Bettina Stark-Watzinger

Stark-Watzinger in Neubrandenburg Im Schatten der Fördergeldaffäre

Stand: 19.07.2024 06:32 Uhr

In Berlin prasselt die Kritik auf Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger ein. Aber in Neubrandenburg wird sie freundlich empfangen, als sie eine Schule besucht, die für das "Startchancenprogramm" ausgewählt wurde.

Von Kilian Pfeffer, ARD-Hauptstadtstudio

Ganz am Ende kommen ein paar Jungs der "Schule am Lindetal" auf Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger zu und wollen ein Foto mit ihr. Sie können sich kaum einigen, wer zuerst neben ihr stehen darf. "Ok, der Reihe nach, das kriegen wir doch hin", versucht die FDP-Politikerin zu beruhigen. Die Hände in den Taschen posiert sie nacheinander mit den Schülern, die ihre Daumen hochhalten und lässig in die Kamera grinsen.

"Ich finde, Kinder sind immer super, die haben immer so einen Mut", sagt sie später. Wahrscheinlich ist Stark-Watzinger bei diesem Termin so entspannt wie selten in diesen Wochen. Berlin fühlt sich ziemlich weit weg an von Neubrandenburg - und damit auch die "Fördergeldaffäre", die Stark-Watzinger heftige Kritik, öffentliche Befragungen und Rücktrittsforderungen eingebracht hat.

Stark-Watzingers größter politischer Erfolg

Gemeinsam mit Bildungsministerin Simone Oldenburg aus Mecklenburg-Vorpommern überreicht sie heute die Plakette "Start Chancen Schule", denn die regionale "Schule am Lindetal" wurde ausgewählt für das Programm - als eine von 70 Schulen im Bundesland und 2.125 Schulen deutschlandweit, die zum 1. August 2024 an den Start gehen. Bis zum Schuljahr 2026/27 soll es in Deutschland rund 4.000 Startchancen-Schulen geben. 

Das Programm ist Stark-Watzingers größter politischer Erfolg. Gemeinsam mit den Ländern fördert das Bildungsministerium die ausgewählten Schulen über einen Zeitraum von zehn Jahren mit insgesamt zwanzig Milliarden Euro. Es sind Schulen, deren Schüler mit besonderen Herausforderungen zu kämpfen haben, Armut oder Fluchterfahrungen etwa.

In dieser Situation klingt Stark-Watzinger im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio so, wie sie in letzter Zeit nicht oft klang: locker. "Also es macht unheimlich Freude, weil man sieht die Motivation, die vor Ort da ist", so die Ministerin. "Dass wir vieles möglich machen, was Freiräume eröffnet."

Ironischerweise ist für diesen großen Erfolg entscheidend auch Sabine Döring verantwortlich, Staatssekretärin a.D., die beim Startchancenprogramm Verhandlungspartnerin der Länder war und im Zuge der Fördergeldaffäre gefeuert wurde.

Fördergeldaffäre längst nicht vorbei

Doch auch wenn die Fördergeldaffäre bei diesem Termin in den Hintergrund rückt - vorbei ist sie noch lange nicht. Erst in der vergangenen Woche hat die Unionsfraktion im Bundestag im Rahmen einer kleinen Anfrage 100 Fragen an Stark-Watzinger gestellt, etliche davon zur Entlassung Dörings. In der kommenden Woche sollen die Antworten vorliegen.

Döring selbst hat einen gerichtlichen Eilantrag zur Aufhebung ihrer Verschwiegenheitspflicht gestellt, um sich öffentlich zu ihrer Entlassung äußern zu können, der Antrag liegt inzwischen beim Verwaltungsgericht Minden. Das Gericht hat das Bundesbildungsministerium aufgefordert, bis zum 21. Juli eine Erwiderung auf den Antrag zu übersenden. Döring hat außerdem Akteneinsicht beantragt, wie das Gericht mitgeteilt hat.

Kritik an Dörings Nachfolger Philippi

Ein weiterer Kritikpunkt: Gestern hat das Regierungskabinett der Ernennung von Dörings Nachfolger zugestimmt - Ministerialdirektor Roland Philippi, dem bisherigen Leiter der Grundsatzabteilung im Bildungsministerium. Das Problem: Wie der Spiegel berichtet hat, soll Philippi in einem internen Chat über den Messenger "Wire" kritische Wissenschaftler als "verwirrte Gestalten" bezeichnet haben.

Außerdem soll Philippi geschrieben haben, er habe nichts gegen "eine Art informelle, 'freiwillige' und selbst auferlegte Antisemitismusklausel für unsere Förderung." Das erweckt den Eindruck, als nehme es Philippi mit der Wissenschaftsfreiheit nicht so genau.

Prompt postete Tobias Rosefeldt, Professor für klassische deutsche Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin, gestern auf der Plattform X: "Jemand, der die Kürzung der Mittel für führende Akademiker fordert, die sich für Meinungsfreiheit einsetzen, wird dafür von der deutschen Regierung bezahlt? @Bundeskanzler, was ist das?"

Aufklärung und Transparenz?

Und gestern wiederum teilte das Bildungsministerium dem Informationsportal "Frag den Staat" in einem Brief mit, dass es die Chatnachrichten, die sich die Mitglieder der Leitungsebene des Bundesbildungsministeriums Anfang bis Mitte Mai geschrieben haben, nicht freigeben wolle. Diese Chatnachrichten, so das Ministerium, dienten "der informellen, persönlichen Kommunikation und werden in der Regel nicht ausgedruckt und zur Akte genommen, sondern bilden - wie Telefonate - lediglich den Anlass für eine Aufzeichnung."

"Es ist klar, dass wir aufklären, und dass wir Transparenz herstellen wollen, das ist ganz wichtig, es geht um die Wissenschaft in unserem Land", sagt Stark-Watzinger dem ARD-Hauptstadtstudio in Neubrandenburg. Wie passt das zusammen?

Union reißt Geduldsfaden

Der Unionsfraktion im Bundestag scheint nun allmählich der Geduldsfaden zu reißen. Ihr bildungspolitischer Sprecher Thomas Jarzombek wird von dem Wissenschaftsjournalisten Jan-Martin Wiarda so zitiert: "Die Koalitionspartner von Frau Stark-Watzinger müssen sich die Frage stellen, wie lange sie dem Treiben der Ministerin noch tatenlos zuschauen wollen. Ich fordere die SPD und die Grünen auf, Frau Professor Döring jetzt endlich zur Hilfe zu kommen und ihr die Möglichkeit zu geben, ihre Sicht der Dinge in die Sachverhaltsklärung einzubringen."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 24. Juni 2024 um 17:00 Uhr.