Vor Landtagswahlen Wie die Politik nach Antworten auf die AfD sucht
Experten sehen alle Parteien in der Verantwortung, die AfD bis zu den Wahlen im Herbst zurückzudrängen. Statt einer "Generalabrechnung mit der Bundespolitik" brauche es eigene Themen. Auch die Ampel müsse liefern.
Hohe Umfragewerte, ein mögliches Verbotsverfahren und Großdemos infolge von Medienrecherchen zu Vertreibungsplänen: Die AfD und die Auseinandersetzung mit ihr bestimmen die politische Debatte. Für viele gilt es als ausgemacht, dass die in Teilen rechtsextreme Partei bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im September Rekordergebnisse einfahren wird.
AfD ist "Flächenphänomen" geworden
Die AfD sei ein "Flächenphänomen" geworden, sagt auch der Meinungsforscher Roland Abold von infratest dimap. Das Institut erstellt den ARD-DeutschlandTrend. Habe die AfD früher vor allem Arbeiter, Familien mit niedrigeren Einkommen und Familien außerhalb der Großstädte erreicht, kämen nun auch Angestellte, mittlere Einkommen und Großstädter dazu, so Abold.
Als einen Treiber dafür sieht er eine sehr große Unzufriedenheit mit der Bundesregierung - auch auf Landesebene. Ein zweiter Grund sei die Migrationsdebatte. "Je mehr diese öffentlich problematisiert wird, desto stärker ist die AfD", sagt Abold.
Bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern, die 2023 auf dem Höhepunkt dieser Debatte stattfanden, schnitt die Partei besonders gut ab. Anders als 2015 kämen nun auch Preissteigerungen, Energieunsicherheit und allgemeine wirtschaftliche Sorgen hinzu, so Abold.
Keine "Generalabrechnung über Bundespolitik"
Wie aber könnten andere Parteien das bis zum September ändern? "Migration, Energiepolitik und Preisentwicklung sind keine Gewinnerthemen", sagt Abold in Richtung der wahlkämpfenden Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, Bodo Ramelow und Dietmar Woidke. Gerade der CDU-Politiker Kretschmer in Sachsen setzt auch auf Bundesthemen.
Statt die Landtagswahlen aber zu einer "Generalabrechnung über die Bundespolitik" zu machen, rät Abold, landespolitische Themen in den Vordergrund zu stellen. Diese kombiniert mit starken Landespersönlichkeiten seien "ein starkes Rezept gegen die AfD". Schließlich habe die selbst kein Personal, das begeistere oder gar ministrabel sei.
Ampel braucht Geschlossenheit
Doch helfen könnte auch die Berliner Ampel mit einer besseren Performance und mehr Geschlossenheit, so Abold. Die Bundesregierung müsse etwa in Wirtschafts- und Sozialfragen mehr kommunizieren und versuchen, "das ganze Narrativ von einem 'Abwärtsstrudel, in dem sich das Land befindet' zu drehen".
Eine klare Kommunikation brauche es auch bei der Migrationsfrage. Hier müsse die Ampel zeigen, "dass sie die Lage unter Kontrolle hat und daran arbeitet", sagt Abold. Das erwarte eine Mehrheit der Bürger schließlich.
"Viele Menschen haben den Eindruck, dass in Berlin etwas entschieden wird, was dann bei ihnen vor Ort in Brandenburg, Sachsen und Thüringen als Problem auftaucht", so Abold. Gerade Menschen, die zur Wahl rechter Parteien neigen, hätten oft Angst vor einem Kontrollverlust.
Empfundene Ungerechtigkeit aufnehmen
In Sachsen beobachtet Fiona Kalkstein die Entwicklung. Die Sozialpsychologin ist stellvertretende Leiterin des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts der Universität Leipzig. 2023 führte das Institut eine repräsentative Studie zu autoritären Dynamiken und der Unzufriedenheit mit der Demokratie in Ostdeutschland durch.
