Grünen-Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir steht bei einer Veranstaltung auf der Bühne in einem Saal des Staatstheaters in Wiesbaden.
Porträt

Grünen-Kandidat Al-Wazir Gern ein bisschen bieder

Stand: 04.10.2023 11:43 Uhr

Er sei eher "der Typ Doppelhaushälfte" - und er möchte zweiter grüner Ministerpräsident Deutschlands werden: Tarek Al-Wazir ist das Gesicht der hessischen Grünen. Auch wenn sein Kurs an der Basis nicht allen gefällt.

Von Ariane Focke, HR

Es ist Wochenmarkt im Frankfurter Stadtteil Bockenheim. Tarek Al-Wazir und seinen Grünen nutzen den stark frequentierten Markt, um mit potenziellen Wählerinnen und Wählern ins Gespräch zu kommen. Plötzlich wirft eine Frau ein Kirsch-Törtchen in Richtung des grünen Spitzenkandidaten und ruft: "Das ist für all die zerstörten Wälder!"

Die Frau trifft nicht richtig, das Törtchen landet als Matsch auf dem Boden. Al-Wazir greift zum Taschentuch, wischt sich die Hände ab und unterhält sich unbeirrt weiter mit Marktbesuchern. Den Törtchen-Wurf kommentiert er trocken: "Das ist Lebensmittelverschwendung."

Spagat als Superminister

Der 52-Jährige ist schon lange im Polit-Geschäft. Seit fast zehn Jahren ist Al-Wazir hessischer Wirtschaftsminister und Vize-Regierungschef. Der CDU hat er in harten Verhandlungen 2014 ein "Superministerium" abgerungen.

Mit Al-Wazir ist erstmals ein Grüner in Hessen zuständig für die Bereiche Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen. Für ihn heißt das aber auch, den politischen Spagat hinzubekommen. Denn in seinen Verantwortungsbereich fallen auch viele Bauprojekte - unter anderem der Ausbau des Frankfurter Flughafens. Noch im Wahlkampf 2013 hatte Al-Wazir versprochen, dass es mit den Grünen kein drittes Terminal geben werde. Am Ende blieb ihm nur, den Termin zum Spatenstich zu schwänzen.

Auch den Ausbau der A49 lehnten die Grünen ab. Verkehrsminister Al-Wazir verwies jedoch auf die Entscheidung des Bundes. 27 Hektar im Dannenröder Forst wurden gerodet. Klimaaktivisten nehmen ihm das bis heute übel. Es zeigt einmal mehr das große Dilemma der Grünen und Al-Wazir. Der pragmatische Kurs wird als Verrat an den grünen Idealen verstanden. Kritiker bescheinigen den Grünen ein "Rückgrat aus Wackelpudding" - und werfen auch schon mal mit Kirsch-Törtchen.

Schaut man auf die Umfragen, haben Al-Wazir die beiden Ausbauprojekte jedenfalls nicht geschadet. Im HessenTrend von Infratest dimap bleibt er der beliebteste Landespolitiker und rangiert in der Kategorie "Zufriedenheit" deutlich vor CDU-Ministerpräsident Boris Rhein und SPD-Spitzenkandidatin Nancy Faeser.

Das "grüne Schreckgespenst" verblasst

Die hessischen Grünen lernen daraus: Ein pragmatischer Kurs kommt an bei den Wählern. Al-Wazir hat früh verstanden, dass sich aus grünen Umweltthemen die wichtigen Wirtschaftsthemen entwickeln. Auch für die traditionell konservative Hessen-CDU hat das einstige Schreckgespenst eines grünen Wirtschaftsministers längst seinen Schrecken verloren.

Al-Wazir kokettiert auch gern mit einem gewissen Biedermann-Image: "Ich bin eher nicht Typ Berlin-Kreuzberg, sondern mehr Typ Doppelhaushälfte", sagte er bei seiner Kür zum ersten grünen Ministerpräsidentenkandidaten im Februar dieses Jahres. Und beim Frühlingsfest der Grünen legte er nach: Er sei "mehr Konrad Adenauer und weniger Che Guevara".

Der Adenauer mit der Doppelhaushälfte gilt zudem als Aktenfresser mit Elefantengedächtnis. Sicherlich nicht die schlechteste Eigenschaft für jemanden, der hessischer Ministerpräsident werden will. Allerdings wird ihm seine Sachkompetenz auch zuweilen zum Verhängnis. Al-Wazir kann schon mal belehrend wirken. Landespolitische Journalistinnen und Journalisten können ein Lied davon singen.

Auf dem Parteitag der Grünen am 8. Juli in Hessen spricht Tarek Al-Wazir vor den Parteimitgliedern.

Die grüne Version eines Adenauers mit Doppelhaushälfte: Tarek Al-Wazir möchte Hesssens Ministerpräsident werden. Vize ist er schon.

Doppelhaushälfte in Offenbach

Der Mann mit einem deutschen und einem jemenitischen Pass ist in Offenbach geboren und lebt dort bis heute. Seine jemenitischen Wurzeln waren früher durchaus Thema im Landtag. So wurde von der CDU-Bank einst "Student aus Sanaa" gerufen oder vielleicht lautete der Wortlaut auch "Geh zurück nach Sanaa". Das weiß man bis heute nicht so genau. Damals regierte noch Roland Koch. Aber auch in der aktuellen Koalition mit der CDU brauchten die Grünen oftmals viel Gelassenheit.

Als echter "Offenbacher Bub" hat Al-Wazir gelernt verbal einzustecken, aber auch auszuteilen. Damit wird man in Offenbach groß. Steht die Stadt doch immer im Schatten der Großmetropole Frankfurt und wird oft unterschätzt. Hier jedenfalls ist Al-Wazir zu Hause und fühlt sich wohl in seiner Doppelhaushälfte. Auch das ist sicherlich ein Grund, weshalb es ihn nie nach Berlin in die Bundespolitik gezogen hat.

Grünen-Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir bei einer Wahlkampfveranstaltung auf dem Offenbacher Wochenmarkt Ende September-

Wahlkämpfer auf dem Wochenmarkt: Al-Wazir Ende September in Offenbach

Mehr Rückenwind hätte er sich aus der Bundeshauptstadt für seinen Wahlkampf allerdings schon gewünscht. Mit Blick auf den Dauer-Knatsch in der Ampel und die schier endlosen Diskussionen über das Heizungsgesetz spricht er vom "Zirkus" in Berlin. Al-Wazir versucht hier, auf maximale Distanz zu gehen.

Diese Wahl ist für den ehrgeizigen Al-Wazir eine wichtige Weichenstellung auch für seine eigene politische Karriere. Derzeit sieht es den Umfragen zufolge nicht so aus, als ob er Deutschlands zweiter grüner Ministerpräsident werden könnte. Wahrscheinlicher ist, dass er sich auf weitere fünf Jahre als Vize-Ministerpräsident unter der CDU einstellen kann. Oder die Grünen gehen wieder in die Opposition. Beide Rollen kennt Al-Wazir nur zu gut. Dem Berufspolitiker bliebe auch noch eine weitere Option: Dem Landtag nach fast 30 Jahren den Rücken zu kehren.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 11. September 2023 um 10:20 Uhr.