Friedrich Merz
analyse

Asylpolitik der Union Ganz oder gar nicht

Stand: 14.09.2024 15:11 Uhr

Die Union tat sich lange schwer mit dem Erbe der Merkelzeit, vor allem in der Asylpolitik. Doch dann kam Solingen - und CDU-Chef Merz zeigt sich plötzlich voll entschlossen. Warum sein Kurs riskant ist.

Eine Analyse von Sarah Frühauf, ARD-Hauptstadtstudio

"Wir schaffen das!" Dieser eine Satz - ein Klotz, den viele in der CDU gern loswerden würden. Doch er hängt der Partei nach, auch neun Jahre, nachdem die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel ihn ausgesprochen hat. Immer wieder wird er auch laut ausgeschrien, voller Verachtung und Ironie.

Wie beim Auftakt für den anstehenden Landtagswahlkampf der CDU in Brandenburg an der Havel Anfang September. Parteichef Friedrich Merz, Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und Thüringens CDU-Vorsitzender Mario Voigt stehen auf der Bühne. Sie beglückwünschen sich für die Ergebnisse der vergangenen Landtagswahlen und versuchen Jan Redmann Mut zu machen, der sich nun in Brandenburg gegen die SPD, aber vor allem gegen die AfD durchsetzen soll.

Merz setzt dabei den Ton. Wiederholt, was er bereits kurz nach dem Terroranschlag von Solingen gesagt hat: "Es reicht." Und da kommen sie. Die Rufe von ganz hinten des Marktplatzes: "Ihr seid schuld. Ihr habt sie hereingelassen."

Dann kam Solingen

Die Union wird vielerorts immer noch mitverantwortlich gemacht, vor allem beim Thema Asyl. Auch drei Jahre Opposition haben daran kaum etwas verändert. Wohl auch, weil sich die CDU mit den Merkel-Jahren bisher schwergetan hat. Die Angst bei einigen war groß, mit Kritik die eigene Kanzlerin zu diskreditieren und für Unruhe in der Partei zu sorgen. Insbesondere für Friedrich Merz eine heikle Angelegenheit, da er und Merkel bekanntermaßen kein enges Verhältnis haben.

Nun aber kam Solingen. Mitten im Ost-Wahlkampf. Seitdem klingt die CDU, im speziellen Friedrich Merz, ganz anders als damals Angela Merkel. Der CDU-Chef will, dass jeder, der über einen anderen EU-Staat oder ein Drittland eingereist ist, an der Grenze zurückgewiesen wird. Migrationspolitik, nun knallhart. Auch wenn rechtlich umstritten ist, ob die Forderung durchsetzbar ist, will Merz daran nicht rütteln.

Handlungsfähigkeit zeigen

Es ist ein riskantes Manöver, das der CDU-Chef sich vorgenommen hat. Merz will offenbar zeigen, dass er und seine Partei handlungsfähig sind. Mit dem Angebot an die Bundesregierung in der Asylfrage gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, gab sich die Union konstruktiv.

Doch die Erfahrungen aus den Merkel-Jahren sitzen tief: Sollte es in Asylfrage immer noch kein Vorankommen geben, will man nicht wieder mit in die Verantwortung genommen zu werden. Da ist die CDU wie ein scheues Reh: Bahnt sich dahingehend nur die kleinste Gefahr an, versteckt sie sich wieder im Dickicht.

Vorwurf der Inszenierung

Auch weil die CDU sich dessen bewusst gewesen sein sollte, vermuten SPD und Grüne hinter dem Vorgehen von Merz eine wohl durchdachte Inszenierung. Zuerst die Gesprächsofferte, dann das lange Zögern, ob Unionsvertreter zu einem zweiten Treffen im Bundesinnenministerium erscheint, und am Ende, sozusagen als Höhepunkt, der Abbruch nach nur eineinhalb Stunden.

Scholz ging in der Generaldebatte zum Haushalt am Mittwoch sogar so weit, Merz vorzuwerfen, er habe sich nie wirklich um die Asylfrage kümmern wollen.

Ein Vorwurf, der die Union schmerzhaft trifft. Denn der Eindruck wäre fatal, dass es hier nur um die Außenwirkung und nicht das tatsächliche Wirken gegangenen wäre.

"Nicht überdrehen"

Einige in der Unionsfraktion warnen hinter vorgehaltener Hand, man dürfe nun nicht überdrehen. In einer eilig einberufenen Sondersitzung des Präsidiums am Dienstagabend, kurz nach dem Ende der Gespräche im Innenministerium, verständigt man sich darauf, das Nein der Union zu den Vorschlägen der Ampel öffentlich nachvollziehbar zu darzulegen.

Im Präsidium, dem höchsten Parteigremium, sitzen auch zahlreiche CDU-Länderchefs, von denen sich doch der eine oder andere gewünscht hätte, die Gespräche wären erfolgreich verlaufen. Der Parteichef ist offensichtlich unter Druck, sich und die Union zu erklären und nutzt dazu in dieser Woche die Bühnen, die sich ihm im Berliner Sitzungswochen Betrieb bieten.

Am Donnerstagabend zum Beispiel hat die Konrad-Adenauer-Stiftung Merz zu einer Podiumsdiskussion mit dem Titel "Demokratie unter Druck?" eingeladen. In seiner Einführung verteidigt er sich vehement: "Wir inszenieren da nichts."

Man solle sich vorstellen, dass Union und Ampel gemeinsam Wege gehen und die nicht zum Erfolg führen würden. In einem Jahr wäre Schlussphase des Bundestagswahlkampfs und es würde heißen: Die da oben schaffen es nicht. Dann gebe es andere, die sagen, sie hätten die einfachen Lösungen. Diese Situation wolle er für die CDU nicht.

Der AfD den Nährboden nehmen

Auch wenn er sie nicht beim Namen nennt, spielt Merz auf die AfD an. Diejenigen, die mit rechtspopulistischen Thesen aus der Asylfrage bisher politisch den meisten Profit geschlagen. Die Union will ihnen diesen Nährboden nun nehmen.

Auffällig häufig arbeitet sich die AfD nun allerdings an der Union ab und frohlockt fast schon: Die Geschichte gebe ihnen Recht. Das, was die Union jetzt in Sachen Zurückweisungen will, habe die AfD schon vor Jahren gefordert.

Es ist eine Gratwanderung für CDU und CSU. Die Frage danach, wie man sich dem Asylthema nähert, wird deswegen auch durchaus in der Union diskutiert. Dass man sich dessen annehmen muss, ist weitgehend unstrittig.

Blick auf die Bundestagswahl

Bei seiner Klausur vergangene Woche in Neuhardenberg in Brandenburg hat der geschäftsführende Fraktionsvorstand nicht nur einen Blick auf die Sitzungswochen nach der Sommerpause geworfen. Es ging auch um die entferntere Zukunft: die Bundestagswahl im nächsten Jahr. Bis dahin hätte der Parteichef alle Fragen rund um Asyl gern abgeräumt, heißt es aus Fraktionskreisen.

Merz wird wohl bewusst sein, dass bei dem Thema gegen die AfD im Wahlkampf kaum anzukommen ist. Auch deswegen könnte der CDU-Vorsitzende die Tür Richtung Ampelkoalition nun noch einmal einen Spalt weiter geöffnet haben.

Er reagierte offen auf den Vorschlag des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner, sich auf Chefebene, also auch mit dem Kanzler zu treffen. Nur wird wohl Merz auch da bei seiner Forderung nach Zurückweisungen bleiben. Denn für Merz gelten in Sachen Asyl die Worte: "Ganz oder gar nicht."

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