Mario Voigt, Spitzenkandidat und Landesvorsitzender der CDU Thüringen, Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU, Jan Redmann, Spitzenkandidat und Landesvorsitzender der CDU Brandenburg, und Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen kommen zusammen zu einer Wahlkampfveranstaltung der CDU zur Brandenburger Landtagswahl auf dem Neustädtischen Markt

Landtagswahl 2024 Schicksalswahl Brandenburg?

Stand: 07.09.2024 09:56 Uhr

Die CDU hofft, bei der Landtagswahl in Brandenburg ihren Aufwärtstrend fortzusetzen - und auf einen K.o.-Schlag für die Ampel. Doch der Wahlkampf läuft unter anderen Vorzeichen als noch in Sachsen und Thüringen.

Jan Redmann will nicht tatenlos zuschauen. Nicht bei der Bürokratie, nicht beim Arbeitskräftemangel, nicht bei den hohen Energiepreisen. Und neulich sei er in einer Kita gewesen, da würden 30 verschiedene Sprachen gesprochen. "Da brauch ich gar nicht fragen, ob Migration gelingt", ruft Redmann an diesem Mittwochabend über den Markt von Brandenburg an der Havel. 

"Wahnsinn!", raunt eine Dame an der Stelle im Publikum. Redmann sagt, die CDU werde in Brandenburg wieder "für klare Verhältnisse sorgen". Danach tritt Michael Kretschmer aus Sachsen auf die Bühne und sagt: "Hier hat gerade ein Ministerpräsident gesprochen."

Kretschmer ist zumindest selbst ein solcher und ist genau wie CDU-Chef Friedrich Merz und Mario Voigt aus Thüringen angereist, um den Parteifreund Redmann zu unterstützen. Voigt sagt, in jeder kleinen Gemeinde Brandenburgs stecke mehr gesunder Menschenverstand als im gesamten Berliner Regierungsviertel.

Dort, in Berlin, will die Union ab 2025 wieder den Ton angeben. Und dafür soll Jan Redmann bei der Landtagswahl am 22. September das Triple voll machen, als einer von dann wohl drei CDU-Ministerpräsidenten. Für Merz wäre das die perfekte Rampe ins Kanzleramt. Doch Brandenburg ist nicht Thüringen oder Sachsen. Die Vorzeichen sind hier ganz andere.

Brandenburger Verhältnisse

Da ist die Lage der CDU. Sie stellt nicht den Ministerpräsidenten wie in Sachsen und konnte sich nicht wie in Thüringen in der Opposition profilieren. In Potsdam ist sie Juniorpartner der SPD in einer rot-schwarz-grünen Koalition. Redmann kann die Arbeit der eigenen Regierung zumindest leichter kritisieren, weil er Fraktionsvorsitzender statt Minister ist.

In Umfragen liegen SPD und CDU zu diesem Zeitpunkt etwa gleichauf bei 19 Prozent. Die AfD führt mit 24. Vielerorts steht nun ein Dreikampf zwischen SPD, AfD und CDU bevor. Die Wagenknecht-Partei BSW - in den Umfragen bei 16 bis 17 Prozent - hat keine Direktkandidaten aufgestellt.

Der Fokus der CDU liegt nahezu ausschließlich auf der SPD. Die Partei regiert seit 1990 in Brandenburg. Das Land mit dem Berliner Speckgürtel, der Lausitzer Kohleregion und den schier endlosen Alleen ist heute deutschlandweit eines der Schlusslichter bei der Bildung, aber auch einer der Spitzenreiter beim Wirtschaftswachstum.

Ministerpräsident Dietmar Woidke sitzt seit elf Jahren im Amt. Vor fünf Jahren hat sein Team den E-Autobauer Tesla in die Mark geholt. Jetzt im Wahljahr müht Woidke sich, keine Amtsmüdigkeit zu verströmen. Er warnt im Angesicht der AfD vor einer Wiederkehr der NS-Zeit. Und als im Winter die Bauernproteste losbrachen, umarmte Woidke diese förmlich.

Nicht nur damals ging Woidke auf Distanz zur Ampel-Regierung im Bund. Während die Genossen in Sachsen und Thüringen den Sommer über die versammelte SPD-Spitze zu sich einluden, gibt es in Brandenburg nur ein paar Termine mit Direktkandidaten.

Die Sozialdemokraten spielen noch nicht mal Harmonie vor. Beim Sommerfest der SPD am Freitag vergangener Woche in Potsdam kommt Olaf Scholz spät aus dem Wahlkampfendspurt in Sachsen. Woidke begrüßt ihn nicht, eine Rede hält der Kanzler auch nicht. Erst nach einer Dreiviertelstunde trifft Scholz auf Woidke. Drei Minuten später gehen sie schon wieder getrennte Wege.

Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen fordert Woidkes Finanzministerin Katrin Lange dann in der Bild-Zeitung ein Talkshow-Verbot für Spitzengenossen wie Saskia Esken und Kevin Kühnert. "Es ist unerträglich", so Lange über das Bild, das ihre Partei abgebe. Die Ampel will sich die SPD hier nicht anhängen lassen.

Woidke - oder nichts

Jan Redmann versucht es dennoch. Am Ende eines Wahlkampftages vier Wochen vor dem Termin mit Merz, Kretschmer und Voigt fasst er seine Strategie zusammen. Redmann hat in Ahrensfelde am nördlichen Rand Berlins einen Hersteller von Fertigbädern besucht und sich den hochmodernen Sportplatz des örtlichen Fußballvereins zeigen lassen.

Dazwischen hat er noch ein bisschen Haustürwahlkampf gemacht. Ein Rentner hat ihm gesagt: "Um die Alten müssen Sie sich keine Sorgen machen. An die Jungen müssen Sie ran!" Die seien schon bei der AfD.

"Keine Sorge", hatte Redmann ihm geantwortet und dann auf dem Weg zum nächsten Haus von der "depressiven Stimmung" in seinem Abiturjahrgang Ende der 90er in der Prignitz berichtet. Das sei mit dem Brandenburg von heute eigentlich nicht zu vergleichen.

Jetzt steht er auf einem Parkplatz und spricht über die rot-schwarz-grüne Koalition und den Wahlkampf. Brandenburg würde sich von Sachsen und Thüringen unterscheiden, sagt Redmann. "Es ist das einzige Land, wo man wirklich die Ampel abwählen kann."

Dietmar Woidke hat den Wahlkampf komplett auf sich zugespitzt. Sollten die Brandenburger die SPD nicht auf Platz eins wählen, "dann bin ich nicht mehr da", so Woidke Anfang August. Selbst dann, wenn seine Partei knapp hinter der AfD lande und er seine Koalition fortsetzen könnte.

Woidke fahre einen Wahlkampf nach dem Motto "Liebt Ihr mich noch?", sagt Herausforderer Redmann. Aber: "Das Jahr 2019 kommt nicht nochmal wieder." Damals hatte es zum Schluss einen Zweikampf zwischen Woidke und der AfD gegeben.

Redmann selbst fällt es schwer, zuzuspitzen. Lange kannten ihn nur wenige Brandenburger. Dann fuhr er eines Juli-Abends betrunken E-Roller. Die Polizei stoppte ihn mit 1,3 Promille. Er machte den Fall selbst öffentlich. Die CDU ließ ihn nicht fallen.

Und dennoch sagt Redmann den ganzen Abend über nicht einen Satz, der mit "Wenn ich Ihr Ministerpräsident bin …" beginnt. Er spricht bestenfalls in Wir-Form.

Will er denn gar nicht Ministerpräsident werden? Doch klar, meint Redmann. Er sage das doch oft. Aber es sei auch so: "Wenn man einem Brandenburger sagt, was man werden will, dann sagt der: Und wat hab ick davon?"

"Ampel aus, Vernunft an"

Was der gemeine Brandenburger davon hätte, dass ein CDU-Ministerpräsident regieren würde, darauf hat Jan Redmann vier Wochen später in Brandenburg eine konkrete Antwort gefunden.

Man habe eine Mission, ruft Redmann: "Die Ampel ausschalten, die Vernunft wieder einschalten." Die Signale aus Dresden und Erfurt seien in Berlin überhört worden, "das Signal aus Potsdam wird man nicht überhören können". 

Die Botschaft ist abgestimmt. "Die Ampel wird sich am 22. September nicht mehr rausreden können", sagt Mario Voigt. "Ampel aus und Vernunft an", kommt von Michael Kretschmer. Das Kalkül: Ein Verlust der Potsdamer Staatskanzlei würde die Kanzler-Partei SPD viel schwerer treffen als die einstelligen Ergebnisse bei den Wahlen in Thüringen und Sachsen.

Und auch Friedrich Merz nährt die Hoffnung, dass in Brandenburg entschieden werde, ob die Ampel weitermacht oder doch noch platzt. Während Dietmar Woidke die Brandenburg-Wahl also zu einer Schicksalswahl für das Land zwischen SPD und AfD erklärt, erklärt die CDU sie zu einer Schicksalswahl für ganz Deutschland. Großplakate mit dem Spruch "Ampel aus, Vernunft ein" sind bereits in Vorbereitung. 

Am Donnerstag, einen Tag nach dem CDU-Auftritt, erscheint der neue BrandenburgTrend im Auftrag des rbb. Das Meinungsforschungsinstitut infratest dimap weist die AfD jetzt bei 27 Prozent aus, die SPD bei 23, die CDU bei 18 und das BSW bei 15.

Sollte sich das so bewahrheiten, dann bliebe Brandenburg ein Stück weit anders. Nur dass dann weder Dietmar Woidke noch Jan Redmann einen Wahlsieg der AfD verhindert hätten.