Scholz besucht Stadt Konsequenzen aus Solingen-Anschlag gefordert
Nach dem Anschlag von Solingen mit drei Toten fordern Politiker von CDU und FDP Konsequenzen - vor allem in der Asylpolitik. Kanzler Scholz und NRW-Ministerpräsident Wüst werden am Vormittag in Solingen erwartet.
Nach dem Messeranschlag mit drei Toten und acht Verletzten werden Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der nordrhhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) am Vormittag in Solingen erwartet. Sie wollen der Opfer gedenken und sich mit Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) austauschen.
Wüst verlangte am Sonntagabend im heute journal des ZDF eine neue Lageeinschätzung des Auswärtigen Amts, um besser nach Syrien abschieben zu können. Er forderte im WDR auch eine Aufarbeitung innerhalb der Behörden: "Da gibt es eine Menge Fragen. Es sind auch eine Menge Behörden involviert. Das muss aufgeklärt werden, und da muss Klartext gesprochen werden, wenn da etwas schiefgelaufen ist."
Mutmaßlicher Täter in Untersuchungshaft
Der Tatverdächtige ist ein junger Mann aus Syrien. Er hatte sich am Samstagabend gestellt und sitzt inzwischen in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm auch vor, sich der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) angeschlossen zu haben.
Der IS reklamierte die Tat für sich und veröffentlichte ein Video, das den mutmaßlichen Täter zeigen soll. Wann das Video aufgenommen wurde und ob es sich beim darin gezeigten vermummten Mann um den Verdächtigen Issa Al H. handelt, ist noch unklar. Der Mann nennt sich in dem Video Samarkand A. - möglicherweise ein Kampfname. Seine Attacke sei eine Vergeltung für die Tötung von Muslimen in Syrien, im Irak und in Bosnien und ein Racheakt für die "Menschen in Palästina", die Massaker mit Unterstützung von "Zionisten" erleiden müssten.
Merz: "Naive Einwanderungspolitik"
Nach dem Messeranschlag fordern Politikerinnen und Politiker einen härteren Kurs in der Asylpolitik. Die Debatte findet vor dem Hintergrund der beiden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen am Sonntag statt.
"Es reicht", sagte CDU-Chef Friedrich Merz im ARD-Brennpunkt an Scholz und dessen Ampelregierung gerichtet, der er indirekt eine "naive Einwanderungspolitik" vorwarf. Neben der Forderung nach Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan erneuerte Merz auch seine Forderung nach einem Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus diesen Ländern - ohne jedoch zu erklären, wie das rechtlich umsetzbar wäre.
Seine zugespitzten Formulierungen, die er zuvor bereits in in seinem E-Mail-Newsletter gemacht hatte, seien "richtig und notwendig", sagte er im Brennpunkt auf die Frage ob solche Formulierungen vor Landtagswahlen, bei denen Extremisten historische Ergebnisse einfahren könnten, klug und richtig seien. "Jetzt ist der Punkt erreicht, wo gehandelt werden muss und nicht weiter ritualhafte Reden gehalten werden müssen", so Merz. Mit den Landtagswahlen hätten seine Äußerungen nichts zu tun.
"Zeitlich unbegrenzte Abschiebegewahrsam"
Weiter forderte der CDU-Vorsitzende dauerhafte Kontrollen und konsequente Zurückweisungen an den deutschen Grenzen sowie die Beachtung der sogenannten Dublin-Regeln. Diesen zufolge ist in der Regel jener EU-Staat für einen Asylantrag zuständig, wo der Schutzsuchende zuerst europäischen Boden betreten hat. Merz will zudem das Aufenthaltsrecht ändern und "jeden ausreisepflichtigen Straftäter in zeitlich unbegrenzten Abschiebegewahrsam" nehmen.
Der tatverdächtige Syrer hätte nach Bulgarien abgeschoben werden sollen, er tauchte jedoch eine Zeit lang unter, so dass die Abschiebung scheiterte. Für die Rückführungen sind die Bundesländer zuständig. Als Straftäter war der Mann vor Freitag nicht in Erscheinung getreten. Merz räumte ein, dass mit seinen Vorschlägen die Tat von Solingen vermutlich kaum hätte verhindert werden können. "Lösen wir es bitte von diesem Einzelfall", so Merz. "Wir haben Leute hier in Deutschland, die wir nicht haben wollen. Und wir müssen dafür sorgen, dass nicht noch mehr kommen."
