Regierungserklärung zu Europa Ein Kanzler sucht die Mitte
In Scholz' Regierungserklärung zu Europa wird klar, wen er für den Chefaußenpolitiker hält: sich selbst. Der Kanzler versucht, ein paar aktuelle Risse der Koalition zu kitten. Doch die Probleme scheinen durch.
Die Zeiten scheinen wirklich vorbei, in denen Außenpolitik in Deutschland eher nur etwas für elitäre Debattenzirkel mit angegrauten Schläfen war - diese außen- und europapolitische Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz zeigt erneut: Durch Klimakrise, Migration und spätestens seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine und Scholz‘ "Zeitenwende"-Rede im vergangenen Jahr ist klar, dass auch diese Themen in der Mitte des Parlaments angekommen sind.
Mit Wucht auf der Weltbühne gelandet
Und auch wer der Chefaußenpolitiker der Ampelkoalition ist - nämlich Scholz selbst. Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock ist an diesem Tag im Parlament nur Zuhörerin auf der Kabinettsbank, zuweilen setzt sie ein Pokerface auf, scheint es. Etwa, wenn Scholz über die Chinapolitik spricht. Anlass ist der Europäische Rat in der kommenden Woche, zu dem die Regierungschefs der EU-Mitglieder zusammenkommen und alle außenpolitischen Fragen besprechen.
Der SPD-Politiker Scholz, der in der Ära Merkel Minister für Arbeit und Finanzen sowie Hamburger Bürgermeister war, ist spürbar mit Wucht auf der Weltbühne angekommen. Mit Stolz betont er neuerdings oft, auch heute, dass Deutschland bei ziviler und militärischer Hilfe nach den USA der zweitgrößte Unterstützer der Ukrainer sei - und ruft entgegen seiner leisen Art zu sprechen ziemlich laut und bestimmt ins Plenum: "Absolute Priorität" habe, die Kampfkraft der Ukraine zu stärken.
Ein Jahr verloren?
Sowohl die Europäische Union als auch das Nordatlantische Bündnis seien geeint und gestärkt aus den vergangenen Monaten hervorgegangen, sagt der Kanzler. "Dazu hat unsere entschlossene Reaktion auf die Zeitenwende ganz maßgeblich beigetragen", fährt Scholz fort. Da mag sich der eine oder die andere verwundert die Augen gerieben haben - denn Scholz klang nicht immer so. Vergessen sind offenbar die Zeiten, in denen er zögerte, zauderte und von FDP- und Grünen-Abgeordneten geradezu angefleht wurde, militärisches Gerät und Kampfpanzer schneller und früher zu liefern.
"Was die Zukunft angeht, hat der Kanzler Recht", sagt dazu die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann im Gespräch mit tagesschau.de. "Aber was die Vergangenheit angeht, haben wir wegen des Zauderns des Kanzleramts ein Jahr verloren" - etwa bei der spät begonnenen Ausbildung der ukrainischen Soldaten in Deutschland.
Darauf dürfte sich auch der doch ironische Spruch des grünen Abgeordneten Anton Hofreiter in der an Scholz anschließenden Plenumsdebatte beziehen: Eigentlich will der Vorsitzende des Europa-Ausschusses sich über die beiden aus seiner Sicht schwachen Reden der Union mokieren und frotzelt: "Im Vergleich dazu ist diese Bundesregierung ja wirklich super!" Und er sage das als einer, der durchaus zuweilen kritische Anmerkungen zur Regierungspolitik habe.
Spürbar schwer tun sich vor allem ampelintern an diesem Tag die grünen Fraktionschefinnen samt ihrer Fraktion bei Scholz Kapitel über die europäische Einigung zur Migration zu applaudieren. Hier sind die jüngsten Friktionen erkennbar: Am Wochenende gab es beim grünen Länderrat viel Kritik an der von ihrer Ministerin Baerbock mitgetragenen europäischen Einigung. Britta Haßelmannn sieht hier dringenden Änderungsbedarf: "Wir stehen in der Verantwortung, dass es zu Verbesserungen kommt!" Es sei ein untragbarer Zustand, dass 23 von 27 Mitgliedstaaten dafür gestimmt hatten, Kinder bei Asylverfahren in Lagern an den EU-Außengrenzen nicht auszunehmen.
Feuriger Dank und explizites Lob
Scholz hingegen versucht zu verbinden: Er wisse, "hier im Haus ist die Einigung nicht unumstritten" - und meint damit vor allem auch den Koalitionspartner. Alle hätten Kompromisse eingehen müssen - doch entscheidend sei die Einigung an sich bei dem jahrelangen "Spaltpilz"-Thema.
Mehr Applaus als von grüner Seite und geradezu feurigen Dank und unterstützende Worte erfährt der Kanzler von Seiten des FDP-Fraktionschefs Christian Dürr. Aber auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich stellt sich außenpolitisch an Scholz‘ Seite, lobt explizit dessen durchaus auch ampelintern umstrittene und von der Opposition kritisierte China-Reise des Kanzlers Anfang November vergangenen Jahres. Die Politik der Außenministerin erwähnt Mützenich nicht, ebenso wie ihren Namen: Da sind sie wieder, die feinen Risse der Koalition.
Alles in allem ergibt die Regierungserklärung und Debatte dazu ein realistisches Bild der Ampelkoalition - man ist sich nicht in allem einig, rauft sich aber zusammen. SPD und FDP sind sich heute ein klein wenig näher. Aber das letzte Wort hat ein SPD-Redner, der sich mit einer Bitte an Scholz und sein Kabinett wendet, sich beim Thema Flüchtlinge doch für eine gemeinsame Seenotrettung unter europäischem Dach einzusetzen.
"So kann vielleicht eine Koalition der Willigen entstehen", sagt Lars Castellucci. In diesem Moment ist auch eine Distanz zwischen SPD-Fraktion und SPD-Regierenden ähnlich der grünen Seite erkennbar. Leben und Würde jedes einzelnen Menschen seien schließlich das Fundament Europas, fährt er fort. Und dazu mag die grüne Fraktionschefin Haßelmann auch wieder klatschen.