grünen? Die sind für mich gestorben" lautet nur eine der Abfuhren. Oder noch schlimmer, wenn die Tür direkt ohne Begründung wieder zu gemacht wird.
Vor fünf Jahren hat die AfD diesen Wahlkreis gewonnen. Und auch für die Landtagswahl am 22. September muss sich Raschke eingestehen: Im ländlichen Raum hat seine Partei einen schweren Stand.
Das liege vor allem an der Ampel-Regierung, meint der grüne Spitzenkandidat. Die habe in der Kommunikation Fehler gemacht, sagt Raschke. "Wie die Debatte ums Heizungsgesetz geführt wurde, hat für uns hier in Brandenburg 15 Jahre Aufbauarbeit im ländlichen Raum auf einen Schlag zunichte gemacht. Es fühlt sich an wie vor 15 Jahren. Wir müssen überhaupt erst die Schwelle überschreiten, durch das Feindbild durchzudringen." Und das sei oft unmöglich.
Europawahl als Stimmungstest
Die Unterschiede zwischen Potsdam und dem restlichen Brandenburg sind spürbar - und messbar. Das hat sich erst im Juni bei der Europawahl wieder deutlich gezeigt. In ganz Brandenburg kamen die Grünen auf für die Partei enttäuschende 6,0 Prozent. Abgeschlagen hinter der AfD (27,5), der CDU (18,4), dem BSW (13,8) und der SPD (13,1).
Ganz anders das Bild in Potsdam: Zwar musste die Partei auch hier Verluste hinnehmen, am Ende aber holten die Grünen in Potsdam die meisten Stimmen (15,5), knapp gefolgt von SPD (15,3) und CDU (14,3). Und das bei einer hohen Wahlbeteiligung von 72,5 Prozent.
Weniger Sorgen, mehr grüne Stimmen?
Woran liegt das? Für Jan Philipp Thomeczek, Politikwissenschaftler an der Universität Potsdam, ist der Unterschied zwischen Potsdam und dem Rest des Bundeslandes keine Überraschung. Der begründet es so: "In Brandenburg ist Potsdam die mit Abstand größte Stadt, zudem die wohlhabendste und teuerste in Ostdeutschland, zum Beispiel an den Mieten gemessen. Das passt auch hervorragend zur Gründungsgeschichte grüner Parteien in Europa."
Denn die seien vor allem entstanden aus einer "Postmaterialismus-Welle" der 1970er- und 1980er-Jahre, so Thomeczek. "Die Generationen, die in Frieden aufgewachsen sind und keine materiellen Sorgen hatten, konnten sich Themen wie Frieden und Umweltschutz zuwenden."
Das könne man auf das heutige Ostdeutschland übertragen. "Dort, wo es den Leuten gut geht, wählt man die Grünen", so Thomeczek. "Wo es größere materielle und wirtschaftliche Nöte gibt, eben nicht." Und so glaubt der Politikwissenschaftler, dass auch bei dieser Landtagswahl die Grünen-Hochburg Potsdam bestehen bleiben könnte - während die Partei zurzeit in vielen Landkreisen kaum noch eine Rolle spielt.