Kühnert weist Forderungen von Merz zurück
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert wies Merz' Forderung nach einem generellen Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan als Folge des Anschlags von Solingen zurück. Viele seiner Vorschläge gingen nicht, weil das Grundgesetz ihnen entgegenstehe, sagte er im ARD-Morgenmagazin. Das gelte zum Beispiel für das individuelle Recht auf Asyl.
Die Antwort kann doch nicht sein, dass wir Menschen, die selber vor Islamisten fliehen, weil sie von denen für ihre Lebensweise verfolgt werden, jetzt die Tür vor der Nase zuschlagen.
Man müsse sich jetzt anschauen, warum die Rückführung des mutmaßlichen Täters nach Bulgarien nicht geklappt habe. Bulgarien sei nach allem, was man wisse, bereit gewesen, ihn zurückzunehmen. "Zuständig sind für Abschiebungen in Deutschland die Länder, das wäre in diesem Fall Nordrhein-Westfalen gewesen." NRW müsse jetzt die Fakten auf den Tisch legen, warum nicht gehandelt worden sei.
Versäumnisse bei Bund und Ländern
Auch der FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle kritisierte Versäumnisse bei Bund und Ländern. Er sagte der Rheinischen Post zur gescheiterten Abschiebung: "Zwischen Bund und Ländern darf nach Solingen in dieser Frage kein Stein auf dem anderen bleiben." Wer keinen Schutzgrund geltend machen könne, müsse Deutschland umgehend wieder verlassen.
AfD-Chefin Alice Weidel schrieb auf der Plattform X, das Problem müsse "an den Wurzeln gepackt werden". Nötig sei eine "Migrationswende sofort".
Scholz und die SPD für Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan
Scholz hatte bereits im Juni nach dem tödlichen Messerangriff von Mannheim angekündigt, die Abschiebung von Schwerstkriminellen und terroristischen Gefährdern nach Afghanistan und Syrien wieder zu ermöglichen. Die Grünen hatten sich hier skeptisch gezeigt.
Jetzt stellte Vizekanzler und Grünen-Politiker Robert Habeck klar: "Für Mörder, Terroristen und Islamisten kann es keine Toleranz geben." Handle es sich etwa um Asylsuchende, hätten diese damit in Deutschland "den Schutzanspruch verloren".
SPD-Chefin Saskia Esken bekräftigte die SPD-Position in dieser Frage: "Was jetzt erfolgen muss, ist die konsequente Abschiebung von Straftätern und islamistischen Gefährdern auch nach Syrien und Afghanistan", sagte sie der Rheinischen Post. Fraktionsvize Dirk Wiese lehnte jedoch Merz' Forderung ab, generell keine Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan mehr aufzunehmen. Viele seien gerade vor dem IS zum Beispiel aus Syrien geflohen, sagte der SPD-Innenpolitiker dem Tagesspiegel.
Mehr Befugnisse für Sicherheitsbehörden?
In der politischen Debatte um die richtigen Konsequenzen nach Solingen ging es schnell auch um die Befugnisse der Sicherheitsbehörden. Es werde intensiv darüber beraten, sagte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Auch der Bundespräsident schaltete sich ein. Zu einem besseren Schutz vor Angriffen "gehört auch, dass die Sicherheitsbehörden mit den notwendigen Befugnissen ausgestattet werden", sagte Frank-Walter Steinmeier im ZDF-Sommerinterview. Dass sich der Bundespräsident in eine innenpolitische Debatte so deutlich einbringt, ist eher selten.
CSU-Chef Markus Söder plädierte für anlasslose Kontrollen auch in Fußgängerzonen. "Beim Auto werden Sie nämlich kontrolliert, anlasslos geht das. Bei Fußgängerzonen nicht", sagte Söder im ARD-Sommerinterview. Wir müssen der Polizei mehr Möglichkeiten geben, Kontrollen durchzuführen", verlangte er.