Plan des Bundeslandwirtschaftsministers Özdemir will Einsatz von Pestiziden halbieren
Minister Özdemir will bis zum Jahr 2030 den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft halbieren. Das soll allerdings ohne Verbote gehen.
Es ist ein hochgestecktes Ziel, das Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir da verfolgt. Bis 2030 will der Grünen-Politiker den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft möglichst um die Hälfte reduzieren - allerdings ohne Verbote. Özdemir setzt auf Kooperation. "Unser Weg zu einem nachhaltigen Pflanzenschutz heißt: Zusammenarbeit, wirtschaftliche Anreize und landwirtschaftliche Vernunft", so der Minister.
Pestizide, zu denen auch das umstrittene Glyphosat gehört, macht das Ministerium als einen Grund für den Insektenschwund und den Verlust an Artenvielfalt aus. Studien zeigen, dass die Zahl der Insekten in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten deutlich abgenommen hat.
Wie Özdemir sein Ziel, den Pestizideinsatz zu halbieren, erreichen will, skizziert er im "Zukunftsprogramm Pflanzenschutz". Zwölf Maßnahmen werden darin beschrieben. Was auffällt: Vieles ist nicht neu. Anderes ist abhängig von künftigen Haushaltsverhandlungen und wirklich verpflichtend ist schon mal gar nichts.
Mehr Ökolandbau
So soll unter anderem der Ökolandbau bis 2030 auf 30 Prozent ausgebaut. Schließlich nutzen Bio-Bauern keine Chemie, sondern setzen auf biologische Mittel. Allerdings ist das Ziel nicht neu. Bereits Ende letzten Jahres stellte Özdemir seine "Bio-Strategie 2030" vor.
Eigentlich sollte es eine Bio-Strategie der gesamten Bundesregierung werden. Doch Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger von der FDP wollte Özdemirs Pläne nicht mittragen. Sie bestand darauf, dass sich die Bio-Branche für die sogenannten neuen genomischen Züchtungsmethoden öffnet.
Aber das lehnten sowohl Özdemir als auch die Branche ab. Ohne Konsens der Regierungsparteien ist nicht nur die Umsetzung der Öko-Strategie komplizierter, weil dafür notwendige Gelder sich deutlich schwieriger einwerben lassen. Das Papier könnte auch nach der nächsten Wahl schnell in den Archiven des Landwirtschaftsministeriums verschwinden.
Zudem hat Özdemir die Messlatte hoch angesetzt. Im vergangenen Jahr betrug der Anteil der ökologisch bewirtschafteten Fläche an der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche 11,2 Prozent - also noch nicht einmal die Hälfte dessen, was in nur sieben Jahren erreicht werden soll.
Weniger Pestizide dank Präzisionstechnik
Die Digitalisierung macht auch vor der Landwirtschaft nicht halt. Ausgestattet mit GPS und neuester Messtechnik bringen moderne Feldspritzen Pflanzenschutzmittel schon heute zielgerichtet und effizient aus. Der Industrieverband Agrar - die Interessenvertretung der Hersteller von Pflanzenschutzmitteln - schätzt, dass allein durch den Einsatz modernster Technik ein Viertel weniger Pestizide auf den Feldern landen würden.
Die neue Technik hat allerdings auch ihren Preis. Insbesondere für kleine Höfe lohnt sich die Anschaffung häufig nicht. Özdemir will deshalb, dass Bund und Länder künftig auch wieder Investitionen in moderne Maschinen und Geräte fördern.
Auch die Umstellung von chemischen hin zu mechanischen Anwendungen soll belohnt werden. Allerdings ist Özdemirs finanzieller Spielraum zuletzt eher gesunken und mehr Geld dürfte es angesichts der komplizierten Haushaltslage im Bund zumindest auf absehbare Zeit kaum geben. Das gilt auch für eine zusätzliche Förderung von Forschung und Modellbetrieben.
Bioland hat große Zweifel
Ob die im Zukunftsprogramm skizzierte Maßnahmen geeignet sind, das Ziel von deutlich weniger Pestiziden zu erreichen, daran hat der Bioverband Bioland große Zweifel. "Es fehlen wirksame Maßnahmen mit verbindlichen Umsetzungsschritten und Zeitplänen", kritisiert Gerald Wehde von Bioland. Keine Spur im Programm zum Beispiel von einer Pestizid-Abgabe - die könnten Hersteller in einen Topf zahlen, aus dem dann Maßnahmen für die Artenvielfalt finanziert würden.
Dazu stehe nichts im Papier, weil es "realistischerweise in dieser Legislaturperiode nicht mehr reichen wird, darüber einen Konsens zu erzielen", sagt dazu Landwirtschaftsminister Özdemir. Die Erwartung in den vier Jahren im Amt alles zu lösen, was sich lange vorher angestaut habe, sei nicht realistisch.
Nicht alle fühlen sich beteiligt
Auffallend oft betont Özdemir bei der Vorstellung des Zukunftsprogramms, er setzte auf Kooperation und Zusammenarbeit. Das Zukunftsprogramm sei in Zusammenarbeit mit Bauern, Umweltschützern, Bundesländern und anderen Interessensgruppen erarbeitet worden, "eine echte Beteiligung". Dieses Ziel, alle ins Boot zu holen, hat nicht geklappt.
Schon kurz nach Beginn des Beteiligungsprozesses im März dieses Jahres ging es hoch her. Die Bauernschaft war empört. Der Deutsche Bauernverband sprach von einem "Affront gegenüber der Landwirtschaft". Der Grund: Özdemirs Ziel den Pestizideinsatz zu halbieren. "Eine pauschale Reduzierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmittel ist weder fachlich gerechtfertigt noch praktisch umsetzbar", antwortete der Bauernverband und sah die Ernährungssicherheit in Gefahr.
Özdemir kopiert beim Bauernverband
Jetzt versucht Özdemir die Bauernschaft erneut einzubinden und betont, auch in Zukunft sollen Landwirte in der Lage sein, ihre Pflanzen zu schützen. "So viel wie nötig und so wenig wie möglich", sagt Özdemir und kopiert damit eins zu eins einen Satz aus den Pressemitteilungen des Deutschen Bauernverbands ab.
Der meldet sich nun ebenfalls zu Wort und kritisiert, dass wesentliche Zukunftsfragen wie die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln in Özdemirs Programm unbeantwortet blieben. "Wir sehen in diesem Jahr auf manchen Feldern Schädlings- oder Krankheitsbefall, soweit das Auge reicht", sagt Bauernpräsident Joachim Rukwied.
Den Bauern würden schon jetzt Wirkstoffe fehlen, um das in den Griff zu bekommen. Rukwied fordert deshalb ein Programm zur Stärkung des chemischen Pflanzenschutzes, um Ernten zu sichern.
Dem einen werde das Papier viel zu weit gehen, dem anderen nicht weit genug, prophezeite Minister Özdemir dementsprechend schon bei der Vorstellung des Programms. Und gibt seinem Ministerium gleich mal einen klingenden Namen: Es sei eine "Kompromissmaschine".