Häuser im Kölner Stadtteil Chorweiler
Analyse

SPD und Linkspartei Warum die Schwächsten nicht mehr links wählen

Stand: 24.05.2022 16:25 Uhr

Für viele Menschen wird das Geld knapp. Doch bei linkeren Parteien fühlen sie sich offenbar immer seltener aufgehoben. Warum SPD und Linke derzeit bei diesen Wählerinnen und Wählern kaum punkten können.

Eine Analyse von Corinna Emundts, ARD-aktuell

Man sollte meinen, die steigenden Energie- und Lebensmittelpreise trieben die Betroffenen auch an die Wahlurnen. Doch das Gegenteil ist der Fall.

Beispiel Köln-Chorweiler, ein als sozialer Brennpunkt bekanntes Hochhausviertel: Nur etwa jeder Fünfte ging dort zur Wahl, die Wahlbeteiligung lag in diesem Stadtteil bei 21,9 Prozent. Auch in der gesamten Stadt Köln - bessere Wohngegenden und Villenviertel mit eingerechnet-, blieben etwa 310.000 Wahlberechtigte der jüngsten Landtagswahl fern.

Das Land Nordrhein-Westfalen zählte 55,5 Prozent Wahlbeteiligung, ein historischer Tiefstand. Zugleich wächst die soziale Ungleichheit in Deutschland stetig. Die steigende Inflationsrate wird dies noch befeuern.

Doch gerade jene Parteien, die sich selbst ein deutlich soziales Profil geben, verloren bei den beiden vergangenen Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen scharenweise Wählerinnen und Wähler. Dabei nehmen SPD und Linkspartei eigentlich für sich in Anspruch, sich besonders um Belange sozial Benachteiligter zu kümmern.

Klar ist, dass Bundestrends auch das regionale Wahlverhalten bei Landtagswahlen beeinflussen. Was war passiert?

Nur ein Kommunikationsproblem?

SPD-Parteichef Lars Klingbeil tat es als reines Kommunikationsproblem ab: Man habe zugelassen, dass zu viel über Waffenlieferungen und zu wenig über gestiegene Lebenshaltungskosten und Energiepreise gesprochen wurde. Es seien ja Entlastungspakete geschnürt worden.

Also eigentlich sei alles gut, nur müsse man besser darüber reden - das sei die Lehre. Der Politologe Frank Decker sieht hier auch ein inhaltliches Problem des fehlenden Politikangebots für bestimmte Wählergruppen. Rentnerinnen und Rentner etwa seien bei den Maßnahmen nicht eingebunden worden, auch die Studierenden nicht: "Diese Politik empfinden Menschen als sozial ungerecht - dass die Politik das nicht erkennt, kann ich nicht nachvollziehen."

"Nicht die richtige Ansprache gefunden"

Da helfe auch nicht, dass die SPD bei der Bundestagswahl noch vom Wahlversprechen eines stark erhöhten Mindestlohns profitierte und sogar in der Wählerschaft der Linkspartei punktete - diese Menschen wendeten sich schon wieder enttäuscht ab. Durch den Ukraine-Krieg mit seinen massiven sozialen Folgen hierzulande habe "die SPD auf Landes- und Bundesebene nicht die richtige Ansprache gefunden".

Ein Warnschuss allemal, garniert mit deutlichen Symptomen sich verschlechternder Lebensverhältnisse - nicht nur unter dem neuen Hashtag #IchBinArmutsbetroffen in sozialen Netzwerken zu lesen. Auch die bundesweit agierenden gemeinnützigen Tafel-Angebote, die  überschüssige Lebensmittel einsammeln und an Armutsbetroffene verteilen, können laut ihres Bundesverbands seit Kriegsbeginn die ständig steigende Nachfrage kaum mehr bewältigen. Nicht nur wegen der Ukraine-Flüchtlinge, sondern auch wegen der wachsenden Geldnot ärmerer Menschen.

Politologe: Ansprache an sozial Schwächere fehlte

"Für diese Gruppe hätte man in den vergangenen Wochen eine stärkere Ansprache finden müssen, da ist nichts passiert", so Politologe Decker im Gespräch mit tagesschau.de. Wer sich nicht vertreten und abgehängt fühle, gehe dann auch oft nicht mehr zur Wahl. Ein Teufelskreis setze ein: In den Problemvierteln werde auch weniger Wahlkampf gemacht, oft fehlten schlichtweg auch die Infos.

Besonders betroffen davon ist auch die Linkspartei. Sie hat gleich zwei volatile Wählergruppen: Zum einen die prekär Beschäftigten und Armutsbetroffenen, die häufig nicht mehr zur Wahl gehen, zum anderen ein urbaneres, besser gebildetes Publikum, das seine Stimme ungern an eine Partei mit derzeit stetig voranschreitenden Bedeutungsverlust verschenke. Ursachen hat dieser viele: Die Partei leistet sich bereits seit längerer Zeit interne Grabenkämpfe, tritt nach außen hin oft mit widersprüchlichen Inhalten auf und zusätzlich auch noch mit einzelnen Putin-freundlicheren Positionen - eine geradezu toxische Mischung.

Ungeklärter Richtungsstreit

Zudem kritisieren politische Beobachter wie auch Linkspartei-Strategen selbst, dass ein ungeklärter Richtungsstreit schadet und dringend geklärt werden muss: Während etwa die Vorsitzende Janine Wissler auch intern den Eindruck macht, die bessere Klimaschutz-Partei im Vergleich zu den Grünen sein zu wollen - warnen andere, man dürfe die eigene Klientel auch nicht überfordern, etwa mit dem Wahlziel, Autos möglichst zu verdrängen.

"Wir müssen es hinkriegen, die Menschen davon zu überzeugen, dass wir für sozialen Ausgleich stehen - auch in der Klimapolitik. Das ist unsere Aufgabe", sagt Amira Mohamed Ali, Fraktionschefin der Linkspartei im Bundestag, im Gespräch mit tagesschau.de. Es sind zwei sich reibende Lager, die jeweils die soziale oder eben die ökologische Frage stärker betonen. Das eine Lager findet den Kurs falsch, mit den Grünen um Wählerstimmen zu buhlen. Vor diesem Hintergrund ist vermutlich auch die gerade bekannt gewordenen Kandidatur von Martin Schirdewan zu sehen, der die Partei in der sozial-ökologischen Frage einen will - und nach außen hin als Partei mit einer Stimme sprechen will.

Ausgetragen werden diese Debatten sicher auf dem anstehenden Parteitag Ende Juni. Es geht um viel, das wissen die Beteiligten: Ob die Partei mittelfristig überlebt oder vollends untergeht. Politologe Decker sieht für die Linkspartei eher keine Zukunft mehr im Parteiensystem, weil sie verzichtbar sei: Sie werde vermutlich im Westen in der SPD aufgehen - und im Osten habe sie ihre Rolle als Protestpartei bereits an die AfD abgegeben.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 24. Mai 2022 um 10:00 Uhr.