90 Prozent der Befragten bekannten sich damals zur Demokratie. Die Zustimmung zum Funktionieren der Demokratie lag aber nur bei 42 Prozent. "Die Menschen in Ostdeutschland empfinden unsere Gesellschaft offenkundig als hochgradig undemokratisch beziehungsweise als ungerecht", sagt Kalkstein.
Sie regt an, "dieser Empfindung einen gewissen Raum zu geben und zu schauen, was dahintersteckt". Das dürfe man nicht der AfD überlassen. Gelegenheit dazu böten die aktuellen Bauernproteste. Ohnehin sei es wichtig, "die Städte zu verlassen und aufs Land gehen". Die Parteien sollten vor Ort sichtbar sein und Menschen nach ihren Anliegen fragen, so Kalkstein.
Direkte Duelle sind riskant
Strittig ist, wie direkt andere Parteien die Konfrontation mit der AfD suchen sollen. In Thüringen etwa plant der CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt eine öffentliche Diskussion mit Björn Höcke über Europa. Kalkstein hält das für riskant.
Einerseits sei es gut, wenn man den Menschen die Widersprüche der AfD aufzeige und ihr andere Positionen entgegenstelle. Dafür müsste man aber sehr gut vorbereitet sein. Denn Höcke sei ein Stratege, der einen Kulturkampf von rechts Schritt für Schritt vorausplane. "Geht man der AfD in so einer Diskussion auf den Leim, verschlimmert sich alles noch", so Kalkstein.
Kritisch sieht Kalkstein die oft scharfe Kommunikation von Teilen der CDU, etwa in der Asyldebatte. Zwar profitiere die Partei in den Umfragen - die AfD tue es aber auch. Kalkstein nennt als Beispiel Aussagen wie jene von Parteichef Friedrich Merz, der abgelehnte Asylbewerber für lange Wartezeiten beim Zahnarzt verantwortlich gemacht hatte. "Da wissen wir schon lange: Die Leute wählen lieber das Original als die Kopie", so Kalkstein.
Nur ein Teil der Anhänger wäre erreichbar
Doch lassen sich AfD-Anhänger überhaupt noch erreichen? Roland Abold schätzt den Anteil der Überzeugten unter ihnen auf etwa die Hälfte ein. Andere Forscher setzen den Wert noch höher an.
Der Rest seien in jedem Fall Enttäuschte, die für andere Parteien erreichbar seien, so Abold. Das Problem: "Diese darf man nicht stigmatisieren, wenn man sie erreichen will." Man müsse auf ihre Bedürfnisse und Lebenswirklichkeiten eingehen.
Fiona Kalkstein verweist auf die Studie ihres Instituts, wonach maximal zehn Prozent der Menschen in Ostdeutschland ein geschlossen rechtsextremes Weltbild hätten, das Wählerpotenzial der AfD aber bei weit über 30 Prozent läge. Viele ihrer Anhänger seien rechtskonservativ, "aber eben nicht alle sind rechtsextrem", sagt Kalkstein.
Demonstrationen bringen AfD in Bedrängnis
Unsicher zeigen sich Abold und Kalkstein bei der Frage, wie sich Nichtwähler bei den Landtagswahlen entscheiden könnten. Sollte Björn Höcke wirklich Ministerpräsident werden können, könnte das einen Teil gegen die AfD mobilisieren, so Abold.
Gleichzeitig seien Nichtwähler aber für andere Parteien schwer zu erreichen, sagt Kalkstein. Sie hätten sich oft schon jahrelang aus der Politik verabschiedet. Und auch das Potenzial der AfD sei hier noch längst nicht ausgeschöpft.
Die aktuellen Demonstrationen bewertet Kalkstein als einen "ersten guten Schritt". Sie brächten die AfD in Bedrängnis. "Es ist jetzt sichtbar, dass sie eben nicht die Stimme des 'Volkes' ist, als die sie sich oft inszeniert", so Kalkstein. Ein Großteil der Bevölkerung teile Werte und Ideologien der AfD eben nicht.