Einschätzungen zur Koalitionskrise "Es gibt politische Rachegelüste"
Der geplante Koalitionsausschuss ist abgesagt - die Große Koalition befindet sich in der Krise. Dass sie daran zerbrechen könnte, glaubt ARD-Korrespondent Dietmar Riemer jedoch nicht. Gegenüber tagesschau.de spricht er aber von einem Klima des Misstrauens.
tagesschau.de: Der für Dienstag geplante Koalitionsausschuss ist abgesagt, stattdessen treffen sich nur die Parteispitzen. Wie gefährdet ist die Große Koalition?
Dietmar Riemer: Die Große Koalition ist nicht gefährdet. Sie wird an dieser Affäre nicht zerbrechen, da bin ich mir ganz sicher. Zum einen, weil diese Koalition gerade ganz am Anfang steht. Wenn wir jetzt ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl wären, wäre die Lage eine andere. Aber zu einer Zeit, wo die großen Aufgaben noch nicht einmal angepackt sind, wo auch noch der Anlauf des Anfangs ein bisschen mitschiebt, ist diese Affäre nicht groß genug, um eine Regierung zu kippen. Zumal es abgesehen von Neuwahlen ja keine Alternative gibt. Schwarz-Grün ist zwar eine rechnerische, aber keine politische Alternative.
Klima des Misstrauens
tagesschau.de: Aber das Klima in der Koalition scheint komplett vergiftet.
Riemer: Es ist ein Klima des Misstrauens entstanden. Zum einen fühlt man sich in der Union, vor allen Dingen in der CSU, von der SPD hintergangen. Und dann gibt es auch noch politische Rachegelüste. Man will einfach nicht einsehen, dass bei einer Affäre über einen SPD-Politiker in der Konsequenz ein hochrangiger CSU-Politiker zurücktreten muss, "nur", weil er dem damals möglichen Koalitionspartner SPD einen Gefallen getan hat. Ob das politisch und menschlich richtig war, ist eine ganz andere Frage. Aber aus dieser Gemengelage rühren die Wut und das Rachebedürfnis der CSU. Und die CSU ist in ihrer politischen Verfasstheit viel emotionaler als die CDU.
tagesschau.de: Ist es denn begründet, dass die CSU sich hintergangen fühlt?
Riemer: Man muss immer unterscheiden, was begründet ist und wie man sich fühlt. Kommunikation ist ja immer das, was ankommt. Und man sucht sich ja seine Reaktionen auch aus, das ist Teil des politischen Spiels. Ob man sich hintergangen fühlt, weil Thomas Oppermann öffentlich gemacht hat, von Hans-Peter Friedrich informiert worden zu sein, ist eine Frage der politischen Vorliebe. Da sucht man sich das Entsprechende aus und das spielt die CSU natürlich auch ganz bewusst.
Aber wo die CSU und auch die CDU Recht haben, ist der Umstand, dass Oppermann - vielleicht sogar mit Wissen von Sigmar Gabriel - den BKA-Chef Ziercke angerufen hat. Das ist eine Ungehörigkeit sondergleichen. So etwas verbietet sich. Und daher rührt die Verärgerung hauptsächlich.
"Die CDU versucht, die Nerven zu bewahren"
tagesschau.de: Die Frage ist ja auch, wie glaubwürdig ist Oppermanns Zurückrudern? Erst will er von BKA-Chef Jörg Ziercke eine Bestätigung erhalten haben, jetzt sagt er, Ziercke habe den Vorgang nicht kommentiert.
Riemer: Im Fall Oppermann/Ziercke gibt es eine einfache Frage und die lautet: Wer lügt? Wir werden ja möglicherweise sogar eine Gegenüberstellung im Innenausschuss erleben. Und an diesem Hin und Her merkt man auch, dass vor allem Oppermann, aber auch Ziercke sich ihrer Sache gar nicht so sicher sind.
tagesschau.de: Wie positioniert sich die CDU? Ist die Verärgerung hier ähnlich groß wie in der CSU?
Riemer: Die CDU ist keine so emotionale Partei wie die CSU. In diesem speziellen Fall ist die CDU im engeren Sinne auch gar nicht betroffen, weil keiner ihrer hochrangigen Politiker belastet ist. Insofern schaut sich das die CDU mit einer gewissen Empörung und einem gewissen Grimm an, aber die CDU vermeidet sorgsam alles, was Sozialdemokraten und CSU noch zusätzlich auf die Palme bringen könnte. Also die Strategie der CDU ist ganz klar: Nerven bewahren, ruhig bleiben, nach Möglichkeit kein Öl ins Feuer gießen, sondern Öl auf die Wogen.
