Bettina Stark-Watzinger
analyse

Wissenschaftsfreiheit an Hochschulen Stark-Watzinger weiter unter Druck

Stand: 19.06.2024 16:57 Uhr

Die Kritik an Bildungsministerin Stark-Watzinger reißt nicht ab. In ihrem Ministerium sollen Konsequenzen für Hochschulprofessoren geprüft worden sein, die sich für das Recht auf Protest stark gemacht hatten.

Eine Analyse von Kilian Pfeffer und Iris Sayram, ARD-Hauptstadtstudio

Auf dem Gelände der Freien Universität in Berlin sind die Spuren des propalästinensischen Protests aus dem Mai bereits verschwunden. Rund 150 Demonstrierende hatten ähnlich wie in den USA mit kleinen Zelten auf einer Rasenfläche eine Art Protest-Camp errichtet.

Doch die Aktion wirkt nach - bis hinein ins Berliner Regierungsviertel, wo sich Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger Anfang der Woche harten Fragen stellen musste. Etwa nach ihrem Rücktritt. "Dazu sehe ich keine Veranlassung", antwortete die FDP-Politikerin.

Immer wieder musste sie auf ihren Sprechzettel gucken, wiederholte häufig dieselben Antworten: "Ich wollte diese Prüfung nicht und ich habe sie nicht veranlasst." Alles sei auf ihre Staatssekretärin Sabine Döring zurückzuführen, die Stark-Watzinger in den einstweiligen Ruhestand versetzt hatte.

Zweifel an der Darstellung der Ministerin

Ungeklärt ist bislang, ob Stark-Watzinger wirklich nicht gewusst hat, dass ihr Haus um "eine förderrechtliche Bewertung" gebeten hat, "inwieweit vonseiten des BMBF gegebenenfalls förderrechtliche Konsequenzen (Widerruf der Förderung etc.)" aus der Unterzeichnung des Briefs folgen könnten.

Konsequenzen für all jene Professoren, die sich in einem offenen Brief hinter die Demonstranten gestellt hatten und die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Meinungs- und Versammlungsfreiheit anmahnten - ohne sich aber mit den Forderungen der Protestierenden gemein zu machen. Mehr als eintausend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten diesen Brief unterzeichnet.

Recht auf Meinungsfreiheit verteidigen

Eine von ihnen ist Anna Katharina Mangold, Verfassungsexpertin und Professorin an der Europa-Universität Flensburg. "Man muss in einer liberalen Demokratie das Recht auf Meinungsfreiheit verteidigen, auch wenn man diese Meinung selbst nicht teilt", so Mangold. Wer wegen seiner verfassungsrechtlich zulässigen Meinung fürchten müsse, die Förderung für seine Forschung zu verlieren, werde erheblich in der verfassungsrechtlich garantierten Wissenschaftsfreiheit bedroht.

"Stellen Sie sich vor, Sie forschen im Bereich der Krebsmedizin und Ihnen soll die Förderung entzogen werden, weil sie eine Meinung geäußert haben, die politisch nicht gewollt ist", erklärt Mangold die Aufregung. "Entweder hat die Ministerin es in Auftrag gegeben, oder sie hat die Vorgänge in ihrem Ministerium nicht im Griff. Beides ist nicht gut", so Mangold.

Wissenschaft in Aufruhr

Die Wissenschaft, so viel lässt sich sicher sagen, ist in Aufruhr. Einen weiteren offenen Brief, eine "offene Stellungnahme zum Vorgehen der Bundesbildungsministerin" aus der vergangenen Woche haben inzwischen mehr als dreitausend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterzeichnet.

Darin heißt es unter anderem: "Politisch eine Überprüfung der Empfänger:innen von Forschungsgeldern auch nur anzustoßen, verrät eine Auffassung von Wissenschaft und Wissenschaftsförderung, die mit der Leitung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung nicht vereinbar ist." Das klingt nach Vertrauensverlust.

FDP-Parteichef Christian Lindner will das nicht so sehen und stärkt seiner Ministerin den Rücken. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte Lindner heute Morgen, von einer leitenden Beamtin habe es eine Fragestellung gegeben, die mit den Gedanken der Wissenschaftsfreiheit nicht vereinbar sei.

Die Frage ist allerdings, ob die Sache mit der Trennung von Sabine Döring geklärt ist. Es sieht nicht danach aus.

"Aufklärung ist laufender Prozess"

Detaillierte Fragen wollte die Bundesbildungsministerin am Montag jedenfalls nicht beantworten, sondern sagte recht schmallippig, dass die Aufarbeitung ein "laufender Prozess" sei. Wäre es dann nicht sinnvoll gewesen, erst das Ergebnis der "gründlichen Aufarbeitung" abzuwarten, bevor man Staatssekretärin Döring feuert, auch wenn diese die Verantwortung für ein "Missverständnis" rund um die Mail mit den problematischen Prüfaufträgen übernommen hat?

Die Trennung, bekanntgegeben am späten Sonntagabend durch eine Pressemitteilung aus dem Ministerium, wirkte mindestens kurios. Karin Prien, Kultusministerin aus Schleswig-Holstein, sprach auf der Plattform X gar von einer "nächtlichen Posse" und einem "Bauernopfer."

 

Döring war Schlüsselperson

Jenseits aller Fragen der Verantwortung für die problematische E-Mail hat Sabine Döring im Bildungsministerium eine wichtige Rolle gespielt. Sie war zum Beispiel entscheidend involviert bei den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern zum Startchancenprogramm, einer milliardenschweren Hilfe für sozial benachteiligte Schüler. Es hat schon eine etwas ironische Komponente, dass ausgerechnet das Startchancenprogramm der größte politische Erfolg der Bundesbildungsministerin ist.

Bei einem anderen Prestigeprojekt hakt es dagegen gewaltig - dem Digitalpakt 2.0, der Nachfolgevereinbarung für den 2019 gestarteten Digitalpakt 1.0, mit dem die Digitalisierung an den Schulen vorangetrieben wurde. Seit Wochen streiten sich Bund und Länder um die Finanzierung. Der Bund will die Ausgaben hälftig aufteilen, die Länder halten eine solche finanzielle Belastung für viel zu hoch.

Sabine Döring war Ansprechpartnerin für die Länder. In der Kultusministerkonferenz fragt man sich nun, wer ihr wohl wann nachfolgt, und ob man nicht weiter wertvolle Zeit verliert. Das Verhältnis der Kultusministerinnen und -minister zu Stark-Watzinger ist jedenfalls schwierig.

Kommende Woche wieder im Rampenlicht

Wenn Politikerinnen und Politiker eine politische Affäre überstehen wollen, unter Druck stehen, ist es besonders wichtig, dass sie souverän auftreten. Welche Entscheidungen treffen sie? Welchen Eindruck hinterlassen ihre Auftritte? Wie reagieren sie auf Fragen?

Spätestens am kommenden Mittwoch steht die Bundesbildungsministerin wieder im Rampenlicht und muss sich unangenehmen Fragen stellen. Zuerst im Bundestagsausschuss für Bildung und Forschung - und dann im Plenum bei der Regierungsbefragung.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 18. Juni 2024 um 12:10 Uhr.