Wolodymyr Selenskyj und Olaf Scholz
analyse

Selenskyj bei Scholz Ein Milliardenpaket und ein unerfüllter Wunsch

Stand: 11.10.2024 16:33 Uhr

Der ukrainische Präsident hat in Berlin für weitere Unterstützung der Ukraine geworben - auch militärische. Kanzler Scholz sagte weitere Hilfen zu. Ein großer Wunsch blieb jedoch unerfüllt.

Von Nicole Kohnert, ARD-Hauptstadtstudio

Es ist eine nüchterne Begrüßung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Berlin. Keine Umarmung wie in Paris beim französischen Präsidenten Emmanuel Macron ein Tag zuvor. Ein Händedruck, ein Lächeln des Kanzlers Olaf Scholz.

Es ist mittlerweile Selenskyjs zweiter Besuch in Berlin innerhalb weniger Wochen, das vierte Treffen insgesamt. Das Verhältnis zu Kanzler Scholz ist nicht frei von Spannungen, auch wenn die beiden es immer wieder als eine freundschaftliche Beziehung verkaufen. Eine Freundschaft zwischen dem "lieben Olaf" und dem "lieben Wolodymyr". Der Sinn für Humor ist in dieser Beziehung auch durchaus unterschiedlich. 

Vorbereitung auf einen Trump-Sieg

Beim ersten Besuch in Berlin vor einem Jahr versuchte es Selenskyj mit Humor. Er betonte, Deutschland sei mittlerweile der zweitgrößte Unterstützer nach den USA. "Wir werden daran arbeiten, dass wir Deutschland auf den ersten Platz hinsichtlich der Unterstützung bringen", sagte er und erntete damit Schmunzler.

Doch was wie ein Scherz gegenüber Scholz klang, ist durchaus eine ernste Sorge der Ukraine. Was, wenn die USA als größter Unterstützer ausfallen nach den US-Wahlen? Ein geplantes Treffen mit US-Präsident Joe Biden musste wegen des Hurrikans "Milton" in den USA in dieser Woche ausfallen, ein geplantes Unterstützer-Treffen im US-Stützpunkt Rammstein damit auch. Jetzt heißt es also für Selenskyj, bei den europäischen Staaten für militärische Unterstützung erstmal einzeln werben.

Kein Sinneswandel bei Scholz zu erwarten

Seit Tagen tourt Selenskyj dafür durch Europa, fordert von den westlichen Verbündeten die Erlaubnis, weitreichende Waffen gegen Ziele auf russisches Territorium einsetzen zu dürfen. Im Gegensatz zu den USA, Großbritannien oder auch Frankreich hat Deutschland solche Waffen erst gar nicht geliefert.

Geht es um den Marschflugkörper "Taurus" mit einer Reichweite von 500 Kilometern ist klar, dass Scholz diesen nicht bereitstellen will, weil er befürchtet, dass Deutschland und die NATO dann in den Krieg hineingezogen werden könnten. Scholz möchte der "Friedenskanzler" sein, Deutschland beschützen, keine unüberlegten schnellen Entscheidungen treffen. Das betont er immer wieder. Einen Sinneswandel ist auch nicht zu erwarten.

Finanzielle Unterstützung für die Ukraine

Ganz mit leeren Händen begrüßt Scholz seinen Freund Selenskyj allerdings am Nachmittag nicht. 170 Millionen Euro, um schnell die schlimmsten Schäden zu reparieren, stellt der Kanzler in Aussicht. Bis Jahresende weitere militärische Unterstützung in Wert von 1,4 Milliarden Euro, unter anderem für weitere Luftverteidigungssysteme, Kampfdrohnen und Munition. Das Paket solle bis zum Jahresende zusammen mit Belgien, Norwegen und Dänemark geliefert werden.

Schon Mitte September wurde bekannt, dass die Bundesregierung trotz knapper Haushaltskasse noch plant, zusätzliche Projekte für die Ukraine in Höhe von 1,4 Milliarden Euro umzusetzen. Eine überplanmäßige Ausgabe von 400 Millionen Euro wurde dafür beim Haushaltsausschuss schon beantragt, eine Umschichtung im Verteidigungsetat. Auch, wenn der Haushalt für kommendes Jahr noch nicht vom Parlament beschlossen ist, hat der Kanzler weitere Hilfen für 2025 in Höhe von vier Milliarden dem ukrainischen Präsidenten ebenfalls zugesagt.

Die Botschaft des Kanzlers soll damit sein: Auch im kommenden Jahr werden die Hilfen und die Solidarität mit der Ukraine nicht aufhören - auch wenn gerade der Nahost-Konflikt vieles überschattet.

Matthias Deiß, ARD Berlin, zum Besuch des ukrainischen Präsidenten Selenskyj bei Kanzler Scholz

tagesschau24, 11.10.2024 15:00 Uhr

Das war für den ukrainischen Präsidenten ein wichtiges Zeichen und sein Land hat damit heute Aufmerksamkeit bekommen. Allerdings waren Nachfragen bei diesem Statement im Kanzleramt am Nachmittag nicht erlaubt und damit bleibt die Frage offen, wie Kanzler Scholz denn in Zukunft auf Selenskyjs Forderung reagiert, mehr weitreichende Waffen zur Verfügung zu stellen.

"Wir werden Frieden erzwingen können"

Denn im Raum steht auch, wie der ukrainische Präsident seinen "Siegesplan" gegen Russland einsetzen will - mit welchen militärischen Druckmitteln? Mit welchen Wirtschaftssanktionen?

Ursprünglich wollte Selenskyj seinen "Siegesplan" auch Präsident Biden beim geplanten Deutschland-Besuch vorstellen. Er möchte damit Russland militärisch dazu zwingen, Friedensverhandlungen einzugehen und den Krieg zu beenden, soweit ist sein Plan bekannt. Jetzt redet Selenskyj mit jedem europäischen Verbündeten im Vier-Augen-Gespräch dazu, wirbt dafür, ihn noch mehr militärisch zu unterstützen.

Die Not ist groß, die Zeit drängt, der harte Winter steht vor der Tür, die Erschöpfung ist ihm anzumerken. "Wir werden Frieden erzwingen können", sagt Selenskyj im Kanzleramt. Ziel müsse es auch sein, zu einem gerechten Frieden zu kommen, betont er. Doch wie schnell dieser gerechte Frieden kommen könnte - und vor allem wie sehr sich Kanzler Scholz noch bewegen wird, das blieb heute offen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 11. Oktober 2024 um 16:00 Uhr.