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"Schärfstes Schwert des Rechtsstaats" Wann Parteien verboten werden können

Stand: 27.09.2024 17:41 Uhr

Nach den Vorgängen im Thüringer Landtag fordern einige Politiker ein Verbotsverfahren gegen die AfD. Die verfassungsrechtlichen Hürden für ein Parteiverbot sind aber hoch.

Von Christoph Kehlbach, ARD-Rechtsredaktion

Im Thüringer Landtag sollte eigentlich ein neuer Landtagspräsident gewählt werden, doch dazu kam es nicht. Die konstituierende Sitzung wurde ergebnislos abgebrochen. Zuvor hatte der Alterspräsident Jürgen Treutler, der die Sitzung eigentlich traditionsgemäß überparteilich leiten sollte, Anträge zur Geschäftsordnung nicht zugelassen, Ordnungsrufe erteilt und eine stark parteipolitisch gefärbte Rede gehalten.

Über die Rechtmäßigkeit dieser Vorgänge entscheidet das Landesverfassungsgericht in Weimar. Die CDU hatte dort noch am Donnerstag einen entsprechenden Eilantrag gestellt. Daneben verstärken sich nun aber auch öffentliche Rufe nach einem Verbotsantrag gegen die AfD. Dass die Vorgänge im Landtag - für sich genommen - dafür ausreichen, ist unwahrscheinlich.

Nur das Bundesverfassungsgericht kann verbieten

Eine politische Partei kann in der Bundesrepublik nur vom Bundesverfassungsgericht verboten werden. Den Antrag für ein solches Verbot können die Bundesregierung, der Bundestag oder der Bundesrat stellen. Bei Parteien, die nur in einem Bundesland organisiert sind, auch die jeweilige Landesregierung. Ob ein solcher Verbotsantrag gestellt wird, ist also zunächst immer eine politische Entscheidung.

Juristischen Erfolg hat ein solcher Antrag dann, wenn die Partei, die verboten werden soll, tatsächlich verfassungswidrig ist. Das Grundgesetz nennt die Voraussetzungen dafür: "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig."

Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit kann sich auch auf einen rechtlich oder organisatorisch selbständigen Teil einer Partei beschränken. Ein Verbot einzelner Landesverbände ist also denkbar, sofern nur diese die Voraussetzungen dafür erfüllen und andere Landesverbände eben nicht. Ob man einen Verbotsantrag auch von vorneherein auf einzelne Landesverbände beschränken kann, ist unter Verfassungsjuristen umstritten. Diese Situation gab es noch nie.

Die "schärfste Waffe des Rechtsstaats"

Wann die grundgesetzlichen Voraussetzungen für ein Verbot erfüllt sind, definierte das Bundesverfassungsgericht im NPD-Urteil vom Januar 2017. Karlsruhe machte aber auch klar: Ein Parteiverbot kann nur im extremen Ausnahmefall erfolgen. Denn es stelle "die schärfste und überdies zweischneidige Waffe des demokratischen Rechtsstaats gegen seine organisierten Feinde dar".

Vereinfacht gesagt müssen dafür zwei Dinge zusammenkommen: Eine inhaltliche Verfassungswidrigkeit und eine gewisse Wirkmacht der Partei. Unbedeutende Parteien, die mangels politischer Relevanz gar nicht in der Lage sind, ihre Ziele umzusetzen, können also trotz inhaltlicher Verfassungswidrigkeit nicht verboten werden.

Die konkreten Voraussetzungen

Voraussetzung für die Verfassungswidrigkeit einer Partei ist, dass sie nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Der Begriff der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" umfasse laut Bundesverfassungsgericht die "Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind".

Das sind die Grundsäulen unseres politischen Systems: Die Garantie der Menschenwürde für alle, die hier leben. Nicht nur für deutsche Staatsbürger. Außerdem das Demokratieprinzip: Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus und wird in demokratischen Strukturen ausgeübt. Und das Rechtsstaatsprinzip: Bürger und Staat sind an Recht und Gesetz gebunden und eine unabhängige Justiz wacht darüber.

Dass eine Partei die Beseitigung oder die Beeinträchtigung wenigstens eines dieser Kernelemente anstrebt, müsste sich aus ihren Zielen, etwa wie sie in ihrem Parteiprogramm stehen, oder aus dem Verhalten ihrer Anhänger ergeben.

Die Frage der "Potentialität"

Die Partei muss aber als zweite Voraussetzung auch "darauf ausgehen", diese Ziele umzusetzen. Das heißt laut Karlsruher NPD-Urteil: Es muss ein planvolles aktives Handeln in diese Richtung geben. Und es müsse zudem Anhaltspunkte von Gewicht geben, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt. Dass also die Partei ihre Ziele auch praktisch umsetzen kann. Dieser Aspekt wird auch als "Potentialität" bezeichnet.

Dass eine Partei einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung hat, ist also keineswegs ein Argument gegen ein Parteiverbot. Im Gegenteil: Kleinstparteien ohne jede politische Wirkmacht können nicht "darauf ausgehen" und darum auch nicht verboten werden. Ihnen kann lediglich die Teil-Finanzierung mit öffentlichen Geldern gestrichen werden. So ist es der NPD ergangen. Die inhaltliche Verfassungswidrigkeit hatte Karlsruhe klar bestätigt, aber die Partei war schlicht zu unbedeutend für ein Verbot. Anfang dieses Jahres dann bestätigte Karlsruhe, dass die NPD von der staatlichen Teilfinanzierung ausgeschlossen werden dürfe.

Wichtige Vorstufe: Materialsammlung

Ein Verbotsantrag müsste, wenn er Erfolg haben soll, klare Belege für eine Verfassungswidrigkeit der jeweiligen Partei liefern. Der erste Schritt dazu: Eine Arbeitsgruppe aus Politikern und Juristen trägt mögliche Beweise zusammen und bewertet sie juristisch. Es kommt einerseits öffentlich zugängliches Material in Frage: Äußerungen der Politiker, Parteiprogramm oder auch das Verhalten der Abgeordneten in den Parlamenten.

Dabei gilt: Im politischen Meinungskampf darf es auch "hoch hergehen". Allerdings gibt es auch Grenzen: Sollte es einer Partei ausschließlich darum gehen, demokratische Institutionen verächtlich zu machen und in ihrer Arbeitsweise zu blockieren, könnte das unter Umständen ein Baustein in einer Beweissammlung sein. Daneben kommt dann auch Material in Betracht, das von den Verfassungsschutzbehörden auf Bundes- und Landesebene beigetragen wird.

In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen beobachtet der jeweilige Landesverfassungsschutz die betreffenden AfD-Landesverbände als "gesichert extremistische Bestrebung". Diese interne Einstufung ist gerade noch kein Parteiverbot. Aus ihr folgt nur, dass die Partei dort mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden kann. Auf daraus resultierende Beweise könnte dann bei einem Verbotsantrag zurückgegriffen werden. Es ist offen, ob diese im Fall eines möglichen Verbotsantrags gegen die AfD ausreichen würden, um eine inhaltliche Verfassungswidrigkeit zu belegen. An der zweiten notwendigen Voraussetzung, der "politische Wirkmacht", gäbe es hier aber sicherlich keine Zweifel. Das haben die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen nochmal belegt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 30. Juni 2024 um 09:30 Uhr.