Ute Svensson mit einer Herde Schafe
Mittendrin

Schafhaltung in Deutschland Das Hüteleben kennt keine Pause

Stand: 26.06.2023 13:01 Uhr

Mit Schafhaltung Geld zu verdienen wird immer schwieriger. Wer sich wie Ute Svensson dennoch für ein Leben auf der Weide entscheidet, weiß, was das heißt: viel Arbeit. Und manchmal auch ein bisschen Idylle.

"Manchmal habe ich das Gefühl, wir passen einfach nicht mehr in diese schnelle Welt", sagt Ute Svensson und lässt ihren Blick über ihre Herde schweifen, die sich vor ihr über eine Wiese in der Nähe von Baden-Baden ergießt. Sie ist in ihrer Familie die dritte Generation von Hüteschäfern. Ihr Großvater wanderte einst von Schweden nach Norddeutschland aus, um sich dort als Hütejunge seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Svenssons Vater war Schäfer im Elsass. Und nun also sie, dritte in der Schäfer-Reihe. Und weit entfernt von romantischen Illusionen, was ihren Beruf angeht.

Gut 600 Schafe gehören aktuell zu ihrem Betrieb, dazu die Lämmer, die jedes Jahr ab Februar geboren werden. "Das ist bei uns die Stoßzeit", erzählt Svensson. "Da weißt du nicht, wo dir vor Arbeit der Kopf steht." Jetzt, wo die Lammzeit vorbei ist, sei es geradezu entspannt.

#mittendrin aus Baden-Baden: Der harte Beruf Schäferin

Jenni Rieger, SWR, tagesthemen, 14.06.2023 22:15 Uhr

Enorme Belastung

Entspannt, das bedeutet in ihrem Beruf: früh aufstehen, zum Stall fahren. Dann den Anhänger ankoppeln, denn heute will die Schäferin drei Böcke von der "Männerweide" holen und sie zur weiblichen Schafherde bringen. "Damit da eine anständige Bockzahl bei der Herde ist, so dass wir in fünf Monaten wieder Lämmer haben", erklärt Svensson.

Wenig später steht sie auf einer abschüssigen Weide. "Komm, komm", ruft sie, bis sich die Böcke endlich bequemen, den Hang hinaufzutraben, wo sie von der Schäferin und ihrem Kollegen Joshua Seeberger resolut in den Schwitzkasten genommen und in den Anhänger verfrachtet werden. Denn oft braucht es mehr als zwei Hände in diesem Beruf - vor allem, wenn die Schafe nicht so wollen, wie ihr Hirte. "Die körperliche Anstrengung ist schon enorm. Und die Belastung auch", so die 53-Jährige. "Aber es bleibt mir ja nichts anderes übrig. Da muss man dann das Beste draus machen."

An der großen Weide angekommen mischen sich die Böcke rasch unter die Mutterschafe. Tauchen unter in ihrer "bunten Herde", wie Svensson sie nennt. Und tatsächlich stehen dort nicht nur weiße, sondern auch braune, schwarze, rötliche Schafe. "Unser Vorgänger, von dem wir die Schafe übernommen haben, war Tuchmacher, der wollte Tweed herstellen. Deswegen haben wir sehr viele Farben in der Herde. Aber unser Haupteinkommen ist tatsächlich die Landschaftspflege", erklärt die Schäferin.

Ute Svensson

Der Beruf von Schäferin Ute Svensson wird immer schwieriger, aber ihn deshalb aufzugeben, kommt für sie trotzdem nicht infrage.

Überleben dank Subventionen

Vom Verkauf der erzeugten Wolle oder des Lammfleischs können sie und ihre Berufsgenossen schon lange nicht mehr leben. Gerade mal 30 Prozent ihres Einkommens machen diese noch aus. Die restlichen 70 Prozent sind Subventionen, die die Schäfer für die Beweidung der Flächen erhalten, für den "Erhalt natürlicher Lebensräume". Denn die Schafe grasen nicht nur die Wiesen ab, sondern düngen sie auch und verfestigen mit ihren Klauen die Böden.

Und so führt Svensson ihre Herde jeden Tag ein Stück weiter. Von der Nachtweide, die inzwischen abgegrast ist, auf eine frische Wiese. Sie lässt die Schafe ein paar Stunden frei grasen, in Schach gehalten von den Hunden Hanouk und Hubi. Die ziehen ihre Kreise um die Tiere, halten sie von der Straße fern und passen auf, dass keines abwandert.

Schafherde

Vom Verkauf der Wolle oder des Lammfleischs können Schäferinnen und Schäfer nicht mehr leben. Das Haupteinkommen kommt aus der Landschaftspflege.

Die Schäferin hat inzwischen ihren traditionellen Schäferkittel übergezogen, hält den Schäferstab fest in der Hand. Anachronistisch? Vielleicht. Aber praktisch. "Mit dem Stab kann ich Tiere aus der Herde ziehen und wenn ich sie dann in den Schoß des Kittels lehne, können sie nicht abhauen", erklärt Svensson und beweist sofort, was sie meint, als sie ein lahmendes Schaf in der Herde entdeckt. Der Haken am Ende des Stabs hindert das Tier an der Flucht. In den Kittel gebettet kann Svensson die Wunde rasch untersuchen und dann mit Zugsalbe und Klebeband versorgen.

Dann kehrt tatsächlich so etwas wie Ruhe ein. "Wenn die Herde schön frisst und der Hund schön läuft, dann ist es entspannt", so Svensson. Aber solche Momente der Ruhe seien immer seltener: "Wenn ich an meinen Vater denke, das war eine ganz andere Idylle, ein ganz anderes Leben als jetzt."

Immer weniger Platz

Damit meint die Schäferin nicht etwa die Bezahlung, die ihrer Aussage nach unter dem Mindestlohn liegt. Oder das Privatleben, das leidet, wenn man Tag und Nacht auf Abruf ist. Oder die Angst vor Angriffen durch Wölfe. Was sie meint, ist die Gesellschaft, die immer weniger Raum lässt für Hüteschäfer wie sie. "Wo ich vor 30 Jahren noch gehütet habe, da ist jetzt eine Schnellstraße oder ein Neubaugebiet, da sind meine Hütewege einfach durchschnitten", sagt Svensson. "Da werden wir schon immer mehr an den Rand gedrängt."

Ihren Beruf aufgeben - das kommt für sie dennoch nicht in Frage. "Das ist ja nicht einfach ein Beruf, den du an den Nagel hängst. Das ist ein ganzes Leben", sagt sie. Dann ruft sie die Hunde. Der Zaun für die Nacht muss gestellt werden. Das Hüteleben kennt keine Pause.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 14. Juni 2023 um 22:15 Uhr.