"Die Sozialdemokraten müssen reagieren"
tagesschau.de: Ist es nicht sehr ungewöhnlich, wenn der Koalitionspartner von der SPD nun eidesstattliche Erklärungen fordert, wie es unter anderem der CDU-Vize Armin Laschet getan hat?
Riemer: Das ist nicht nur ungewöhnlich, sondern auch eine Dummheit. Dieser Vorschlag kommt ja nun auch nicht gerade aus der Herzkammer der CDU. Es sieht nicht so aus, dass die CDU in Gänze, vor allem die Kanzlerin darauf einschwenkt. Auch so etwas gehört zum Ritual, dass an den Rändern von Parteien solche Forderungen immer mal wieder erhoben werden. Aber das nimmt in Wirklichkeit niemand ernst.
tagesschau.de: Wie kommt die Koalition nun aus dieser Regierungskrise wieder raus?
Riemer: Das werden wir sehen, wenn sich die drei Parteivorsitzenden am Dienstag getroffen haben. Aber eins ist unabdingbar: Die Sozialdemokraten müssen gegenüber der CSU in irgendeiner Form reagieren, und zwar so, dass die CSU einigermaßen zufrieden sein kann. Worin diese Reaktion besteht, wird Seehofer gegenüber Gabriel sehr deutlich sagen müssen und dann wird man sehen, inwieweit Gabriel diesem Wunsch entsprechen kann.
"Oppermanns Rücktritt ist nicht wahrscheinlich"
tagesschau.de: Also könnte Herr Oppermann Bauernopfer der Großen Koalition werden?
Riemer: Das ist nicht auszuschließen, es ist auch wahrscheinlicher als noch vor zwei Tagen. Aber ich halte es im Augenblick für nicht unbedingt wahrscheinlich. Denn die Sozialdemokraten haben das zusätzliche Problem, dass sie im Augenblick nur sehr schwer einen Nachfolger für Oppermann finden könnten. Es gab ja schon während der Regierungsbildung Probleme, jemanden für den Posten des Fraktionschefs zu finden. Oppermann selbst wollte eigentlich ja gar nicht. Aber die Not war groß und als damaliger Parlamentarischer Geschäftsführer kannte er natürlich das Geschäft des Fraktionsvorsitzenden und da war es ganz natürlich, dass die Wahl auf ihn fiel. Die SPD wird alles daran setzen, dass sie ihn halten kann. Eins ist aber klar, Oppermann ist in seiner Autorität nach innen und vor allem nach außen stark beschädigt.
tagesschau.de: Könnten noch andere Personen über mögliche Ermittlungen gegen Edathy informiert worden sein? Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Innenminister Friedrich zwar den Parteichef der SPD informiert, nicht aber den damaligen Kanzleramtschef Ronald Pofalla?
"Friedrichs Amtsführung war von Naivität geprägt"
Riemer: Man muss sehr naiv sein, zu glauben, dass Friedrich mit keinem anderen Menschen darüber gesprochen hat als mit Gabriel. Mit der Kanzlerin hat er bestimmt nicht gesprochen, das nehme ich ihm ab. Es ist allerdings auch weltfremd zu glauben, er habe es noch nicht einmal Pofalla gesagt. Möglich ist es dennoch, weil Friedrich in die Kategorie jener seltenen Politiker gehört, die sich ein gewisses Maß an Naivität erhalten haben. Davon war ja auch seine ganze Amtsführung geprägt.
tagesschau.de: Ist auch das Verhältnis zwischen CDU und CSU belastet? Der CSU-Vize Peter Gauweiler hat kritisiert, die Kanzlerin habe Friedrich beim Rücktritt unter Druck gesetzt.
Riemer: Ich sehe das Verhältnis nicht als belastet, jedenfalls nicht stärker als ohnehin. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Schwesterparteien ist nie ganz frei von Belastungen und Eifersüchteleien gewesen. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass Seehofer es im Augenblick darauf anlegt, diese Affäre auch zulasten der CDU zu spielen. Er ist im Moment ja sehr damit beschäftigt, den Sozialdemokraten zuzusetzen.
Das Gespräch führte Sandra Stalinski, tagesschau.de