Scholz-Auftritt in Brandenburg Wenn der Kanzler Puls hat
Bundeskanzler Scholz ist meist ein Leise-Redner. Nur in Ausnahmefällen wird er lauter - wie am Freitag in Falkensee. Die SPD wirbt nun mit dem "Klartext-Kanzler". Braucht es mehr davon?
Eigentlich ist der laute Ton nicht die Sache von Olaf Scholz. So fragt der Bundeskanzler am Wochenende bei einer Veranstaltung der Wochenzeitung "Die Zeit": "Könnten die das nicht alles ein bisschen leiser vortragen?" Gemeint sind die Partner in seiner Ampel-Regierung. Anlass ist der Heizungsstreit, also die andauernde Diskussion um die Wärmewende in Deutschland, bei der vor allem die Grünen und die FDP im Clinch miteinander liegen. Scholz ergänzt: "Ich denke oft, das ginge leiser."
Es geht auch leiser: Das könnte das Motto dieses Kanzlers ein. Scholz verhandelt lieber im Hintergrund - notfalls auch 30 Stunden im Koalitionsausschuss - als die Bühnenrampe zu beherrschen. Er steht für eine Reglosigkeit, die schon wieder für Aufregung sorgt.
"Liebe Schreihälse"
Scholz spricht oft so leise, dass er dann trotz Lautsprechern nur schwer verständlich ist. Eigentlich. Denn es gibt auch einen anderen Scholz - zuletzt am Freitag im brandenburgischen Falkensee bei einem "Europafest" der SPD.
Schon der Empfang war ruppig, Störer begrüßten ihn als Kriegstreiber, verlangten "Frieden schaffen ohne Waffen", riefen "Hau ab!" Da umfasste Scholz mit beiden Händen das Mikrofon und es war vorbei mit den leisen Tönen.
"Liebe Schreihälse", rief er den Kritikern entgegen, "Kriegstreiber ist Putin. Er ist mit 200.000 Soldaten in die Ukraine einmarschiert!" Und er habe unglaublich viele Bürgerinnen und Bürger, Kinder und Alte in der Ukraine getötet. "Das ist Mord, um es klar zu sagen."
Eine "laute Antwort"
"Ich weiß nicht, ob das ein Wutausbruch war", sagt heute der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner. Es sei eine "laute Antwort" auf laute Demonstranten gewesen. Der Bundeskanzler habe Klartext gesprochen und das sei sein gutes Recht.
Die SPD-Fraktion wirbt ebenfalls seit heute via Twitter mit diesem, wie sie es ebenfalls nennt, "Klartext-Kanzler". Vielleicht gerade deshalb, weil solche Momente bei den vielen stillen Auftritten des Kanzlers eher die Ausnahme sind.
"Alle haben immer ein bisschen Recht"
Dabei gäbe es reichlich Anlass für mehr Führungsstärke. Nicht den lautstarken, aber den meinungsstarken Kanzler vermisst mancher inmitten von Ampel-Streitigkeiten - ob Heizungsgesetz, Kindergrundsicherung oder Haushaltsplanung.
Doch Scholz lässt sich nicht aus der Deckung locken. Im Gegenteil. Auch bei der Veranstaltung der "Zeit" zeigt Scholz sich vollkommen unbeirrt. "Alle haben immer ein bisschen Recht", sagt er lediglich. Zur Sache nur so viel: Die Debatte beim Heizungsgesetz hinke der Entwicklung hinterher. Das in den Bundestag eingebrachte Gesetz sei schon viel weiter als das, worüber sich viele aufregten.
Ohne Manuskript, mit Emotion: Scholz im September vergangenen Jahres im Bundestag
Merz bringt den Manuskript-Mann in Wallung
Auch auf der Bühne des Bundestages ist Scholz meist der Leise-Redner, der Manuskript-Mann. Mehr Emotion gibt es nur dann, wenn der Kanzler die vorbereitete Rede beiseite legt.
Auslöser dafür ist gerne Oppositions- und CDU-Chef Friedrich Merz. Vergangenen Herbst bescheinigte ihm Scholz deutlich aufgewühlter: Es sei gut, dass die Union nun in der Opposition sei. "Damit wir wettbewerbsfähig bleiben, und uns nicht mehr vor den Problemen dieses Landes drücken", so der Bundeskanzler.
Der frühere SPD-Außenminister Sigmar Gabriel hat einmal über Merz gesagt, er habe es geschafft, dass Scholz Emotionen zeige. Und: "Dazu gehört schon einiges."
Nicht den lauten Maxe machen
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert verteidigt Scholz' Kurs. Es sei "Pseudo-Stärke", wenn ein Regierungschef die ganze Zeit auf den Tisch hauen müsse - "nur um zu zeigen, was er für ein toller Hengst ist". Moderne Führung bedeute gerade nicht, der "lauteste Maxe" zu sein.
Kühnert verweist als Beleg auf Boris Johnson in Großbritannien. Sein lautstarker Führungsstil habe weder ihm noch dem Land genutzt.
Wo bleibt die Richtungsvorgabe?
Und dennoch: Nur noch jeder Fünfte ist laut dem jüngsten ARD-DeutschlandTrend mit der Arbeit der Regierung zufrieden, die AfD klettert auf 18 Prozent und liegt damit gleichauf mit der Kanzlerpartei. Was braucht es noch, um den überstrapazierten Scholz-Satz aus Hamburger Zeiten Wirklichkeit werden zu lassen: "Wer Führung bestellt, der kriegt sie auch"?
Zwar dürfte Scholz aus seiner Sicht führen - eben auf die leise Art. Doch Fakt ist auch, dass das in der ganz großen Mehrheit der Bevölkerung keinen Widerhall findet. Ebenfalls laut ARD-DeutschlandTrend sind aktuell 84 Prozent der Deutschen der Meinung, Scholz müsste die Richtung in der Bundesregierung klarer vorgeben.